Im Jahr fünf nach der ersten deutschen Serie eines amerikanischen Streaming-Dienstes hatten wir in etwa begriffen, wie der typische Produktzyklus abläuft: Gestartet wird mit jeder Menge US-Content, darunter im Zweifelsfall die eine oder andere Marke mit globaler Strahlkraft. Durchschnittlich drei Jahre nach Markteintritt kommt das erste Local Original auf die Plattform. So war es mit "Dark" bei Netflix, mit "You Are Wanted" bei Amazon Prime Video, und so wird es auch mit "Sam – Ein Sachse" bei Disney+ sein. Aber: Dass die Zeiten des scheinbar ungebremsten Wachstums im Streaming vorbei sind und jetzt allerorten eingespart wird, dürfte sich auch auf die Quantität lokaler Eigenproduktionen auswirken.
Susanne Schildknecht agiert derweil in einer ebenso merkwürdigen wie spannenden Zwischensituation. Die Frau mit dem sperrigen Titel "Senior Vice President, MTV Entertainment Brands, Central & Northern Europe and Asia" ist bei Paramount in Berlin federführend für die Produktion deutscher Inhalte für die Streaming-Plattform Paramount+ verantwortlich. Die startet hierzulande bekanntlich am 8. Dezember und kommt damit reichlich 'late to the party'. Abgesehen davon, dass es kein Spaziergang wird, noch ein Abo-Angebot mitten in die Rezession hinein zu platzieren, hat Schildknecht aus der Not eine Tugend gemacht. Ihre ersten Eigenproduktionen waren so früh beauftragt, dass man nicht Jahre darauf warten muss – sondern nur zwei Wochen.
Am 22. Dezember, rechtzeitig zum Feiertags-Bingewatching, läuft auf Paramount+ die achtteilige Dramedy "Der Scheich" an, das Seriendebüt von "Känguru-Chroniken"- und "Alles auf Zucker!"-Filmemacher Dani Levy. Die Hochstaplergeschichte ist so oder so ähnlich tatsächlich passiert: Im Schweiz-Urlaub gibt sich der Schwarzwälder Familienvater Ringo aus Spaß als unehelicher Sohn einer arabischen Dynastie aus, was einem Immobilienmakler die Dollarzeichen ins Auge und nach einigen Eskalationen die Züricher Finanzwelt an den Rand des Abgrunds treibt. Bei der Auswahl der Projekte sei es "auch um die Zusammenarbeit mit außergewöhnlichen Talents" gegangen, gab Schildknecht im Juni im DWDL.de-Interview zu Protokoll. Ohne Zweifel kann man es einen Coup nennen, wenn Kino-Royalty wie Levy zur Plattform-Premiere mit an Bord ist.
Zwei weitere Serien sind so gut wie fertig und sollen das Angebot von Paramount+ Anfang 2023 erweitern: der sechsteilige Cybercrime-Thriller "A Thin Line" aus dem Hause Weydemann Bros., der höchst aktuell die moralischen Grenzen von Umwelt- und Klimaaktivismus auslotet, sowie die deutsch-britisch koproduzierte Krimi-Bestsellerverfilmung "Simon Beckett's Die Chemie des Todes". In der Mache sind zudem die Mystery-Serie "Kohlrabenschwarz", mit der Tommy Krappweis seine eigene Hörspielreihe verfilmt, oder die von Jana Burbach entwickelte Dramedy "Anywhere", die von Gaumont produziert wird. Gleichzeitig zählt auch lokale Reality zum Portfolio: Am 15. Dezember startet "Germany Shore"; innerhalb des ersten halben Jahres sollen ein Dating- und ein Competition-Format folgen. Bei letzterem handelt es sich wohl um eine deutsche Adaption von "RuPaul's Drag Race".
Schildknechts Team und die beauftragten Produktionsfirmen sind also ganz schön fleißig. Der durchaus attraktiven US-Ware um "Top Gun: Maverick", "Star Trek: Strange New Worlds", "Yellowstone" oder "Mayor of Kingstown" soll von Anfang an lokales Aroma in wahrnehmbarer Dosierung beigemischt werden. Für die langjährige Super-RTL-Managerin, die 2020 zu Paramount – damals noch ViacomCBS – wechselte, sorgt die neue Priorisierung der SVoD-Plattform erst für die rechte Herausforderung. Wer sich zuvor um deutsche Eigenproduktionen für MTV, Comedy Central oder Nickelodeon kümmerte, hatte in jüngerer Vergangenheit nicht allzu viel zu tun. Dass Schildknecht – mit internationalem Konzernmandat – nun so beherzt zupackt, freut die hiesige Kreativbranche.
Der kraftvolle Aufschlag ist auch deshalb wichtig, weil wie fast überall natürlich auch bei Paramount die Zeichen eher auf Kürzungen stehen. Im Heimatmarkt USA hat der Konzern gerade das Development-Team für Paramount+-Serien aufgelöst. Dessen Aufgaben sollen fortan von der Produktionseinheit Paramount Television Studios miterledigt werden. Weil Profitabilität inzwischen vor Wachstum geht, muss das Entwicklungstempo für neue Projekte gedrosselt werden. Susanne Schildknecht ist zu wünschen, dass in ihrem Beritt dennoch keine gute Idee auf der Strecke bleibt.