Stell' dir vor, es ist Pandemie - und keiner bekommt's mit. Als um den Jahreswechsel herum erste Berichte von einem neuartigen Coronavirus in China die Runde machten, war die Sorge in Deutschland noch nicht sonderlich groß. Weit weit schien die Krankheit, die später die ganze Welt in Atem halten würde, zum damaligen Zeitpunkt. Für Ulf Röller war das Virus allerdings schon zu Beginn des Jahres ein großes Thema.
Erst einige Monate zuvor hatte Röller die Leitung des ZDF-Auslandsstudios Ostasien in Peking übernommen, da sah er sich mit einer weltumspannenden Krise konfrontiert, die mutmaßlich auf einem Tiermarkt in Wuhan ihren Ursprung fand. Zwei Tage, bevor Wuhan dichtgemacht wurde, reiste er zusammen mit seinem Team an. "Ein bisschen naiv" seien sie damals gewesen, erklärte Röller kürzlich im Interview mit dem Radiosender WDR 5, denn die Dimension sei ihm damals gar nicht klar gewesen.
Nur sehr wenig berichteten die offiziellen chinesischen Medien über das Virus, vor allem "Heldengeschichten", wie Röller sagt. Das wahre Ausmaß blieb zumeist im Dunklen. Umso wichtiger, dass es der ZDF-Korrespondent noch rechtzeitig vor dem Lockdown in die Stadt schaffte. Schon als er in Wuhan ankam, habe er angesichts der vielen Menschen, die eine Art Weltraumanzug trugen, das Gefühl gehabt: "Das ist eine größere Katastrophe als wir es erahnt hatten."
"Hinter den Vorhang schauen"
Was folgte, waren eindrucksvolle Berichte aus einer Millionenstadt, die innerhalb weniger Wochen traurige Bekanntheit erlangte. Ulf Röller brachte dem deutschen Fernsehpublikum damit schon früh ein Thema nahe, das unser aller Leben in den folgenden Monaten nachhaltig verändern würde. "Wir hatten ein bisschen die Gelegenheit, hinter diesen Vorhang zu schauen", so Röller zu WDR 5, "aber es macht es halt auch anstrengend, weil man mit dem chinesischen Staat in einem permanenten Konflikt steht."
Für seine Arbeit in Wuhan, aber auch in Hongkong, wo Massenproteste die Stadt in Atem hielten, wurde der Vater von drei Kindern gerade erst mit dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis ausgezeichnet. "Höchst präzise, umsichtig und unter schwierigsten Umständen" habe er sich die Filme und Analysen erarbeitet, lobte die Jury. Und: "Die Bilder seines Teams und seine Beobachtungen gaben abseits der offiziellen Informationspolitik der chinesischen Regierung erste realitätsnahe Einschätzungen über die Auswirkungen der Pandemie auf das Leben der Bevölkerung."
Für Ulf Röller geht die Arbeit indes weiter. "Manchmal ist Drehen wie ein Banküberfall", sagt er, angesprochen auf die Arbeitsbedingungen in China. Es gehe darum, "möglichst unter dem Radar zu fliegen, um mit den Menschen in Kontakt zu kommen", so Röller, der aber insbesondere seine chinesischen Kollegen bewundert. "Ich habe erst in China kennengelernt, welche Bedeutung es hat, eine freie Presse zu haben, und welchen Mut man braucht."