Vorurteil der Woche: In TV-Interviews mit Weltstars geht's hauptsächlich um Weltstars.
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Seitdem Tom Hanks und Will Arnett daheim charmant über ihre Erfahrungen bei "Wetten dass..?" gelästert haben, muss das deutsche Fernsehen in der Vorstellung vieler Amerikaner eine Art Kuriositätenkabinett sein. Das ist zuviel der Ehre. Wir können von Glück reden, dass die wahren Verhältnisse im Ausland unbekannt sind. Jedenfalls so lange die Weltstars dicht halten, die Vox für sein Boulevardmagazin "Prominent" vor die Kamera holt.
"Für meine Kollegin Rabea Schif ist ein Traum in Erfüllung gegangen", hat "Prominent"-Chefin Constanze Rick – wie üblich ohne die Lippen zu bewegen – in der Sendung am vergangenen Sonntagabend bekannt gegeben, denn: "Sie hat einen der größten Stars der Musikgeschichte getroffen. Wer das ist – und welches Geheimnis er ihr verraten hat ..."
... wollte Rick dann leider nicht sagen, weil als nächstes schon der vermutlich medienrechtlich vorgeschriebene Hinweis "Interview" eingeblendet wurde, um die darauffolgenden neun Minuten also solches identifizieren zu können.
"So, und ich bin jetzt auf dem Weg zum Century Club, denn ich hab heute das rie-sen-große Glück, einen echten Weltstar zu treffen", erklärt "Prominent"-Reporterin Schif beim An-der-Kamera-Vorbeischlendern in London und kündigt, fast so gekonnt wie ihr Vorbild Rick, aus dem Off an: "Sie erkennen vielleicht nicht sofort sein Gesicht, aber garantiert seine Musik." Wie das halt so ist mit Weltstars: die Gesichter der meisten kennt man gar nicht.
"Ich muss gestehen: So langsam bin ich so richtig aufgeregt", gesteht Schif als nächstes und läuft an zwei roten Telefonzellen vorbei. (London.)
"Denn wie oft trifft man schon eine lebende Legende? Oder ein Genie, wie ihn auch viele nennen? Dieser Mann hat SO viel zu erzählen." Anschließend schaut Schif auf einen Stadtplan, ein Mann trägt einen Feuerlöscher auf der Schulter vorbei, und Schif schlendert wieder: "So, und gleich isses soweit. Denn hinter dieser bescheidenen Tür verbirgt sich der Mann, der mit mir über Sex, Drugs, Rock'n'Roll und einem [sic] kleinen Geheimnis von Michael Jackson reden will."
Aus dem Off übernimmt Schif von Schif und enthüllt: "Es ist Brian May! Gründer und Gitarrist von Queen. Eine einzigartige Band. Ihre Songs, die kennt jeder. Ihre wahre Geschichte wenige. Auch weil sie eigentlich nicht so gerne Interviews geben. Oh Mann, hoffentlich lässt er mich das nicht spüren."
Spätestens in diesem Moment ist klar, dass es "Prominent" gar nicht darum ging, ein Interview mit Brian May zu zeigen, sondern einen Beitrag darüber, wie eine junge aufgeregte Reporterin Brian May zum Interview trifft.
"Gleich kommt er. Nochmal Haare gucken", erläutert Schif beim Blick in den Spiegel, und wieder aus dem Off: "Hmmm. Mal überlegen. Was macht Queen eigentlich so besonders? Vier geniale Musiker, die sich perfekt ergänzen. Denn jeder von ihnen hat Welthits geschrieben. (...) So werden sie zu einer der erfolgreichsten Bands aller Zeiten. Bis der Tod sie scheidet." Freddie Mercury ist gestorben, traurige Musik dazu, und die Redaktion hat eine alte Aufnahme von May aus dem Archiv gekramt, wie er sich in Zeitlupe eine Träne aus dem Augenwinkel wischt. "Als Freddie Mercury an Aids stirbt, scheint auch die Geschichte von Queen beendet", offt Schif und richtet sich vor dem Spiegel den Kragen vom Kleidchen.
"Ich hoffe, ich fall nicht in Ohnmacht oder krieg überhaupt noch Luft, wenn er kommt", meint sie an der Bar stehend. Und: "Hmmm. Wie wird er wohl sein. Ist er der wilde, leicht arrogante Rockstar? Oder ein gelangweilter Superkünstler?" Ja, oder bloß der arme Tropf, der anlässlich der bevorstehenden Comeback-Tour seiner Band Interviews mit Mädchen vom deutschen Fernsehen führen muss, die viel lieber mit sich selber reden?
"Während ich also nervös auf und ab marschiere und warte, versichert mir das Management, dass Brian May ein echter Gentleman sei", schildert Schif und referiert, was sie denkt: "Jaja, denke ich, das sagen die Manager ja alle von ihren Künstlern. Besonders wenn man auf sie warten muss." Aber dann – geht die Tür auf! "Achtung", sagt der Kameramann, jemand Unbekanntes schaut durch die Tür, sieht die Kamera, macht schnell wieder zu, der Kameramann sagt: "falscher Alarm".
"Aber dann! Mit nur 25 Minuten Verspätung kommt der Weltstar", sagt Schif aus dem Off, und im On kommt Brian May zur Tür herein. "Yeeeaj! He ist back", sagt Schif und breitet die Arme aus, "finally! Such a pleasure to meet you", Küsschen. "Höflich, sogar fast herzlich ist die Begrüßung. Und ja, es stimmt: Man wird tatsächlich von seinem Gentleman-Charme sofort verzaubert." – "Nice Boots", lobt May die Schuhe der Jour... – äh, der Frau, während ihm sein Mikrofon angesteckt wird, und die Schif sagt mit großer Kleinmädchen-Verlegenheit: "Oh, thank youuu." Jeden Moment kann es losgehen.
Aber erst hat Schif noch eine kuriose Beobachtung gemacht: "Es ist Spätnachmittag, die Bar ist gut bestückt – und was ordert der Weltstar?" – "Just Water", sagt May. Krass, der Typ. "Auch beim Na-und-wie-geht's-sonst-so-Vorgeplänkel ist er ganz sanft und aufmerksam. Doch dann! Als ich mich fast schon frage, ob der einst so wilde Rockstar, mir einfach einen bislang unbekannten Zwillingsbruder geschickt hat, wird er plötzlich wach!"
"Do not film me from the back! Cause I hate that." Film mich bloß nicht von hinten, sagt May zum Kameramann und lacht. Aus dem Off sagt Schif: "Aaah, wie beruhigend: Auch in ihm schlummern also noch ein paar Mini-Rockstar-Allüren." Und: "Gut, dann kann es jetzt ja eigentlich losgehen."
Aber dann! Nachdem nur ein Drittel des ganzen Beitrags rum ist, geht es endlich los mit dem Interview. "Weil die Zeit knapp ist, wage ich mit Herzklopfen mal eine ziemlich direkte Frage", sagt Schif aus dem Off, bevor sie ihren Gesprächspartner mit Lippenbewegen fragt: "Sex, Drugs und Rock'n'Roll – du hast die Zeit erlebt. Kannst du uns deine Lieblingsgeschichte aus der Zeit erzählen?"
May erzählt was von Backstage-Schlammcatcherinnen, nackte Zwergen, provokativen Musikvideos, Freddie Mercurys Genialität und redet über die neue Tour mit Sänger Adam Lambert. Er sagt, man müsse fit sein für so eine Aktion, und dass er glaubt, Freddie nehme ihm die Neuauflage nicht krumm.
Der FAZ hat Schif für ein Porträt von ihr in diesem Jahr gesagt: "Dadurch, dass ich nie eine Ausbildung zur Moderatorin oder Schauspielerin gemacht habe, bin ich natürlich. Frage nicht nur meine drei vorbereiteten Fragen ab." Im Gespräch mt May stellt sie zwei Fragen, die dringeblieben sind. Erste Frage: "Was ist dein Lieblings-Queen-Hit?" Zweite Frage: "Kannst du deutsch?" – "Ein bisschen: Grüß Gott!" –"Very good!" Dann ist es vorbei. Die beiden verabschieden sich. "Vielen Dank für das offene Interview!", sagt Schif (im Off). Und dazu den rätselhaften Satz: "Die Queen wäre bestimmt stolz auf den Gitarristen, der als perfekter britischer Gentleman echt beeindruckt hat."
Es kann sich nur noch um wenige Tage handeln, bis May in einer Talkshow seiner Wahl erzählt, wie er mal für das albernste "Interview" des Jahres vom deutschen Fernsehen mit den schönen Schuhen in einem Londoner Club festgehalten wurde.
Das Vorurteil: stimmt nicht.
Ach ja, und damit Sie ruhig schlafen können: Das "kleine Geheimnis" von Michael Jackson ist, dass er zu einer gemeinsamen Aufnahme mit Freddie Mercury mal ein Lama mit ins Studio gebracht hat.