Seit Anfang des Jahres praktiziert Caren Miosga am Sonntagabend im Ersten die Anti-Rottweiler-Taktik: Ihren neuen Polittalk beginnt die Gastgeberin – sofern die Aktualität nicht anderes gebietet – seitdem konsequent mit Einzelgesprächen. Die dafür eingeladenen Politiker:innen können ausreden, in Ruhe ihren Standpunkt erklären und brauchen mit niemandem um Gesprächsminuten zu konkurrieren.

Das war eine hervorragende Entscheidung.

Denn sie führt dazu, dass "Caren Miosga" sehr viel weniger streitgetrieben funktioniert als andere Polittalks im deutschen Fernsehen. Und es vergrößert die Chance, nachzuvollziehen, was Miosgas Gesprächspartner:innen in ihrem Handeln antreibt, ohne dass sie sich zwischendurch reflexartig in politische Kontrahent:innen verbeißen.

Die Jagd, die Musik, der Schulhofrat

"Ich glaube, dass Politikerinnen und Politiker anders antworten, wenn sie nicht das Gefühl haben, dass in der Runde lauter Rottweiler lauern, die sich gleich auf sie stürzen", hatte Miosga dem "Spiegel" (Abo-Text) zuvor den von ihr gewählten Ansatz erklärt. Ziel sei, "dass jemand seine Rolle – wenn auch nur für eine Millisekunde – verlässt",

Persönlichen Fragen im selben Gespräch wich sie aus, woraufhin der "Spiegel" wissen wollte: "Sie sprechen nicht gern über sich, oder?" – "Ich rede lieber über andere." Was auch deshalb von Bedeutung ist, weil Miosga von ihren Gästen nun Woche für Woche verlangt, in nicht geringem Maße über sich selbst zu sprechen: über zentrale Ereignisse aus ihrer Vergangenheit, prägende Begegnungen, private Leidenschaften.

Mit Christian Lindner unterhielt sich Miosga umfassend übers Jagen; mit Lars Klingbeil über seine Musikleidenschaft; mit Bodo Ramelow über dessen Umgang mit der Legasthenie; und mit Marie-Agnes Strack-Zimmermann ("Wir gucken mal in Ihre Vergangenheit") über die Schulhoftipps ihrer Brüder.

Geheimwaffe oder Cringe-Generator?

Der "Spiegel" (Abo-Text) hat in diesem Vorgehen einen taktischen Vorteil ausgemacht: "[W]er sich locker macht, offenbart eventuell etwas, das er in formaler Atmosphäre für sich behält". Auch die "SZ" (Abo-Text) glaubt, dass sich Miosga so "eine gewisse Offenheit ihrer Gesprächspartner erarbeitet". Diese Lesart sieht nicht nur darüber hinweg, dass sich professionell geschulte Politiker:innen durch ein paar Fragen zu ihrer Biografie vermutlich nicht so einfach aus der Reserve locken lassen; erst recht nicht, wenn die so vorhersehbar kommen wie bei "Caren Miosga".

Sie schönt auch die Zwischenbilanz der von Miosga gepflegten Polit-Personalisierung, die in den meisten Fällen bislang eher bescheiden bis ärgerlich ausfällt.

Dabei ist die Grundannahme, Politiker:innen stärker als Menschen wahrnehmbar zu machen, ja verständlich: vor allem, wenn sich dadurch die Chance vergrößern lässt, dass ihnen das Publikum über eine halbe Stunde zuhört, bevor Miosga die Sendung zur Debattenrunde öffnet. Doch bislang ist diese – je nach Gesprächsgast unterschiedlich intensiv ausgeprägte – Taktik eher ins Leere gelaufen.

Stattdessen ergibt sich daraus der verkrampft wirkende Versuch, Aktuelles mit Biografischem zu verbinden; sie führt zu schrägen Wortspielen, zusammengeschraubten Überleitungen und überflüssigen Cringe-Momenten – ohne dass sich daraus für die Zuschauer:innen ein Gegenwert erschlösse.

Markus Maverick und Freizeitjäger Christian

"In seiner Partei ist er die erste Geige, aber in seiner Freizeit Gitarrist", stellt Miosga den Parteivorsitzenden der SPD vor und behauptet, sein Laden "war mal wie ein Rockkonzert — nur viel, viel größer", bevor Klingbeil in einer abgefragten Textzeile seiner Lieblingsjugendband Fury in the Slaughterhouse ("This is not the time to wonder") irrtümlich ein Selenskyj-Zitat zu erkennen glaubt und sich entlocken lässt, mit Omid Nouripour im Bundestag zur Verabschiedung eines Kollegen schon mal gitarrengerappt zu haben ("Machen Sie zusammen Musik in der Ampel?").

"Herr Söder, Sie sind ja ein bekennender Film-Fan", der nach jedem Luftwaffengeschwader-Besuch was mit "Top Gun in Bayern" posted: "An welchen Stellen ist Markus Maverick" – dieser "ehrgeizige Pilot" aus dem Tom-Cruise-Streifen, "der für seinen rücksichtslosen Flugstil bekannt ist, aber am Ende immer als Held dasteht"?

Und wenn "hier gewissermaßen zwei Originale aus dem Hochsauerland" am Tisch vereint sind, nämlich eine in Arnsberg hergestellte Designerleuchte neben der CDU-Lichtgestalt Friedrich Merz: "Werden da bei Ihnen Heimatgefühle angeknipst?"

Aus den Erinnerungen des jungen Bodo

Miosga hat den Ehrgeiz, in Erfahrung zu bringen, was damals mit "dem jungen Bodo" los war, als der merkte, "dass er Probleme hatte mit den Wörtern" – umständlich hergeleitet mit einem nachträglichen Glückwunsch zum 68. Geburtstag und der Frage: "Was war wohl Ihr größter Sieg?" und der Andeutung: "'ne persönliche Geschichte." Die FDP-Europawahl-Spitzenkandidatin sollte, nachdem sie als leidenschaftliche Motorradfahrerin in die Sendung hineinkomplimentiert worden war, erklären, was Franz Josef Strauß, den sie "als junge Frau" auf einer Veranstaltung in Duisburg-Rheinhausen gesehen hatte, heute wohl von ihr halten würde. Und: "Herr Klingbeil, ich kenne einen Elftklässler, der hatte mal 'nen Rat für Sie: Bloß nicht in die Politik gehen, ist viel zu anstrengend. Dieser Elftklässler hat mal'n Praktikum gemacht im Niedersächsischen Landtag und heißt" – na, raten Sie mal! Und am besten die Frage gleich mit. Stimmt: "Wann haben Sie zuletzt gedacht: Hätte ich bloß mal auf mein jüngeres Selbst gehört?"

Viele dieser Passagen wirken wie aus alten Interviews zusammengeklaubt – vermutlich, weil sie es auch sind. Und natürlich kann man das so machen, dann allerdings vielleicht mit der Mindestvoraussetzung, sich nicht erst auf Sendung sagen zu lassen, wenn was davon nicht stimmt.

Zumindest tut sich die Gastgeberin keinen Gefallen damit, Kausalzusammenhänge zu konstruieren, auf die ihr Gesprächspartner antworten: "Frau Miosga, es ist tatsächlich komplizierter" (Ramelow). Oder arglos vermeintliche Fakten aus Wikipedia-Einträgen zu verwenden, wie beim AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla: "Ihr Vater war Malermeister." – "Das ist Quatsch." – "Ach was? (…) Aber stimmt es, dass einer Ihrer Söhne Malermeister ist?" Nee, stimmt auch nicht.

Danke für die schöne Vorlage

Und, mein Gott: würde man sowas als Redaktion des vielleicht wichtigsten Polittalks im deutschen Fernsehen vorher nicht ganz genau überprüft haben wollen – erst recht beim Gast einer Partei, die regelmäßig behauptet, dass es die etablierten Medien mit den Fakten nicht so genau nähmen?

Miosgas (auch von anderen Medien bereits kritisiertes) Gespräch mit Chrupalla ist gleichwohl ein hervorragender Beleg dafür, wie schnell der Personalisierungsmethode, wenn man sie auf alle Gäste gleichermaßen anwendet, an ihre Grenzen gerät – weil sie schlimmstenfalls zur Selbstinszenierungsvorlage wird.

Mag sein, dass es als Falle gedacht war, sich bei Chrupalla erst zu erkundigen, ob er "lieber Schnitzel im 'Borchardt' oder Hackepeter in Görlitz" esse – um ihm die intensive Heimatverbundenheit mit der Anschlussfrage um die Ohren zu hauen, warum er dann nicht Spitzenkandidat für Sachsen geworden sei, wo es im Landesverband jetzt drunter und drüber gehe. Half aber nix: Am Ende verwandelte Chrupalla die Chance, sich als "erdverwachsener" Versteher der einfachen Leute zu positionieren, während Miosga Zeit damit vergeudete, zu erfragen, was sein Vater darüber denke, dass "der junge Tino" nun "ein bekannter deutscher Politiker" geworden sei": Der Mann ist stolz – wer hätte das gedacht?

Das eigene Interview genüsslich zerwirkt

Als Miosga zwei Wochen zuvor den Finanzminister zu Gast hatte, wurde mit dem erst minutenlang besprochen, wie "passioniert" er als Jäger sei, ob er beim Wildgulaschkochen für Freunde vom politischen Betrieb entspannen könne, und natürlich: "Lieber Ansitz- oder Drückjagd?"

Mühsam versuchte Miosga Interpretationen in dessen Antworten (Lindner: "Es fühlt sich ein klein bisschen an wie meine Jagdprüfung") hineinzulesen – um das Gespräch dann eigenmächtig zu zerwirken wie ein erlegtes Reh: "Sie holen die Schrotflinte raus, um aus allen Rohren [gegen Koalitionspartner; Red.] zu schießen": "Sollen wir den Einruck gewinnen, die FDP treibt die Ampel vor sich her?"

Ich weiß wirklich nicht, was diese verlorenen Minuten bezwecken sollten, zumal Miosga ihren Gast in dieser Zeit zu einer ganzen Reihe ebenso aktueller wie brisanter Themen hätte befragen können – noch dazu, wenn sie doch selbst eher ungern Auskunft dazu gibt, wie etwa die junge Caren, die damals in Hannover Sängerin einer Schlagerband und später studienbegleitend Reiseleiterin in Sankt Petersburg und Moskau war (behauptet Wikipedia), zu einer der wichtigsten Polittalker:innen des Landes aufsteigen konnte.

Nach vier Monaten "Caren Miosga" lässt sich vielleicht jetzt schon sagen, dass Politiker:innen gar nicht unbedingt dadurch nahbarer werden, dass man wahllos in ihren Biografien herumdeutet.

Miosga weiß, wie's besser geht

Dabei hat Miosga schon demonstriert, wie es besser gehen kann: Indem sie Gäste deren Wahrnehmung von Situationen erklären lässt, die aus dem regulären Politbetrieb herausragen.

Mit Wirtschaftsminister Robert Habeck besprach Miosga nicht nur dessen Umgang mit den öffentlichen Reaktionen auf seine Politik ("Gibt es Verfehlungen, für die Sie sich die Schuld geben?"); sondern fragte auch, ob er das Gefühl habe, dass sich im öffentlichen Protest Grenzen verschieben, wenn er nach einem Kurzurlaub wegen eines wütenden Mobs aufbebrachter Landwirt:innen unter Polizeischutz von einer Fähre geleitet werden muss: "Ja, wahrscheinlich war das anders als sonst", sagt Habeck, seine Worte sehr genau wählend.

Außenministerin Annalena Baerbock hatte nicht nur Gelegenheit, die Situation zu schildern, als Sicherheitskräfte bei ihrem Besuch in der Ukraine eine russische Aufklärungsdrohne entdeckten – oft sicheres Zeichen für einen baldigen Angriff ("Haben Sie in dem Moment gedacht: Das soll jetzt mir gelten?"). Sondern auch darüber zu sprechen, wie sie mit Kampagnen gegen ihre Person umgeht, in denen sich selbst wildeste Unterstellungen durch ständige Wiederholung irgendwann festzusetzen beginnen.

Demnächst: Ihr schönstes Ferienerlebnis

Das waren interessante Einblicke in einen Alltag, der sich für viele Politiker:innen mit einer zunehmenden Zahl an Risiken und Bedrohungen massiv verändert – persönlich gefärbt, aber ohne konstruiert zu wirken. Und einfach: sehr gute Gespräche.

Ganz bestimmt ist es ein harter Brocken (Vor-)Arbeit, das herauszuarbeiten und Interviewpartner:innen da hindurch zu führen. Aber anders wird "Caren Miosga" den eigenen Personalisierungsanspruch kaum seriös aufrecht erhalten können.

Weil die erste Riege der deutschen Bundespolitik sonst nämlich irgendwann erfolgreich durchgemenschelt sein wird und alsbald Gefahr besteht, dass sich Gäste zur wiederholten Einladung dann über ihr Lieblingsessen, ihre Ehrenämter und ihre schönste Ferienerlebnisse befragen lassen müssen.

Und damit: zurück nach Köln.

"Caren Miosga" läuft sonntags um 21.45 Uhr im Ersten.