Mystische Fähigkeiten und Vorahnungen gehören nicht zu den Kernkompetenzen von Marcus Wolter. Das soll gar nicht despektierlich klingen, das hat der Geschäftsführer und Gesellschafter von Banijay Germany vor wenigen Wochen selbst in einem Interview mit DWDL.de gesagt. Und tatsächlich hätte man in Wettbüros wohl viel Geld gewinnen können, wenn man die Geschehnisse rund um Endemol Shine Germany in den letzten Jahren so getippt hätte. Seit 2008 war Wolter dort Geschäftsführer, rund zehn Jahre später verließ er das Unternehmen, das er durch zahlreiche neue Tochterfirmen und die Fusion mit Shine Germany größer gemacht hatte als es ohnehin schon war. 

Wolter suchte ein neues Abenteuer und fand es bei Banijay. Der französische Medienkonzern startete vor mehr als zwei Jahren nicht nur die ersten Versuche, die Mehrheit an Brainpool zu übernehmen (die man inzwischen besitzt), man gründete auch eine eigene, deutsche Banijay-Produktionsgesellschaft. Wolter verantwortete seither alle Banijay-Geschäfte in Deutschland und wurde zudem auch Gesellschafter. In diesem Jahr wurde der Konzern noch größer: Durch die Übernahme von Endemol Shine durch Banijay war es für Wolter quasi eine Rückkehr an alte Wirkungsstätte. Doch Zeit für Sentimentalität blieb im Jahr 2020 kaum: Wolters hat es geschafft, die Gesellschaften in Deutschland so aufzustellen, dass sie zwar eigenständig bleiben, aber dennoch Synergien gehoben werden können. 

In einer Zeit, in der es für viele Unternehmen vor allem darum ging, möglichst unbeschadet durch die Krise zu kommen, hat Wolter mal eben so Deutschlands größtes Produktionshaus geformt. Zum Konzern gehören ja auch noch die Good Times mit Sylvia Fahrenkrog-Petersen und erst vor einigen Wochen übernahm man die Mehrheit an Sascha Rinne Management. Mit der MadeFor Film hat man zudem ein noch vergleichsweise zartes Pflänzchen im Portfolio, das den scheinbar noch immer endlos wachsenden Fiction-Markt bedienen soll. Die ehemalige EndemolShine-Tochter hat Wolter in diesem Jahr direkt unter das Banijay-Dach geholt, damit unterstrich er die Bedeutung der Mannschaft rund um Nanni Erben und Gunnar Juncken. 

Corona kann Kreativpower nicht bremsen

Wenn Wolter im DWDL.de-Interview sagt, ihm und dem neu geschaffenen Produktionshaus komme eigentlich jede Entwicklung gelegen, ist das beim Blick auf die Schwerpunkte der verschiedenen Unternehmen nicht von der Hand zu weisen. Und dann war Wolter in diesem Jahr ja nicht nur mit dem Unternehmensaufbau beschäftigt, so wurde auch inhaltlich gearbeitet. Natürlich ist das alles vor allem in den verschiedenen Produktionsfirmen passiert, die alle noch einmal eigene Geschäftsführer und kreativ Verantwortliche haben. Aber unter der Führung von Marcus Wolter sind alleine in diesem Jahr etliche neue Formate gestartet: "Kampf der Realitystars", "Fame Maker", "Promis unter Palmen" und "Pretty in Plüsch" sind nur vier Beispiele. Naturgemäß ist nicht jedes Format ein bahnbrechender Erfolg - alleine diese Beispiele zeigen aber schon, mit wie viel Kreativpower die Banijay-Gruppe 2020 unterwegs war. 

Und dann gibt’s ja auch noch die Formate, die man schon länger produziert. Von "The Masked Singer" setzte man 2020 erstmals zwei Staffeln um und bekam auch Corona-Probleme in den Griff. "Lego Masters" unterzog man einem sehr erfolgreichen Relaunch und auch bei "Mein Lokal, Dein Lokal" von Good Times gibt es trotz Corona keine nennenswerten Probleme. Die verschiedenen Produktionsfirmen unter dem Banijay-Dach, das hat Wolter bereits angekündigt, sollen unabhängig bleiben. "Jede Firma hat ihre eigene Identität, Kultur und inhaltlichen Schwerpunkt", sagt der Banijay-Chef. Da hat jemand verstanden, dass Größe zwar wichtig ist, aber nicht zwangsläufig bedeuten muss, alles so austauschbar zu machen, dass am Ende nur noch die Namen der verschiedenen Unternehmen übrig bleiben. 

Auch inhaltlich ein starkes Jahr

Gut möglich übrigens, dass Wolter in den nächsten Jahren weiter zukauft und sich die Gruppe so vergrößert. "Ein Aufbau ist für mich generell nie abgeschlossen", sagte er im DWDL.de-Interview vor wenigen Wochen. Die Entwicklung eines Verbundes von Kreativen sei ein dynamischer Prozess und der Markt verändere sich stetig. "Wer hätte vor zwei Jahren für möglich gehalten, mit welcher Power sich die Streaming-Marken und Mediatheken der klassischen Sender zu deutschen Netflixen und Amazons entwickeln? Also bleiben auch wir natürlich offen für talentierte Menschen, die eine kreative Heimat suchen."

Jede Firma hat ihre eigene Identität, Kultur und inhaltlichen Schwerpunkt.
Marcus Wolter über die verschiedenen Unternehmen der Gruppe

Dass Marcus Wolter seine Produktionsgruppe in diesem Jahr auf ein neues Erfolgslevel gebracht hat, wird sich übrigens auch im DWDL.de-Produzenten-Ranking widerspiegeln, wo sowohl Endemol Shine als auch Brainpool TV in diesem Jahr Rekordwerte erzielen werden. Über die Details berichtet DWDL.de am kommenden Dienstag.

Wolter, der über die Produktionsfirma MME, den Musiksender Viva und Brainpool im Jahr 2002 schließlich bei ProSiebenSat.1 landete und dort zunächst Programmchef und später Geschäftsführer des fragwürdigen Anrufsenders 9Live wurde, hat in diesem Jahr nicht nur verwaltet und eine Krise gemanagt, sondern, das kann man ganz ohne mystische Fähigkeiten so sagen, aktiv Aufbauarbeit geleistet und seine noch recht junge Produktionsgruppe nach vorn gebracht. Und ganz nebenbei ist dabei sehr oft richtig gutes Fernsehen entstanden. Da bleibt für (Corona-)Krise keine Zeit.