"Meine sehr verehrten Damen und Herren, in diesem Moment sind Sie Zeuge des Starts des ersten privaten Fernsehveranstalters in der Bundesrepublik Deutschland."
Mit diesen Worten hat Jürgen Doetz am 1. Januar 1984 die mutmaßlich wenigen Zuschauerinnen und Zuschauer von PKS begrüßt. Es waren die ersten Worte, die im deutschen Privatfernsehen gesprochen wurden, daher sind sie in die Geschichte eingegangen. Genauso wie Doetz selbst, der im Video-Podcast "40 Years On Air" von VAUNET und DWDL.de nochmal über die schwierigen ersten Jahre spricht. "Die Öffentlich-Rechtlichen haben uns nicht ernst genommen. Die waren erlahmt in ihrem Können, Wollen und Probieren", sagt Doetz bei der gedanklichen Zeitreise zum Jubiläum des privaten Rundfunks. Zunächst sei man belächelt worden. Das habe erst zwei Jahre später aufgehört.
"Richtig wahrgenommen wurden wir zwei Jahre nach dem Urknall, als Peter Gerlach zu uns gekommen ist. Er war ZDF-Programmdirektor und stand für ‘Traumschiff’ und 'Schwarzwaldklinik'. Beim ZDF kam er in der parteipolitischen Gemengelage nie zum Zug." Dennoch habe man von Anfang an um Aufmerksamkeit buhlen müssen - und das nicht nur beim Publikum, sondern auch bei der Medienpolitik. "Wir mussten in die Aufmerksamkeit rein, weil wir die anderen Länder dazu bringen wollten, uns einzuspeisen", sagt Doetz. "Wir mussten der Politik immer wieder klarmachen, dass es nicht nur ARD und ZDF gibt. Das war verdammt schwer, weil für die Medienpolitik die Prioritäten bei ARD und ZDF lagen."
Und auch der erste Sendetag war durch und durch politisch. Heute kann man sich das kaum vorstellen: PKS, das ein Jahr nach dem Start zu Sat.1 wurde, sendete die Feuerwerksmusik von Georg Friedrich Händel, beendet wurde der erste Sendetag mit der 9. Sinfonie von Ludwig van Beethoven. "Natürlich hatten wir uns was dabei gedacht", sagt Doetz. "Nachdem uns der Bundeskanzler a.D. mal die Ehre angetan hat zu erklären, dass das Privatfernsehen gefährlicher als Kernkraftwerke sei, haben wir gesagt: 'Okay, versuchen wir es mit der Feuerwerksmusik'. Das war bestimmt nicht das Programm, auf das die Leute scharf waren, als der private Rundfunk kam. Aber für die Politik war es zielführend."
"Wir mussten der Politik immer wieder klarmachen, dass es nicht nur ARD und ZDF gibt. Das war verdammt schwer, weil auch für die Medienpolitik die Prioritäten bei ARD und ZDF lagen."
Selbst die Gesellschaftsverhältnisse beim ersten deutschen Privatsender waren maßgeblich durch die Politik bestimmt. Weil man nicht wollte, dass ein Gesellschafter zu viel Einfluss erhielt, waren neben Leo Kirch auch viele Verlage an Sat.1 beteiligt. "Das war eine mediale Zwangsheirat", sagt Doetz heute, der außerdem von "heftigen Sitzungen" berichtet. "Der Höhepunkt war der, als sich Leo Kirch und die Verlage gegenseitig aus der Sat.1 ausgeschlossen hatten. Der Aufsichtsrat tagte dann unter Vorsitz eines Rechtsanwaltes. Da ging es um den Einkauf von Filmpaketen und ihrer Finanzierung." Zu Beginn seien die Verlage notwendig gewesen, weil man ohne sie die Lizenz nicht erhalten hätte. "Hilfreich waren sie zu dem Zeitpunkt nicht. Und sie musste lernen, das Fernsehen viel Geld kostet."
Dass die Politik zunächst erklärte, Sat.1 sei lediglich ein Projekt auf Zeit und immer wieder rückholbar, sorgte für entsprechende Unsicherheit. Doch das legte sich schnell, denn bald wurde allen klar, dass das Privatfernsehen nicht mehr einfach zu stoppen sei. "Nach zwei Jahren gab es die ersten Länder, die die Einführung des Privatrundfunks für ihre Geltungsbereiche akzeptiert hatten. Da hat die Realität die Rechtsprechung überwunden. Das war der erste Punkt, an dem wir gemerkt haben, dass wir von Seiten der Regulierung her fest im deutschen Markt sind." Auf inhaltliche Highlights angesprochen nennt Doetz die mit großem Tamtam erworbenen Bundesliga-Rechte im Jahr 1992 - aber nicht nur. "Es war nicht nur der Sport. Wir hatten in Sat.1, und das wird heute oft vergessen, die erste Talkshow am Sonntagabend mit Erich Böhme. Erst danach kam die ARD mit diesem Sendeplatz. Wir hatten gute Fernsehfilme und Eigenproduktionen. ARD und ZDF haben irgendwann gemerkt, dass sie uns nichts links liegen lassen können".
Viele dieser programmlichen Highlights fielen in die 90er Jahre, die gemeinhin als "wilde Jahre" des Privatfernsehens bezeichnet werden. Doch was waren dann die 80er? Jürgen Doetz sagt, das sei diese Zeit gewesen, in der man erwachsen geworden sei. "Da hat sich die mediale Vielfalt und die Akzeptanz bei den Zuschauern entwickelt. Nach zehn Jahren hatten wir den Punkt erreicht, an dem wir sagen konnten: Wir erreichen die Republik. Danach konnte man sich austoben, weil die Machtverhältnisse geklärt waren."
Private und ihr Beitrag zur Demokratie
Heute haben ARD und ZDF die Privaten natürlich längst akzeptiert und frühere Streitereien begraben. Dennoch sieht Doetz Herausforderungen für die Branche. Im Gespräch mit Thomas Lückerath schließt er sich dem VAUNET-Vorsitzenden Claus Grewenig an, der zuletzt immer wieder deutlich machte, dass die Refinanzierung für die Privatsender immer schwieriger sei. "Wenn wir demokratierelevant sind, muss man uns die Finanzierung ermöglichen. Es kann nicht sein, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinen Demokratiebeitrag mit Gebühren bezahlt und wir keine Chancen haben, unser Programm zu finanzieren. Da sehe ich in der Politik einen erheblichen Nachholbedarf", sagt Doetz und verweist auf das geplante Verbot von Werbung für ungesunde Lebensmittel.
"Es kann nicht sein, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinen Demokratiebeitrag mit Gebühren bezahlt und wir keine Chancen haben, unser Programm zu finanzieren. Da sehe ich in der Politik einen erheblichen Nachholbedarf."
Überhaupt ist der Beitrag, den die Privaten zur Demokratie leisten, für Doetz ein wichtiger Punkt - auch für die kommenden Jahre. "Es gibt die Erkenntnis, dass wir Programmveranstalter sind, die für die Gesellschaft eine Bedeutung haben und die wichtig sind." Niemand unterschätze mehr den Privatrundfunk. "Mit Sorge sehe ich, dass es notwendig geworden ist zu sagen: ‘Vergesst nie, dass es unser Ziel sein muss, neben dem Geld verdienen, die Demokratie in Deutschland zu stärken. Diese Diskussion muss jeder führen und das muss allen bewusst sein." Natürlich wolle man die Menschen im Gegensatz zu den Öffentlich-Rechtlichen stärker unterhalten. "Aber wir müssen Inhalte anbieten und dafür stehen, dass es Werte gibt, die die wichtigsten sind", sagt Doetz und verweist auf die Rolle, die den Privaten hier auch im Vergleich mit neuen Medien zugeschrieben wird.
Mit der Zeit haben private und öffentlich-rechtliche Sender weiter zueinander gefunden - und arbeiten heute auf verschiedenen Ebenen zusammen. Inzwischen erstreckt sich der Kampf um die Gunst der Zuschauerinnen und Zuschauer längst auch auf die großen (Streaming-)Plattformen. Hier plädiert Doetz für pragmatische Lösungen: "Wir müssen uns mit den Plattformen verständigen. Ein Krieg mit Google ist schwierig", sagt er.
Das war der größte Fehler von Jürgen Doetz
Im Gespräch mit Thomas Lückerath spricht Jürgen Doetz auch über den aus seiner Sicht "Fehler meines Lebens". Es war die Zeit nach der Übernahme von ProSiebenSat.1 durch Haim Saban infolge der Kirch-Insolvenz. Saban sei zu ihm gekommen und habe ihn gefragt, wann er endlich die Werbung bei ARD und ZDF abgeschafft habe. Und dann folgte eben der erwähnte "Fehler". Doetz: "Ich habe ihm [Saban] versucht, die deutsche Regulierungslandschaft zu erklären. Das war der Punkt, an dem er dachte, er muss als Amerikaner in Deutschland aufräumen". Nach der Übernahme sei Sat.1 zu einem anderen Sender geworden. "Sat.1 lebte zwar noch mit seiner Geschichte, war aber in der neuen Konstruktion nur noch einer von mehreren Sendern."
Aber was wäre eigentlich passiert, wäre das Kirch-Imperium nicht zusammengebrochen? Vielleicht wäre Sat.1 heute ein anderer Sender. Sat.1 sei immer ein "Eisbrecher" bei gewissen Themen gewesen, sagt Doetz. Vor allem in der Politik. Ein Jahr vor dem Konkurs gab es die Fusion mit ProSieben. "Der damalige ProSieben-Vorstandsvorsitzende sprach vor unseren Mitarbeitern in Berlin vor einer ‘Mariage d'amour’. Jeder, der dabei war, hat davon nicht viel erlebt. Die meisten Mitarbeiter gingen nicht mit nach München. Ab dem Zeitpunkt änderte sich der Stellenwert von Sat.1 im Kirch-Imperium. Da konnte ProSieben, auch als Münchner Sender und unbehelligt von medienpolitischen Geschichten wie Drittsendezeiten, die Früchte ernten. Die Situation für Sat.1 war innerhalb des Konzerns schwierig und das spürt man ja auch heute noch, dass es gewisse Prioritäten gibt." Durch die Insolvenz der Kirch-Gruppe änderte sich schließlich alles.