Vorurteil der Woche: Palina Rojinski ist ein großes Glück fürs deutsche Fernsehen.
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Vor einer Woche saß Palina Rojinski bei der Verleihung des Bayerischen Fernsehpreises im Münchner Prinzregententheater und verwandelte das Haus für ein paar Momente in einen Tränenpalast. Vorne auf der Bühne stand ihr Kollege Klaas Heufer-Umlauf, und bevor der seinen Preis loswerden durfte, erzählte er kurz von der Schöpfung. Also: von "MTV Home". "Wir haben uns da um Palina gekümmert wie Eltern, Joko und ich. Wir haben sie praktisch in unseren Sendungen im Fernsehen großgezogen. So'n bisschen wie Klausi Beimer."
Das Publikum lachte. Palina heulte. Vor Rührung. "Mich hat das richtig überrumpelt", sagt die 29-Jährige. Weil diese ersten Erfahrungen im Fernsehen für sie "tatsächlich etwas Familiäres" hatten. "Mir geht's den Jungs gegenüber auch so: Wenn die was gewinnen, bin ich stolz wie 'ne Mama."
Wenige Momente nach der Laudatio stand Rojinski mit ihrer Kollegin Nikeata Thompson auf der Bühne und bedankte sich für den Preis, den sie als Jury der ProSieben-Sat.1-Tanzshow "Got to Dance" bekommen hatten. Dafür, dass sie sich nicht in den Vordergrund spielten, aber emotional zu 100 Prozent bei der Sache seien, begründeten die Preisverleiher die Entscheidung.
Das hätte genauso gut eine Kurzbeschreibung von Rojinskis Blitzkarriere sein können. Gerade mal fünf Jahre ist das her, dass die Frau, die nebenbei als DJane "Palina Power" in Clubs auflegt, das erste Mal im Fernsehen auftauchte. Am 12. Juni 2009. Das weiß sie noch ganz genau. Weil das mit dem Fernsehen erstmal alles schiefging. Ein Jahr zuvor hatte sie sich als VJ bei MTV beworben, das damals zumindest noch ein bisschen Musiksender sein wollte. "Ich war in der engeren Auswahl, hab auch einen Piloten gedreht – aber irgendwie wusste mich damals niemand so richtig einem Musikstil zuzuordnen." Also hat sie den Job nicht gekriegt. Und Schluss.
Bis sich viele Monate später, als die Planungen für "MTV Home" anliefen, jemand im Sender an sie erinnerte – "Danke schön, ich weiß bis heute nicht, wer!" – und sie als Sidekick in die Show reinschrieb.
Inzwischen ist die im damaligen Leningrad geborene Berlinerin, die im Alter von sechs Jahren mit ihren Eltern von Russland nach Deutschland kam und sich als Migrantenkind durch die Schule fuchste, so eine Art weibliche Entertainment-Wunderwaffe. Sie gehört fest zum "Circus Halli Galli"-Quatschensemble, hat in der Grimme-Preis-gekrönten Miniserie "Zeit der Helden" mitgespielt und wurde von Christian Ulmen und Nora Tschirner im ersten Weimar-"Tatort" tatverdächtigt. Den vermutlich größten Bekanntheitsschub hat ihr aber wohl "Got to Dance" beschert. Ab Juli sucht sie dort schon zum zweiten Mal die besten Tänzer des Landes. "Ich seh sofort, ob jemand tanzen kann", sagt sie. Kein Wunder, von kleinauf bis ins Teenageralter war das Tanzen regelmäßiger Bestandteil ihres Trainings für die rhythmische Sportgymnastik.
Zwei Deutsche-Junioren-Meistertitel und ein paar kaputte Knie später ist die Begeisterung fürs Tanzen immer noch riesig, und obwohl in den Castings der ersten Staffel die sehr euphorischen Jury-Kommentare überwogen, stellt Rojinski klar: "Nur weil jemand die Augenbraue hochzieht und den Arm langstreckt, heißt das für mich nicht, dass er's auch geschafft hat, sein Herz auf die Hand zu legen." In der Neuauflage seien die Teilnehmer noch mutiger: "Die trauen sich jetzt viel mehr. Viele haben sich darauf vorbereitet, uns zu zeigen, wie vielfältig Tanz sein kann."
Das Erstaunliche an den sehr unterschiedlichen Rollen, mit denen Rojinski durch deutsche Fernsehen – nun ja: turnt, ist: dass ihr das alle ganz selbstverständlich zuzutrauen scheinen. Lustig sein? Klar, kann sie. Schauspielern? Warum nicht. Moderieren? Ja, nur zu. Am kommenden Donnerstag startet ihre erste eigene Sendung bei ProSieben. Für "Crazy Dates" bringt Palina Singlefrauen zur Verabredung mit jungen Männern, die in riesigen Tierkostümen stecken – und dann mit viel Charme das Herz der Kandidatin erobern sollen.
"Du kannst da als Typ halt nicht mit deinem guten Aussehen punkten oder mit deinen breiten Schultern, du musst mit deinem Charakter bestehen", erzählt Palina mit einer Begeisterung, als hätte sie nie was anderes gemacht als Herren in Pinguin- und Eselverkleidung an die Frau zu bringen (Trailer bei prosieben.de ansehen).
Vielleicht hat Rojinski einfach Glück, dass niemand von ihr erwartet, sich irgendwie festzulegen. Mit der daraus resultierenden Unbeschwertheit hat sie sich neulich bei "Circus Halli Galli" auf Geheiß ihrer Ferneheltern in eine Achterbahn gesetzt, während laufender Fahrt kaputtgeschminkt und ist unfassbare 28 Speed-Dating-Fahrten später aus der Gondel gewankt, um dem Kamerateam vor die Füße zu kotzen. "Nach Runde 15 war's kein besonders großer Spaß mehr, aber ich hatte den Ehrgeiz, nicht einfach aufzugeben", sagt Rojinski.
Es war ein einziges großes Peinlichkeitsexperiment auf ihre Kosten. So dürfen sich sonst nur Männer im deutschen Fernsehen blamieren. Und Rojinski? Hat anschließend die sehr, sehr unvorteilhaften Bilder, bei denen die meisten einen Herzinfarkt bekämen, wenn sie sich selbst darauf sähen, einfach auf Facebook und Twitter geteilt. "Kann ja sein, dass ich in diesem Moment aussehe wie der Joker bei 'Saw'. Aber wenn ich das mit mir und meiner Schamgrenze vereinbaren kann, mach ich das. Ich glaub, ich bin da aus Erfahrung unerschrocken."
Vielleicht ist es albern anzunehmen, Mut im deutschen Fernsehen nur bei Überschreitung der Kotzgrenze beweisen zu können. Aber das mit der Unerschrockenheit ist ein wichtiger Punkt. Weil die vielen jungen Kollegen fehlt, die sich viel zu oft den Standards des Mediums unterwerfen, um weiterzukommen. Rojinski unterwirft sich nicht. Außer vielleicht dem Prinzip, ihr Publikum zu unterhalten, nur halt nicht auf Kosten anderer, sondern höchstens auf die eigenen.
Dass ProSieben kürzlich stolz meldete, sie "exklusiv" an sich gebunden zu haben, gilt in der Branche gemeinhin als Zeichen dafür, dass man was richtig gemacht hat. "Ich seh aber schon, dass ich mich jetzt nicht einfach entspannt nach hinten lehnen kann, sondern auch was bringen muss", sagt sie.
Und macht sie ja auch. Im Sommer starten die Dreharbeiten für einen Kinofilm, in dem sie dabei ist. Vorher kommen die Liveshows von "Got to Dance". Und was Neues für ProSieben ist auch in Arbeit. Im Grunde genommen ist Fernsehen ja auch nichts anderes als eine Art Ausdauersport. Da hilft's, wenn man Übung hat. "Ich denke tatsächlich öfter mal: Jetzt kann ich nicht mehr – und dann kommt plötzlich der zweite Atem", sagt Palina. "Das ist, als wär' ich gerade erst aufgestanden."
Das Vorurteil: stimmt.