Das muss man erstmal schaffen: Frankfurt als verruchten Sehnsuchtsort mit der gewissen Coolness von New York City zu inszenieren, dabei aber noch authentisch zu bleiben. Es sind zweifelsohne die Bilder, auch die Musik, die zuerst auffallen bei „Die Zweiflers“, der neuen Serie aus der Feder von David Hadda, produziert von Turbokultur für ARD Degeto und deren Weltvertrieb in den Händen von ZDF Studios liegt. Spätestens seit dem Dreifach-Sieg beim Festival Canneseries Anfang April gibt es schon große internationale Aufmerksamkeit, doch jetzt startet die sechsteilige Miniserie erst einmal in der ARD-Mediathek, läuft in einer Woche dann auch - aus guten Gründen - erst später am Abend im Ersten.

Die Bildsprache zieht rein, die Charaktere tun ihren Teil dazu. Was etwas länger braucht um sich zu entfalten, ist die Story. Das ist zu verschmerzen, weil man sich während des Wartens auf Plot-Twists verliebt in diese chaotische Familie, gefangen zwischen dem Gestern und dem Morgen. Familienpatriarch Symcha Zweifler (gespielt von Mike Burstyn) will sein Feinkost-Imperium verkaufen. Doch warum nur, an wen eigentlich - und was macht diese Familie künftig aus, wenn die Firma als alles bestimmender Mittelpunkt aus den Händen gegeben werden würde? Die Antworten darauf ziehen sich, weil wir erst einmal die Familie kennenlernen, die auch noch Zuwachs bekommt, was einmal mehr Fragen nach der Zukunft einiger Traditionen aufwirft.

Es geht bei "Die Zweiflers" um die ganz großen Themen, von leider beklemmender Aktualität; immer wieder aber gemixt mit herrlich irrelevanten Beobachtungen von Alltäglichem, etwa der Herausforderung von Kartenzahlung mit zu langen Fingernägeln. Sunnyi Melles (spielt Familienmutter Mimi Zweifler) sorgt in solchen Momenten für die Komik im wunderbaren Ensemble. Mag sie die lauteste Rolle haben, so spielt die US-Amerikain Eleanor Reissa mit ihrer enormen Bühnenerfahrung die leisere Großmutter Lilka, die zwar ein ähnliches Pflichtbewusstsein für Traditionen und Familie pflegt, aber weit subtilere Taktiken anwendet. Man lernt diese verschrobene Familie lieben, weil die Zeichnung der Charaktere Vorrang hat gegenüber zu schnellem Storytelling.

Immer wieder Turbokultur! Man muss konstatieren, dass aktuell bei keiner anderen Produktionsfirma die Größe in einem derart effizienten Verhältnis zum kreativen Output steht, was bei dem Unternehmen von Martin Danisch und David Hadda einer Liebe zu selten erzählten Perspektiven aber besonders zu echten Charakteren geschuldet ist. Und das sowowhl non-fiktional mit dem mehrfach preisgekrönten „Freitag Nacht Jews“ und Daniel Donskoy oder der gerade erst mit dem Grimme-Preis ausgezeichneten „Bossetti Late Night“ mit Sarah Bossetti oder in Serienform bei der mehrfach nominierten Comedy „Deadlines“ mit den herrlichen Frauenfiguren aus der Feder von Nora Gantenbrink und Johannes Boss, hervorragend besetzt mit Jasmin Shakeri, Llewellyn Reichman, Salka Weber und Sarah Bauerett.

Und jetzt „Die Zweiflers“, wo einmal mehr also der Cast heraussticht und maßgeblich dabei hilft, in diese  Serienwelt in Frankfurt einzutauchen, weil Mike Burstyn als Großvater der Familie Zweifler oder Sunnyi Melles als überengagierte Mutter des Familienclans mit ihren beeindruckenden Karrieren zwar enorme Schauspielleistung mitbringen, aber gleichzeitig nicht vorbelastet sind durch Karriere-prägende Rollen; ein Dilemma mancher deutschen Produktion, die nach bekannten Namen casten und dann daran scheitern, dass das Publikum nicht über den Namen hinweg zur gespielten Rolle vordringen kann.

Der internationale Cast von „Die Zweiflers“, auch dank der Britin Saffron Coomber als Partnerin von Zweifler-Enkel Samuel (Aaron Altaras), gibt da weit mehr Projektionsfläche und lässt uns, das Publikum, frei von Irritationen eintauchen. So ist das Werk eben nicht "Die neue Serie mit X oder Y" sondern bekommt die Chance ein ganzes Ensemble unbelastet einzuführen. Der US-Branchendienst „Variety“ sprach im Vorfeld der Weltpremiere beim Festival Canneseries von einem jüdischen „Succession“, auch der Vergleich mit einem anderen HBO-Klassiker, den „Sopranos“, wurde schon mehrfach gezogen. Keinen dieser Schuhe muss sich „Die Zweiflers“ allerdings anziehen, weil es seinen eigenen Weg geht und damit gar nicht die Frage beantwortet werden muss, ob diese Fußstapfen nicht etwas zu groß wären.

Die Schublade, in die man die Serie aus der Feder von David Hadda stecken könnte, muss noch erfunden werden - was neben der kraftvollen wenn auch gemächlichen Story besonders an der Inszenierung von Anja Marquardt und Clara Zoe My-Linh von Arnim liegt. Was für eine Bildsprache - von der Inszenierung Frankfurts als schmutzige Hometown of Cool über kurze Momente und einzelne Momentaufnahmen bis zu bemerkenswerten Kamerafahrten ohne Schnitt, etwa bei einem Galerie-Besuch in Folge 2. Der Look ist berauschend, sehr stilsicher. Es sind Bilder, zu schade für Smartphone oder Tablet. Diese sechsteilige Miniserie mit ihrer dichten Atmosphäre ist gemacht für die großen Screens und das obwohl es wahrlich keine monumentalen Bilder oder Materialschlachten zu sehen gibt.

„Die Zweifers“ ist im Kern ein kleines Familienepos im Hier und Jetzt, politisch leider aktueller als es sich die Macherinnen und Macher wohl selbst jemals gewünscht hätten. Doch auch wenn es immer wieder um jüdische Traditionen und das zwiespältige Verhältnis zur Heimat Deutschland geht, ist die Serie von David Hadda mehr als das. Mehr als das naheliegende Label des jüdischen Familiendramas. Denn die Frage nach Identität, nach persönlicher Freiheit, Verantwortung und Zugehörigkeit - die geht über Religion(en) hinaus. Einmal eingetaucht in diese Serienwelt mit ihrer herausragenden Optik, ihren gleichermaßen liebenswerten wie merkwürdigen Charakteren und eben diesen Fragen, will man nach nur sechs Episoden nicht schon wieder Abschied nehmen. Das muss Folgen haben!

"Die Zweiflers", ab sofort in der ARD-Mediathek. Am 10. Mai um 22:20 Uhr im Ersten alle sechs Folgen am Stück.

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