Verlorenes Sendungsbewusstein: Du, VIVA
Du, Viva,
warst der Boom. Du warst Samy Deluxe und Ferris MC, du warst deutsche Kleinstädte mit Gangster-Rap, warst E-Mails vorlesen und Klassenzimmer. Warst deutsch, klein, bunt, leidlich unterhaltsam, geschwätzig. Deine Moderatoren waren nicht cool; sie waren wie ihre Zuschauer: Nicht immer gutaussehend, oft ein Bisschen fehlgeleitet, meist fanatisch und voller falschem Idealismus.
Du, Viva,
Du warst Köln, warst Fließbandfernsehen, warst Verwurstungsküche und Verwertungskettenglied, du warst nie cool. Du warst voller Spinnereien und schlechter Ideen, deine guten hast du preisgegeben, deine schlechten hast du in alle Welt ausgerufen. Du warst Spielplatz und Friedhof: Du warst Raab und Fleischmann TV. Du warst Interaktiv, warst der Nachmittag, warst das Verdauungsschläfchen und Dekoration für lange Telefonate. Du warst hier: In Deutschland. Du warst nie in Amerika. Du warst nie cool.
Du, Viva,
hast viele Talente und viele Idioten aus der Taufe gehoben. Die Talente wurden erst nach ihrer Zeit bei dir gut, die Idioten waren geliebte Fratze auf dem kritischen Zerrbild der Reflektionen über dich. Die Talente wurden Schauspieler oder Moderatoren; die Idioten blieben Ansager, bis sie sogar dafür zu idiotisch wurden oder sich von RTL ondulieren ließen. Deine Leute waren so deutsch wie „Neon“, deine Figur war immer etwas schäbig, du hattest zu viel Fett auf den Hüften und kein schönes Gesicht, man mochte dich, wenn man betrunken war, man liebte dich, wenn man so war wie du, ganz kurz.
Du, Viva,
wirst mir nicht fehlen. Dafür warst du zu wenig: Zu wenig von dem, was du versprachst, zu wenig von dem, was dein Potential war. Du hast es nie geschafft, meiner Generation VIVA mehr als ein Event-Bewusstsein in politischer Kultur nahezubringen. Deine Strohfeuer haben nur kurz geblendet. Deine Stars waren Kometen: Wenn man sie sieht, gehen sie nicht auf, sondern fallen.
Du, Viva,
wolltest immer das Richtige: Du wolltest bunt sein, so wie deine Zuschauer cool sein wollen, aber nur bunt sind; du warst immer bunt und nie Ton in Ton. Das sah oft unästhetisch aus und meistens habe ich dir nicht lange zusehen können beim bunt sein. Ich mochte an dir, dass du wusstest, dass du nur bunt bist, nicht cool, und wolltest, dass wir alle bunt sind.
Du, Viva,
warst die Klassensprecherin. Jeder kannte dich, hat mir dir telefoniert. Keiner stand auf dich, fand dich sexy. Die stilleren in der Klasse sahen zu dir auf, mochten deine große Klappe; die Coolen fanden dich belästigend und sahen nicht ein, worum du dich gekümmert hast. Man hat mit der telefoniert, stundenlang, aber man hat nie eine Erektion dabei bekommen. Du warst eine gute Vertreterin auf der Schulkonferenz. Erreicht hast du nichts.