Das Lob des Kritikers fiel umfassend aus: "'Barbarians' hat alle Kampf- und Sexmomente, die ein modernes Publikum erwartet. Aber es ist auch eine wunderbare Lehrstunde dafür, wie Mühe und Recherche zu einer Serie mit Haltbarkeit und erzählenswerter Geschichte führen können." So urteilte das neuseeländische Magazin "Stuff" im Oktober zur Veröffentlichung des deutschen Netflix-Originals "Barbaren".
Es ist nicht selbstverständlich, dass Fernseherzeugnisse aus hiesiger Herkunft am anderen Ende der Welt wahrgenommen werden. Die längste Zeit geschah das eher nicht. Und wenn, dann stand Dauerexport "Derrick" im Ausland für die deutsche TV-Mentalität. Dass Macher hierzulande Mystery können, hat sich erst in den letzten drei Jahren dank "Dark" herumgesprochen. Dass sie aber auch zu einer Serie fähig sind, die "Fans von 'Game of Thrones' und 'Vikings' sicher lieben werden" ("Forbes"), ist eine neue Erkenntnis des Streamingjahres 2020.
Ein Format wie "Barbaren" überhaupt ernsthaft zu pitchen, erfordert angesichts der herrschenden Budgetzwänge und der fehlenden Genreerfahrung im deutschen Markt eigentlich ein Mindestmaß an Größenwahn. Wer die Produzentin Sabine de Mardt kennt, weiß jedoch, dass ihr beharrliches Wirken im Hintergrund viel mehr liegt. Im Fall der "Barbaren" kamen perfektes Timing und glänzende Vernetzung hinzu. Weil die französische Produktionsfirma Gaumont über ihre US-Tochter spätestens seit "Narcos" zu den Hoflieferanten von Netflix zählt, kannte man frühzeitig den Bedarf der Plattform, und so konnte de Mardt gleich zur Eröffnung der deutschen Filiale im Sommer 2018 den spektakulären Auftrag ins Haus holen.
"Es ist dramaturgisch gesehen natürlich ein ziemlich großer Aufschlag für eine Firma, die gerade mal die Büros bezogen hat, als der Produktionsauftrag für die bislang aufwändigste deutsche Netflix-Serie reinkam", so Sabine de Mardt im Oktober im DWDL.de-Interview. Mit ihren Produzentenkollegen Andreas Bareiss und Rainer Marquass sowie dem von Andreas Heckmann, Arne Nolting und Jan Martin Scharf entwickelten Stoff gelang ihr das zuvor unmöglich Scheinende: den David-gegen-Goliath-Kampf der Germanenstämme im Jahr 9 nach Christus gegen das scheinbar unbesiegbare Römische Reich aus Deutschland heraus für die Welt zu erzählen.
"Es ist dramaturgisch gesehen natürlich ein ziemlich großer Aufschlag für eine Firma, die gerade mal die Büros bezogen hat"
Sabine de Mardt, Geschäftsführerin von Gaumont Deutschland
Lohn der Mühen: Netflix vermeldete 37 Millionen Abonnentenhaushalte, die "Barbaren" in den ersten vier Wochen nach Release gestreamt hatten – ein neuer Rekord für die erste Staffel einer nicht-englischsprachigen Serie – und beauftragte folgerichtig eine zweite Staffel. Was neben den nackten Zahlen freilich besonders beeindruckt, ist die Detailtiefe, mit der internationale Leitmedien in die Würdigung der "Barbaren" eingestiegen sind. Das US-Wirtschaftsmagazin "Forbes" etwa lobte das "exzellente Produktionsdesign, die großartigen schauspielerischen Leistungen, vor allem vom Haupttrio Jeanne Goursaud, David Schütter und Laurence Rupp, und die schöne Kameraführung, die eine ganz spezielle Tonalität erzeugt". "Entertainment Weekly" bescheinigte der Serie, sie wisse genau, wann sie "eine Biegung nimmt, um eine starke Story zu erzählen, während sie im Auge behält, was uns die Geschichtsbücher sagen".
Als Ritterschlag darf auch gewertet werden, dass die "New York Times" Ende Oktober den Launch von "Barbaren" zum Anlass nahm, einen größeren historischen Bogen rund um die politische Vereinnahmung der Varusschlacht durch Nationalisten und Rechtsextreme zu spannen. Seit dem Dritten Reich wird der frühgeschichtliche Sieg der germanischen Stämme unter Führung von Arminius in diesen Kreisen gern zum Gründungsmythos des deutschen Volkes und Beweis seiner Überlegenheit verbrämt. Ausführlich legte die "Times" dar, wie es der Serie gelingt, diesen Mythos zu entwurzeln, indem sie Arminus bewusst als Migranten erzählt und die siegreichen Stämme als Nomaden, die den Teutoburger Wald lange vor irgendeiner germanischen oder gar deutschen Gesellschaftsbildung verließen.
Indem sie die Streamingwelt mit den "Barbaren" konfrontierte, wurde Sabine de Mardt also gleich im doppelten Sinne zur Kulturbotschafterin deutscher Belange. Sowohl auf der Handwerks- wie auf der Bewusstseinsebene hagelt es dafür nun verdient gute Haltungsnoten aus aller Welt. Fernsehdeutschland kann stolz darauf sein. "Derrick" ist schließlich schon lange im Ruhestand.