Grand Prix de la Baisse

Grafik: DWDL2004 war es ein crossmediales Zwischenspiel, eine gelungene Mixtur, die einen scheinbar gesunden Eurovision Song Contest zeigten: Die merkantilen Daumenschrauben des Jürgen Meier-Beer, die Millionen Zuschauer, die Raab mit einbrachte, und die starke Stimme eines Herrn Mutzke aus dem Schwarzwald. ProSieben beatmete einen totgeglaubten Giganten, denn eigentlich hatte niemand mehr an den Grand Prix d'Eurovision de la Chanson geglaubt.

In diesem Jahr feiern wir die Rückkehr zur Realität, Stefan Raab organisiert seinen eigenen Wettbewerb mit dem schlecht klingenden Namen "Bundesvision Song Contest", in dem er weder Schlagern, noch sonderlich aufregenden Künstlern eine Primetime-Bühne gibt, sondern Airplay-Lieblingen wie dem Wokkiffer Sido oder den Realschulrockern Juli. Jürgen Meier-Beer ist deutlich ruhiger geworden. Mutzke versucht sich als unser aller Schmusebarde an den Castingshow-Konstrukten der Konkurrenz vorbeizustreicheln.

Die wiederum dürfen, und darin mag man eine neue Kontinuität erkennen, jetzt den Vorentscheid des NDR füllen. Während Mutzke (ProSieben) im letzten Jahr konkurrenzlos nach Istanbul nominiert wurde, stritten sich diesmal im wesentlichen Gracia Baur (RTL), sowie Nicole Süßmilch (RTL) / Marco Mathias (ZDF) um ein Visum für die Ukraine. Die Frankfurter Rundschau erkennt darin einen "Wurmfortsatz", und bleibt man bei der Methaper, dann haben all die Castingshows den Boden wohl längst aufgefressen in dem kleinen Segment Grand-Prix-fähiger Unterhaltungsmusik.

Jürgen Meier-Beer hatte 2004, begleitet von Protesten und Ovationen, eine neue Zeitrechnung ausgerufen, indem er Wildcards vergab für Titel, die es schon vor dem Grandprix in die deutschen Charts geschafft hatten. Bei aller Freude über ein gelungenes Ergebnis, das dem NDR die Wildcard für Max beschert hatte wird jetzt deutlich, wie sehr Meier-Beer seiner eigenen Sendung misstraute.

Dem Grand Prix ist es offenbar nicht mehr möglich, Stars zu machen, schon gar nicht von einem Format, das gegen die Balkan-Connection im europäischen Voting eine Chance hätte.Statt dessen verliert sich die Show als Wurmfortsatz im Dilemma der ARD-Samstagabendunterhaltung: Im Wissen um ein mieses Image kommt sie nicht heraus aus ihrem Minderwertigkeitskomplex. Was sonst Frank Elstner oder, erfolgreicher, Jörg Pilawa übernehmen muss, wurde diesmal ausgerechnet Reinhold Beckmann aufgetragen.

Beckmann, der jede Woche zäh genug ist, eine der miesesten Sendungen im deutschen Fernsehen zu verantworten und offensiv dafür zu sorgen, dass jeder seiner Gäste ein bisschen besudelt versuchen muss, die peinliche Psychiater-Stunde zu erklären. Beckmann passt in Habitus und Sprache zu einem Selbstverständnis: Unterhaltung im Ersten, ein Ego-Problem, ein Sportmoderator,im Versuch, die Welt immer wieder zu erklären und zu erkunden, die Grenzen, die ihm dabei gesetzt sind, das ist die beste Besetzung für einen Grand Prix de la Baisse.

Fast mag man Super-Köhler um Rat fragen, was zu tun ist mit einer Veranstaltung, die Illusionen produzieren soll, aber dort endet, wo Beckmann witzig wird: "Von einer heterosexuellen in eine neue Welt!", kündigt er die singende Lesbe Villaine an, und man ist sich sicher, dass er diesen Satz ernst meint. Jürgen Meier-Beer hätte noch ein Stück ehrlicher sein können und die Bewerbung der Jacob Sisters annehmen sollen. Die hatten eigentlich in Windeseile einen echten ARD-Hit geschrieben: "Moshammer lebt!".