Vorm Arbeitsamt: Ein Abschied von "Hire or Fire"
Der Mann kann sich freuen. „Vom Klempner zum Manager“ ist Anthony aufgestiegen, vom Gebrauchtwagenhandel zum Merchandising für Super RTL. Er kann sich als der große Gewinner von „Hire Or Fire“ fühlen, der Show, die in nach der ersten Folge feuerte. Anthony, der „freundliche Schwarze“ (Süddeutsche), verließ enttäuscht die lieblos dahergestampfte Bürokulisse von John de Mol. Er sei wohl eher als Manager denn als Creative Director geeignet, so de Mol, dessen Entscheidung nach einer ersten „Challenge“ fest stand. Anthony hatte den Models, die für seine Arbeitsgruppe auf der Straße Autos geputzt hatte, eine Pause gegönnt und sich den Unmut der übrigen Teammitglieder zugezogen.
Anders als für Anthony sind es wohl schwere Stunden für den 36-jährigen Marcell, der Erfahrungen hat mit der Produktion halbseidener „Bild“-Schlagzeilen, auf den die erste Etappe des Endemol-Castings zielte: „Trotz Höhenangst“ kletterte er auf den Balkon einer Ex-Freundin, „um sie zurückzugewinnen“. Im Verhör mit de Mol und seinen Beratern Alain Midzic (bekannt als Manager von Verona Feldbusch) und Caroline Beil (bekannt als Opfer einer Straußenvogel-Attacke) erwies er sich als Sieger in der Kategorie des Anglicism Droppings und hatte zudem seine Lektion Vorstellungsgespräche gepaukt: „Weil sie von mir profitieren können, Herr de Mol“ blieb er im Rennen und steht nun wie acht weitere Bewohner des „Kandidatenlofts“ vor dem Scherbenhaufen – statt weiterhin im 100%-IKEA-ausgestatteten Wartesaal auf seinen Traumjob zu warten. „Manisch!“ diagnostizierte Beil den Producer und Media-Consultant, „manisch-depressiv“ könnte sein Zustand jetzt sein. Hat John de Mol einen Balkon?
Was bitte, Herr de Mol, sind 950.000 Zuschauer zur Primetime? Was sind 2,2 % Marktanteil um 20.15 Uhr? Warum fanden die Zuschauer keinen „Grund, für eine Sendung zu Hause zu bleiben“? Weil der Off-Kommentar nach „Blitz“ klang und die Kandidaten nach „Dresdner Sonntagsbörse“ aussahen? Nichtdoch, da war doch zum Beispiel Thomas aus Köln, Preisträger des Eyes and Ears Awards, optisch Berlin Mitte, oder die Unternehmensberaterin Ola, optisch russisches Model. An den Gesichtern kann es doch nicht gelegen haben, an Pierre, dem schnuckeligen, südländischen Freelancer, Tiziano, dem verhuschten „Kopf eines Musikverlages“, oder gar an der 28-jährigen Tatiana, die auf der Website der Sendung als „rassig und alleinstehend“ angepriesen wird und John de Mol als „großartigen Mann“ würdigte, nicht ohne dabei mit den Augen zu klimpern wie die eher unkreativen Kolleginnen an der Oranienburger Straße in Berlin. Was habt ihr denn falsch gemacht?
Vielleicht sollte man Alain Midzic fragen. Wer Verona Feldbusch ein halbes Jahrzehnt in den Medien halten kann, weiß, wie man aus Scheiße Gold macht. Vielleicht weiß der die Antwort, der als Kontrolleur die Aktionen der beiden Kandidatenteams bewertete. Eine Schlagzeile solle her. Midzic musste protokollieren, wie ein Team Models engagierte, die für die Opfer des Geiseldramas von Beslan, der wohl grausamsten Katastrophe in der Geschichte des Terrorismus, Autos putzten. Ich kann mir nicht vorstellen, das Alain Midzic so schmerzresistent ist. Dass er nicht einen einzigen Moment dachte: „Scheiße, was machen die hier?“, dass er nicht das Gefühl hatte, einem hoffnungslos fehlgeleiteten Haufen von Young Urban Unfähigen aufgesessen zu sein, kurz: Dass John de Mol das Casting völlig in den Sand gesetzt hatte.
Vielleicht war es aber auch erst dann, als er das zweite Team abfing, dass in unübertrefflicher Unbeholfenheit Jürgen Drews, den Drews, den jeder Medienwissenschaftserstsemester mit den Qualitätssiegeln „abgeschmackt, ausgebrannt, Pausenclown“ wegschieben würde, diesen Drews anrief, um allen Ernstes Geld zu verteilen. An sich keine schlechte Sache, als Schlagzeilenköder vielleicht ein ganz klein wenig angestaubt, aber Geld zu verteilen, Alain Midzic musste hin, mit Jürgen Drews Geld zu verteilen, vorm Arbeitsamt. Aus Gold – satte 34 Stunden für eine Schlagzeile, mit je fünf Mann und einem Budget – wurde gequirlte Kacke.
Auch wenn das nicht den Misserfolg der Sendung erklärt – de Mol: „es hat keinen interessiert“ – ist es doch der Indikator für das kreative Potential dieser Menschen. Das Yuppieteam, die Jobstars, die Kandidaten für den „besten Job der Welt“, die 300.000 Euro jährlich verdienen wollten, die dies zum Glück nicht tun werden und hoffentlich nie in der Lage sein werden es zu tun, stellen sich mit ihren Taft-Frisuren und Gucci-Leibchen vor die Leute, die darunter leiden, wie unfähig unsere Führungskräfte haushalten.
Die Männer und Frauen, die trotz himmelstrotzender Blödheit für diesen Job in Frage kamen, stellen sich vor Menschen, die einmal im Monat um Geld für ihren Lebensunterhalt bitten müssen oder nach einer Aufgabe suchen, die ihn ihnen ermöglicht. Es muss Alain Midzic wirklich weh getan haben, und insgeheim, glaube ich, sogar Jürgen Drews. Vorm Arbeitsamt.
Ich wünsche mir von ganzem Herzen, dass Marcell und seine manischen Freunde dort nächste Woche wieder stehen. Außer Anthony vielleicht.