Es überrascht nicht, dass die ehemalige ARD-Vorsitzende und RBB-Intendantin Patricia Schlesinger in der heutigen Erregungsökonomie erst dann stufenweise zurücktrat, als Anfang August dieses Jahres auch der Boulevard zuschlug und sich die öffentliche Aufregung um plakativere Schlagzeilen wie die verschwendeten Beitragsgelder für italienisches Parkett und Massage-Sitze im Firmenwagen zu drehen begann. Doch ins Wanken gebracht hat sie nicht der Boulevard mit der Verknappung auf das leicht Empörende.
Denn das, was später zu dem Medienthema des Jahres werden sollte, begann schon mehr als einen Monat früher mit ersten Enthüllungen von „Business Insider“ Ende Juni. Unter der Überschrift „Medienaffäre: Spielte der Rundfunkaufseher dem Ehemann der ARD-Chefin einen lukrativen Berater-Auftrag zu?“ verlangte die erste Veröffentlichung von Jan C. Wehmeyer, Leiter des Teams Investigative Recherche, in ihrer Komplexität jedoch mehr Beschäftigung.
In einer Mischung aus bedauerlicher Gewöhnung an unanständiges Verhalten in gewissen Positionen bzw. Strukturen und fehlendem Zugang zu den Quellen und Informationen von „Business Insider“ wurden die Recherchen zunächst nicht schnell und breit aufgegriffen. Doch das Team um Jan C. Wehmeyer konnte in den folgenden Tagen und Wochen nachlegen und bewies damit, nicht nur die Recherche selbst zu beherrschen, sondern auch die Fähigkeit, die vorliegenden Enthüllungen klug gestaffelt zu veröffentlichen.
Je stetiger und gehaltvoller Recherchen belegt werden können, ohne sich voreilig selbst dafür zu feiern, desto breiter werden sie als Grundlage auch von anderen Medien aufgegriffen. Nicht jeder Recherche-Verbund beherrscht diese Disziplin. Getragen also nicht von der schrillen Headline einer großen Enthüllung, sondern dem Eindruck nicht enden wollender, stetig neuer Vorwürfe, sorgten die „Business Insider“-Artikel ab der zweiten Juli-Wochen für erste Konsequenzen im RBB. Parallel begannen auch andere Medien eigene Recherchen anzustellen. Durch die Stetigkeit wurde immer deutlicher: Aussitzen lässt sich das nicht mehr.
Und doch: Erstaunlich lange bleibt der RBB-Skandal jedoch erst einmal ein rein medienpolitisches Thema. Da werden Ämter ruhen gelassen, interne Brandbriefe geschrieben und Einladungen in den Landtag ausgeschlagen. Das ist sperrig; wirkt wie übliches Gezeter. Heute wissen wir, dass Patricia Schlesinger wohl bis zum Schluss sogar noch glaubte, selbst Teil der Lösung sein zu können, wie ihr peinlicher weil schrittweiser Rückzug beweist: Am 4. August vermeldete DWDL aus der Intendantenrunde der ARD vorab, dass Schlesinger zurücktritt - aber nur als ARD-Vorsitzende.
Es folgten dann heiße Tage, an denen der Boulevard das Thema dank Parkett, Massage-Sitzen und falsch abgerechneten Abendessen für sich entdeckte, aber auch „Business Insider“ legte noch einmal nach: Es ging um dubiose Bonuszahlungen - ein Aspekt der zunächst einmal unter geht. Am 7. August tritt Schlesinger dann auch als RBB-Intendantin zurück. Für den Moment (und die politischen Ränder noch heute) sind die plakativen Punkte das, worüber Schlesinger stürzte. Doch in den Wochen und Monaten danach zeigte sich, dass z.B. das System der Bonuszahlungen noch einmal mehr Menschen im RBB in Erklärungsnot brachte.
Der Medienskandal des Jahres - der trotz aller Bemühungen von Elon Musk auch das Medienthema des Jahres 2022 geworden ist - wurde ausgelöst von einem Medium, das bis dato kaum jemand als Investigativ-Medium auf dem Schirm hatte. Man kann neidlos anerkennen: Keine Redaktion hat mit ihren Recherchen die Branche in diesem Jahr so beschäftigt und aufgewirbelt wie die von „Business Insider“ rund um Investigativ-Chef Jan C. Wehmeyer und Chefredakteur Jakob Wais. Das macht das Team zu verdienten Bildschirmheldinnen und -helden des Jahres.