Wir Physiker
Wigald Boning, Tausendsassa des Fernsehens, ist mir persönlich vor allem aus seinen schrägen Befragungen für „RTL Samstag Nacht“ in Erinnerung. Mein Lieblingsboning: Der kleine Mann mit den seltsamen Fragen auf einer Bootsmesse, wo er die Hersteller der Kähne mit Fragen wie „Was kostet ein solches Brot?“ irritiert. Gestern kam ein neuer hinzu: Nach langem Boykott habe ich mir zum ersten Mal die Show „Clever“ angesehen, untertitelt „die Show, die Wissen schafft“, in der er sich mit seiner kongenialen Partnerin Barbara Eligmann durch aufwändige Dekos wurstelt, dabei nebenbei ein Pseudo-Quiz (Rainhard Fendrich und Heiner Lauterbach, die sich stets einig sind) veranstaltet. Dieser Boning kommt im weißen Kittel, huscht um zwei nervöse Kühe, die im Studio ausharren müssen, um eine Frage zu den Abwehrmechanismen des Klees zu illustrieren. Dieser Boning beginnt Sätze mit „Wir Physiker...“
Das Erbe Joachim Bublaths, der abseits der Knalleffekte über den Klimawandel doziert („Joachim Bublath“) ist nun in den Händen eines geborenen Nerds und der prädestinierten Oberlehrerin. Zwischen „Herrn Boning“ und „Frau Eligmann“ baut sich denn auch automatisch die Spannung auf, die zwischen dem schlauschwätzenden Klassenbesten und der Lehrerin entstehen muss, ein kokettes Tänzeln rund um Mikrowellen-Experimente, Espresso mit oder ohne Milch und Einspielern, in denen Boning Außenexperimente mit vollem Körpereinsatz begleitet. Die Gäste sind dabei sehr nebensächlich, ihre einzige Funktion scheint es, die jeweils aus den Augen des Durchschnittszuschauers naheliegendste Antwort auf derlei überflüssige Fragen zu vertreten. Der Aha-Effekt der Experimente ist aber, geschuldet der langjährigen Ausbeutung der Naturwisschenschaften durch „Knoff Hoff“, eher verhalten, eigentlich wissen wir schon alles, was in den „Auch das ist Physik“-Büchern steht oder unter der Rubrik „nutzloses Wissen“. Gefragt scheinen jetzt familientaugliche Knalleffekte, und im ironischen Umgang mit der Rolle der labernden Laborratte personifiziert Wigald Boning das schöne an dieser Show: Sie nimmt sich selbst nicht ernst.
Das kann man ohne weiteres auch von der Produktion des englischen Senders Sky behaupten, die derzeit auf VIVA in Heavy Rotation läuft und in den Foren der jungen Nerds – von GIGA über das „Forum der Chemiestudenten“ – ungleich größeres Echo erhält als „Clever“. Die Zielgruppe von „Brainiac“ unterscheidet sich von den Zuschauern von „Clever“ in ihrer Dynamik. „Clever“ mag nett unterhalten, „Brainiac“ bietet Ersatzreligion für pubertierende Bastler und Chemiker. Die britische Reihe arbeitet mit dem nihilistischen Selbstverständnis von „Jackass“ und dem subversiven Tatendrang kleiner Sprengstoff-Tüftler. Wichtigste Bestandteile der Sendung sind der Humor der Beteiligten und die jugendspezifische Anziehungskraft von Explosionen und Alkohol. Mit Pudding gefüllte Swimmingpools, schaumspuckende Toiletten, die Wirkung starker Beruhigungsmittel und flammende Wortmeldungen von „Tina Turner and her Bunsenburner“: Außer einer anstrengend unpassenden Off-Stimme fügt sich alles in das Bild einer guten Trash-Show. Dass Uni-Seminare mit der Frage: „Ist ‚Brainiac’ noch Wissenschaft?“ völlig umsonst sind, beweist schon der Aphorismus „Brainiac knocks at Science’s door, then runs away“. Auf der Suche nach den kleinen Mysterien kommt es denn auch immer wieder zu Schnittmengen mit „Galileo“ (das kräftig abgekupfert hat) und „Clever“. Das Tableau ist nicht mehr sehr voll, und so konzentrieren sich die Brainiacs zuvorderst auf das Sprengen von Wohnwägen.
Es ist vielmehr ein unterschiedlich radikaler Unterhaltungsansatz von Ulk-Experimenten, die „Clever“ und „Brainiac“ auszeichnen: Durch ihre Protagonisten getragene Zersetzung der Naturwissenschaften in ihre Entertainment-Teilchen. Was in der Sat.1-Produktion der schnoddrige Klassenbeste Boning, ist beim Guerilla Science der englischen Reihe Gangleader Richard Hammond als “Chief Idiot”, in Gefolgschaft von von Jon Tickle, 2 Brains, Charlotte, Bunhead und Peter. Wigald Boning und Barbara Eligmann könnten ihre Eltern sein. Was von den Wissenschaften übrig bleibt, ist die kindliche Freude am Experiment und die radikale Egozentrik eines Forschers. „Clever“ und „Brainiac“ bedienen den Fernsehzuschauer zielgruppenspezifisch mit dem, was knallt und zischt. Wir Forscher fühlen uns gut unterhalten. Wir Physiker bleiben lieber fern der Uni.