Beim Diskutieren und beim Schreiben über Serien gibt es zwei wichtige Unterscheidungen, die leider zu oft miteinander verschwimmen: die professionellen Kriterien und der persönliche Geschmack.
Professionelle Kriterien sind zum Beispiel:
Wie ist die Serie technisch umgesetzt?
Gibt es eine Charakterentwicklung und ist sie glaubwürdig?
Sind die Dialoge aus den Figuren und der Handlung heraus authentisch oder wirken sie hölzern?
Ist eine Identifikation mit den Charakteren möglich?
Ist die Handlung vorhersehbar oder unglaubwürdig?
Sehen die Spezialeffekte überzeugend aus?
Entsprechen die Kulissen dem Eindruck, der mittels Geschichte und Charaktere erzeugt werden soll?
Wie ist die Schauspielerleistung?
Sind die Schauspieler passend gecastet?
Unterstützt die eingesetzte Musik die Handlung?
Für Comedys: Stimmt das Timing?
Es gibt noch viele weitere Fragen, die sich Kritiker stellen, je nach Genre. Aber bei diesen elf Kriterien will ich es jetzt erstmal belassen.
Beim persönlichen Geschmack ist allerdings nur eine einzige Frage entscheidend:
Ist das was für mich?
Und in dieser Frage schwingt sehr viel mit: die Lebenssituation der Person (zum Beispiel: Stadt/Land? Beruf? Single, Paar oder Familie?), der Erfahrungshorizont, die persönlichen Interessen, der Humor, die Toleranz für Gewaltsszenen, die Stimmung, in der man gerade ist und noch einiges mehr.
Ich bemühe mich immer, diese Trennung einzuhalten. Was nicht einfach ist, weil beim Gucken sehr viel Gefühl mitschwingt (und bewusst von den Serienmachern erzeugt wird) - weshalb sich der Geschmack oft als professionelles Kriterium zu tarnen versucht. Und: Die professionellen Kriterien sind nicht immer eindeutig zu bewerten. Weil ich aus eigener Erfahrung weiß, dass für das Gefallen einer Serie immer der Geschmack die entscheidende Rolle spielt, werden Sie von mir nur in absoluten Ausnahmefällen Sätze wie "Die beste Serie" oder Listen wie "Die 10 besten Serien des Jahres" lesen - bei mir lauten die Sätze dann eher "die meiner Meinung nach beste Serie" oder die Listen "Die 10 Serien, die mir in diesem Jahr am besten gefallen haben".
Mir hat die gerade gestartete HBO-Serie "Vinyl" gezeigt, wie wichtig es ist, dass ich mir diesen Unterschied bewusst mache:
Regie-Meister Martin Scorsese höchstpersönlich hat diese Serie gemeinsam mit Mick Jagger (ja, der von den Rolling Stones) und Terence Winter (ja, der von "Boardwalk Empire") erdacht, geschrieben und dann auch die Pilotfolge selbst gedreht. Die Serie spielt in der Musikszene New Yorks Ende der 70er-Jahre und im Mittelpunkt steht Richie Finestra (Bobby Cannavale), der Boss eines Plattenlabels, der sich in allerlei verstrickt (Betrug, Gewalt, Drogen) und versucht, sein Plattenlabel zu retten. Die Bilder sind opulent, die Ausstattung ist detailgetreu, der Einsatz von Musik ist ungewöhnlich und sehr gut, die Schauspieler sind gut (überraschend: Ray Romano in einer wichtigen Nebenrollen - ja, der aus der Sitcom "Alle lieben Raymond"). Ob die Charaktere eine nachvollziehbare Entwicklung durchmachen, kann ich noch nicht beurteilen, weil ich bisher erst die Folgen eins und zwei gesehen habe. Es gibt Menschen, die hin und weg sind von dieser Serie. US-Kritiker Matt Zoller-Seitz zum Beispiel bezeichnet "Vinyl" als "Must-See" dieses Jahres und die Pilotfolge als einen der besten Filme, den Scorsese je gedreht hat. Ich dagegen bin nicht begeistert, obwohl die Serie nach professionellen Kriterien sehr vielversprechend ist. Und ich weiß auch, woran es liegt: Mich interessiert die Hauptfigur kein bisschen. Und es gibt auch keine andere Figur, mit der ich mich in Ansätzen identifizieren könnte.
Es ist aber auch nicht leicht, sich nicht persönlich angegriffen zu fühlen, wenn einer anderen Person die eigene Lieblingsserie nicht gefällt. Schließlich ist eine liebgewonnene Serie eine Sache, in die man viel Zeit investiert hat, die einem irgendwie nahe geht, die einem vielleicht sogar am Herzen liegt - und da ist es nur allzu menschlich, wenn man möchte, dass möglichst viele Personen ähnlich fühlen. Der Mensch ist schließlich immer auf der Suche nach Bestätigung. Was da hilft: Sich bewusst machen, wie entscheidend der Geschmack ist. Wenn mir jemand sagt: "Nee, 'Gilmore Girls' ist doch doof." dann nehme ich das nicht übel, sondern versuche entweder herauszufinden, warum dieser Jemand dieses Urteil gefällt hat. Und in der Regel sind wir dann schnell an dem Punkt, an dem klar wird: Die Serie gefällt der Person einfach nicht. Oder ich habe nicht viel Zeit und antworte: "Ja, kann ich verstehen. Ist nicht jedermanns Sache." Wenn mir jemand allerdings sagt: "Die Dialoge in 'Doctor's Diary' sind hölzern." dann kommt diese Person damit nicht weit. Denn ja, es gibt sicher einige Menschen, für die "Doctor's Diary" die falsche Serie ist, weil sie einen anderen Humor haben zum Beispiel. Oder weil sie sich aufgrund ihrer Lebenssituation nicht mit den Figuren identifizieren können. Oder, oder ... Aber die Dialoge sind nach professionellen Kriterien 1A. Und darüber gibt es auch nicht viel zu diskutieren.
Diese Woche habe ich zwei Gucktipps und einen Hörtipp:
Netflix hat am Freitag eine neue Comedy rausgebracht: "Love" von Judd Apatow. Warum ich die Serie empfehle? Na, Judd Apatow, der sich jetzt endlich wieder dem Serienmachen zuwendet. Und die weibliche Hauptrolle spielt die wunderbare Gillian Jacobs, die ich in "Community" sehr mochte. Ich habe zwar noch nicht reinschauen können, freue mich aber schon darauf, das am Sonntag in aller Ruhe zu tun.
"Firefly" läuft wieder! Und zwar seit Donnerstag wöchentlich bei Tele 5. Wer schon immer mal reinschauen wollte in den Weltraum-Western von Joss Whedon, der zwar sehr schnell wieder abgesetzt wurde, aber eine sehr treue Fangemeinde hat, kann das jetzt tun.
Fairerweise sollte ich den Hörtipp Eigenwerbung nennen. ;-) Am Freitag habe ich das Staffelfinale des DWDL-Podcasts "Seriendialoge" veröffentlicht. In insgesamt zehn Folgen habe ich mit Leuten, die beruflich mit Serien zu tun haben, über die Serien gesprochen, die sie persönlich am faszinierendsten finden. Im Staffelfinale geht es um "Doctor's Diary". Eine Übersicht über alle Folgen gibt's hier.
Jetzt zum wirklich Wichtigen: Wo kann man das alles gucken, über das ich schreibe?
"Vinyl": Die neuen Folgen gibt's nach US-Ausstrahlung bei Sky Online, Sky On Demand und Sky Go. Ab 7. April synchronisiert und im Original bei Sky Atlantic.
"Doctor's Diary": Die drei Staffeln gibt's bei Amazon Video, iTunes und bei RTL Now. Und in meinem DVD-Regal.
"Gilmore Girls": Sonntagabends laufen Doppelfolgen im Disney Channel, außerdem zeigt der Pay-Sender TNT Glitz die Serie mehrfach in der Woche zu unterschiedlichen Zeiten. Alle sieben Staffeln gibt es bei Amazon Video, iTunes und Wuaki. Und in meinem DVD-Regal.
Wer mir auf Twitter folgen möchte, kann das hier tun: @FrauClodette.