Will man es positiv ausdrücken, dann könnte man sagen: Das deutsche Fernsehen ist verlässlich. Durchformatiert. Das bedeutet aber vor allem auch: Es ist in vielen, nein: zu vielen Fällen schrecklich vorhersehbar. Wann welche Sendung mit welchem Personal und welchen Inhalten läuft, ist nicht zuletzt häufig ein Ergebnis der Marktforschung - mit bekannt hoher Fehlerquote. Wie wohltuend ist da dieser kleine Platz "Anarchie", den ProSieben Joko Winterscheidt, Klaus Heufer-Umlauf und ihrer Truppe von der Produktionsfirma Florida TV da regelmäßig zugestehen.
"Joko und Klaas gegen ProSieben" ist ohne Frage eine gut gemachte Unterhaltungsshow, bei der es endlich gelungen ist, die beiden Protagonisten so einzubinden, dass dafür niemand um die ganze Welt reisen oder sich mit erheblichem Aufwand für jede Ausgabe Dutzende Show-Konzepte ausdenken und diese produzieren muss. Doch besonders wird das Format erst durch den möglichen Gewinn: Die 15 Minuten Sendezeit, die am Tag danach um 20:15 Uhr völlig ohne Vorgaben und ohne vorherige redaktionelle Abnahme durch den Sender gestaltet werden dürfen.
Die Bandbreite dessen, wofür die beiden ihre erspielte Sendezeit nutzen, ist riesig. So sorgten sie in diesem Jahr beispielsweise dafür, dass zur besten Sendezeit ein mit Kamera ausgrüstetes Schwein unkommentiert durch eine Galerie in Berlin lief - gedacht als Spott über das Niveau der zur gleichen Zeit bei RTL ausgestrahlten Sendung "Das Sommerhaus der Stars". Im Frühjahr filmten sie im "ProSieben-RTL-Spezial" das Programm des Kölner Konkurrenten kurzerhand ab und kommentierten das Geschehen. Dort lief zu dieser Zeit eine Sondersendung zu den Corona-Lockerungen.
Vor allem sorgen sie aber immer dann für Aufsehen, wenn nach dem quietschbunten Vorspann der Sendung plötzlich nicht eine Bühne für Gaga-Aktionen folgt, sondern gesellschaftlich hoch-relevante Themen. Das zeigte sich schon im vergangenen Jahr, als sie beiden ersten "15 Minuten" die Sendezeit unter anderem der Kapitänin eines Rettungsschiffs im Mittelmeer zur Verfügung stellten. In diesem Jahr folgte nun gewissemaßen die Fortsetzung. Denn wer es nach Europa schafft, landet dann ja nicht in Freiheit, sondern in der Regel in einem Flüchtlingslager wie dem in Moria auf der Insel Lesbos.
Von Moria bis Männerwelten
Wenige Tage, nachdem dieses abgebrannt war, nutzten Joko und Klaas ihre 15 Minuten für den Film "A Short Story Of Moria". Der aus Afghanistan geflüchtete 21-jährige Milad Ebrahimi erzählt darin von seinen Erlebnissen - angefangen von den drei Versuchen, per Boot nach Europa überzusetzen über die unhaltbaren Zustände im Camp, bis zur Situation während und nach dem Brand - und wie mit Tränengas auf Familien und kleine Kinder geschossen wurde – Schreie der Kinder, die man nicht so schnell vergessen dürfte. "Wir wissen, dass die Lage sehr kompliziert ist, wir wissen auch, dass es nicht einfach ist, eine Lösung für diese Situation zu finden. Aber egal wen man wählt, oder wie man über die Flüchtlingskrise denkt: Wir wollen, dass künftig jeder weiß, welche Zustände mitten in Europa existieren. Nur zwei Flugstunden entfernt", erklärte Joko Winterscheidt die Entscheidung, den Film zu zeigen.
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Die ebenfalls im Rahmen von "Joko & Klaas Live" ausgestrahlten "#Männerwelten" avancierten in diesem Jahr im Nachhinein sogar zum zweitmeistgesehenen YouTube-Video, nachdem auch die TV-Ausstrahlung schon sehr viele Zuschauer erreichte. In der als "Kunstausstellung" inszenierten Folge ging es um die unterschiedlichsten Formen von sexueller Belästigung und sexueller Gewalt, denen Frauen tagtäglich ausgesetzt sind - vom Versenden von Dickpics über übergriffige Text-Nachrichten bis hin zu Vergewaltigungen.
Joko und Klaas traten in diesen 15 Minuten gar nicht auf, bei anderen häufig nur am Rande. Insofern ist diese Auszeichnung auch ein Stück weit stellvertretend für all jene zu verstehen, die an diesen Filmen mitwirken, vor und hinter der Kamera. Klar ist aber: Ohne Joko & Klaas gäbe es diese Bühne nicht. Auch wenn die beiden inzwischen keine Lust mehr haben, sich gegenseitig für absurde Mutproben und sonstige Aufgaben um die Welt zu schicken, sondern lieber nur noch die Spielchen im Studio selbst absolvieren, lässt sich daher sagen: Joko und Klaas tun dem deutschen Fernsehen nach wie vor sehr gut. ProSieben ist gut beraten, ihnen weiterhin so viele Freiheiten wie möglich zu lassen.