Sport-Dokumentationen gehören wohl zu den Produktionen, die besonders kritisch verfolgt werden. Das liegt daran, dass es neben herausragend guten Filmen und Serien auch bereits eine Reihe von PR-Projekten gab, denen es merklich an der kritischen Distanz zum Objekt der Betrachtung fehlte. Vor allem im Fußball scheint es noch immer den Gedanken zu geben, solche Produktionen als verlängerte Marketingmaßnahme zu missbrauchen. Insofern ist das, was das Team von Marc Lepetit und UFA Documentary bei "All or Nothing: Die Nationalmannschaft in Katar" geschafft haben, gar nicht hoch genug einzuschätzen.
Die vier Folgen der Doku-Serie sind nämlich alles andere als ein PR-Produkt des DFB. Angesichts des miserablen Abschneidens der Nationalmannschaft beim Turnier wäre alles andere aber auch eine Überraschung gewesen. Die Doku-Serie, die eigentlich mal auf sechs Folgen angelegt war, weiß zu überzeugen mit einem spannenden Mix aus Insights aus der Mannschaft und dem über das Team hereinbrechende Unheil.
Und so erzählt die "All or Nothing"-Doku bei Prime Video die Geschichte eines großen Scheiterns, dabei kommt es einerseits zu Konflikten innerhalb des Teams, andererseits werden skurrile Motivationsmethoden offengelegt. Etwa der Versuch des damaligen Trainers Hansi Flick, das Team vor dem ersten Gruppenspiel gegen Japan mit einem Video von Graugänsen zu motivieren. Das sorgte nicht nur für das ein oder andere verwundete Gesicht in der Mannschaft, sondern auch später für Hohn und Spott für einen doch eher wenig subtilen Motivationsversuch. Und auch dass Flick die ganze Zeit durch das Wort "Männer" angestrengt ein Wir-Gefühl erzeugen will, macht eher den Eindruck, als habe es in diesem Team von Anfang an nicht gestimmt.
Dieses Verhalten seziert die Doku von UFA Documentary auf ganz wunderbare Art und Weise. "Wahrheit und Schmerz – daraus werden gute Geschichten gemacht", sagte Marc Lepetit zum Start der Reihe gegenüber DWDL.de. Das ist in diesem Fall gelungen und man kann sich förmlich vorstellen, wie sehr es die DFB-Bosse am Ende bereut haben, das Kamerateam so nah an die Mannschaft zu lassen. Und es scheint, als hätte der DFB seine Lehren aus der Doku gezogen: Ein ähnliches Projekt für die Heim-EM im kommenden Jahr lehnte der Verband bereits ab. Nach "Sportbuzzer"-Angaben will der DFB einen eigenen Film veröffentlichen - sollte die EM erfolgreich verlaufen.
Eindringliches Holocaust-Dokudrama
Das Team um Marc Lepetit hat in diesem Jahr aber längst nicht nur mit der Doku über die Fußballnationalmannschaft überzeugt. Mit "Ich bin! Margot Friedländer" hat man einen Film produziert, der nicht gegenteiliger sein könnte zur Welt des Fußballs. Das Dokudrama der Grimme-Preisträger Hannah und Raymond Ley erzählt die Lebensgeschichte der Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer, die jüngst ihren 102. Geburtstag feierte und die es sich zur Aufgabe gemacht hat, möglichst vielen jungen Menschen das Geschehen während ihrer Jugendjahre eindringlich zu vermitteln, um das Unbeschreibliche nicht vergessen zu machen.
Dass dieser Film so erschreckend aktuell in die heutige Zeit passt, konnten sie weder im ZDF noch bei UFA Documentary ahnen. Entstanden ist ein berührendes wie schonungsloses Dokudrama, das viel mehr ist als nur eine Nacherzählung des Lebens der jungen Margot Friedländer. Der Film rüttelt auf und ist der beste Beweis dafür, dass "Nie wieder" eben nicht nur eine dahingesagte Floskel ist. Und das alles gipfelt im Aufeinandertreffen zwischen Margot Friedländer und der Schauspielerin Julia Anna Grob, die der jungen Margot ein Gesicht gibt.
Die Doku-Serie über die DFB-Elf und das Doku-Drama über die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer sind zwei Projekte, mit denen UFA Documentary und speziell Marc Lepetit, der die Produktionsfirma zusammen mit Gwendolin Szyszkowitz leitet, in diesem Jahr für Aufsehen gesorgt haben. Es sind zwei Projekte, die unterschiedlicher nicht sein könnten und dadurch auch die Bandbreite zeigen, die die noch recht junge Produktionsfirma, die vor rund zweieinhalb Jahren gegründet wurde, abdeckt. Und sie sind nun der endgültige Beweis dafür, dass es 2021 die richtige Entscheidung der UFA war, ein eigenständiges Doku-Unternehmen aufzuziehen. Wer solche Inhalte produziert, wird sich am Markt letztlich immer durchsetzen.