Vorurteil der Woche: Die WM-Reporter in Brasilien sind "Hofberichterstatter".
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Genau das hat "11 Freunde" ARD und ZDF vorgeworfen und über einen "Schland-trunkenen Inszenierungswillen der Anstalten" während der WM gemeckert, der "unterfüttert von distanzlosem Ranschmeißjournalismus" sei. Das ist, bloß weil Katrin Müller-Hohenstein im Camp des DFB-Teams jedem, der sich nicht rechtzeitig wegduckt, ein paar Badeschlappen mit aufgedrucktem Namen und Senderlogo schenkt, vielleicht ein bisschen hart. Oder?
Immerhin sind unter den Journalisten, die uns derzeit täglich auf dem Laufenden halten, auch ein paar begnadete Taktiker. Vergleichen wir doch mal die unterschiedlichen Strategien.
Cerne: Der Käsebällchen-Abpfiff
Es war schon etwas später am Abend, Rudi Cerne hatte bereits das 1:1 der Russen gegen Südkorea weganalysiert, als es noch einen allerletzten Füllbeitrag anzusagen gab, für den ihm die Redaktion extra ein Schälchen mit salzigen Käsebällchen auf den Moderationstresen gestellt hatte. "Gibt's hier an jeder Ecke, ich hab mir auch schon ein paar reingepfiffen", gestand Cerne und meinte kauend: "Die wirken in etwa so wie'n Rollmops, danach kann man noch gut was trinken" bzw.: "Oi!" (Weil die salzigen Käsebällchen offensichtlich sehr salzig und sehr käsig waren.)
Als der kurze Film über besagte Pães de queijo rum war, stand Cerne immer noch kauend im Bild und gestand: "Das war jetzt der sechste." Dann las er unter großem Seufzen von seinen Moderationskärtchen ab ("Wenn Sie noch Fußball sehen wollen: ab 6.30 Uhr auf ZDFinfo, wir haben jetzt noch die Bilder des Tages"), sagte pampig "gute Nacht", flammte die Kärtchen auf den Tresen – und verschwand einfach so unter Lachen im Hintergrund aus dem Bild.
Einen Tag später hatte "der Mann von der Spätschicht" (Oliver Welke über Cerne) seinen Kollegen dann Kokosnüsse zum Ausschlürfen mitgebracht. Ab dem Viertelfinale verantstaltet Cerne in Brasilien sicher seine eigene Kochshow.
Opdenhövel: Der Musikinstrumenten-Vergleich
Musikalische Früherziehung ist, wie viele Eltern wissen, unerlässlich zur Förderung eines Kindes, und man darf davon ausgehen, dass ARD-Moderator Matthias Opdenhövel einst in den Genuss derselben kam, weil ihm sonst womöglich ein ganz anderes Wort rausgerutscht wäre, als er vor ein paar Tagen über die "Fifa-Flöten" lästerte, ohne zu wissen, dass er auf Sendung ist.
Simon & Kahn: Der Stereotypen-Fallrückzieher
Nach seiner Bemerkung über "Südländer", bei denen "nicht alles perfekt organisiert" sei, entschuldigte sich ARD-Kommentator Steffen Simon in der zurückliegenden Woche noch während des laufenden Spiels, nachdem es im offiziellen Weltempörungsorgan Twitter bereits Kritik gegeben hatte. ZDF-Kollege Oliver Kahn konnte sich nach dem Spiel Englands gegen den Gewinner Uruguay am Donnerstag gerade noch rechtzeitig selbst abfedern, als er über "die südamerikanischen Mannschaften" zu erzählen wusste: "Haben die irgendwas gegessen, mich würd' mal interessieren: was?"
Müller-Schlappenstein: Der Boulevard-Klammergriff
"Mats Hummels", sagte Schlappenverschenkerin Katrin Müller-Hohenstein, als sie diese Woche Mats Hummels zum Interview im DFB-Team-Camp traf, und dann: "Sie wohnen hier direkt nebenan, da sind Häuser, da sind die Spieler verteilt à sechs Mann immer, Sie sind zusammen mit Philipp Lahm und Thomas Müller, was macht das Schafkopfen?" Manuel Neuer sei auch mit dabei, antwortete Hummels, und lieferte damit Zusatzwissen, das gleich einen Tag später gegenüber Mario Götze angewendet wurde: "Gibt 'ne Schafkopfrunde drüben bei Ihnen mit Lahm, Müller, Neuer und Hummels. Ist das Kartenspielen auch was für Sie?"
Es existieren viele wichtige Fragen, die einem während dieser WM unter den Nägeln brennen, und Müller-Hohenstein stellt sie alle: "Gibt'n Frühstücksfenster von 7 Uhr bis 10.30 Uhr, da gibt's Frühaufsteher, Spätaufsteher, in welcher Fraktion sind Sie, wer ist'n der erste am Buffet?", wollte sie von Götze noch wissen. Und von Co-Trainer Hansi Flick: "Wir sehen den Bundestrainer hier fast jeden Morgen am Strand entlang joggen. Was machen Sie eigentlich morgens so um sieben, halb acht, halb neun?", "Manchmal auch'n bisschen in die Sonne? Sie haben 'ne tolle Farbe!" bzw. "Oliver Bierhoff hat gesagt, er haut hin und wieder mal an die Wand bei Hansi Flick, wenn der die Musik zu laut aufdreht. Was hören Sie dann so? Was ham Sie dabei?" Wenn das mit dem Sport irgendwann nichts mehr ist, kann Müller-Hohenstein nahtlos bei "Leute heute" weitermachen.
Aber – bevor Sie sich ihr Vorurteil bilden – nur mal zum Vergleich:
Lehmann & Co.: Die Schwadronier-Schraube
Am Donnerstagmorgen sendete das ZDF zweieinhalb Stunden echte "Hofberichterstattung", nämlich aus Spanien, wo Juan Carlos I den Thron seinem Sohn Felipe VI überließ und ZDF-Moderator Norbert Lehmann Königshausexperten um sich geschart hatte, um mit diesen in einer Tour Nichtigkeiten, Vermutungen und Schönfärbereien abzusondern: "Die historische Bedeutung schwebt über dieser Stadt", "Wir erhoffen uns noch mehr Gesten als der alte König hat geben können", "Man sieht, wie gut ihm das auch tut, dieser Applaus", "eine Rede, die aus einer Sicht etwas unerwartet war: sie war sehr lang".
Das war noch sehr viel unerträglicher als mancher WM-Schnack und legt den Schluss nahe: In Sachen Hofberichterstattung schlägt so schnell keiner das Original.
Das Vorurteil: stimmt so halb.