Vorurteil der Woche: Um junge Zuschauer zu kriegen, braucht's einen klassischen TV-Sender.
Oder, anders formuliert (aus dem ersten Konzept für einen Jugendkanal von ARD und ZDF): "Ein linearer 24-Stunden-Fernsehkanal muss trotz des sich ändernden Mediennutzungsverhaltens Grundlage eines (...) multimedialen jungen Angebots sein."
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Dass das deutsche Fernsehen dem britischen mal um eine Nasenlänge voraus ist, gehört eher zu den Seltenheiten. Aber diesmal lässt sich es sich nicht leugnen: Über ein Jahr bevor die BBC in der vergangenen Woche bekannt gab, ihr Jugendprogramm BBC Three in seiner bisherigen Form einstellen zu wollen, hat ZDF-Intendant Thomas Bellut beschlossen, seinen Digitalsender ZDF.kultur notwendigen Sparmaßnahmen zu opfern. Und sich damit eindeutig die Innovationsführerschaft im Senderkillen gesichert.
Ärgerlicherweise könnte sich diese Errungenschaft in der kommenden Woche schon wieder erübrigen. Dann treffen sich nämlich die Ministerpräsidenten der Länder, um darüber zu beraten, ob schon wieder ein neuer Sender gegründet werden soll: der von ARD und ZDF herbeigesehnte Jugendkanal.
Mit dem wäre der öffentlich-rechtliche Rundfunk dann ungefähr auf dem Stand der BBC von vor elf Jahren.
Damals, im Jahr 2003, legten sich die Briten ein Jugendprogramm zu, das zuletzt ebenso umstritten wie erfolgreich war. Weil es einerseits Hits wie "Little Britain" hervorbrachte, die anschließend ins Hauptprogramm wechselten, und sich andererseits mit trashigen Reality-Produktionen an die junge Zielgruppe ranwanzte.
Damit ist jetzt Schluss: 50 Millionen Pfund wollen die Briten mit dem Aus für BBC Three sparen, den Sender aber trotzdem nicht ganz aufgeben. Director-General Tony Hall hat eine "Neuerfindung im Internet" angekündigt. Das bedeutet: Aus dem klassischen Fernsehen wird BBC Three spätestens im Herbst 2015 verschwinden, online aber im iPlayer, der BBC-eigenen Mediathek, weiterexistieren. "Es wird eine Chance sein, neue Formen, Formate, Sendenlängen und individuellere Inhalte auszuprobieren", sagt Hall. Danny Cohen, Head of BBC Television, erklärt: "Vielleicht können wir von neuen Marktteilnehmern wie Netflix oder Amazon lernen." Produktionen, die sich im Netz als Erfolg entpuppen, sollen nachher in den Hauptprogrammen gezeigt werden, um ein größeres Publikum zu erreichen.
In erster Linie ist die Einstellung des klassischen Programms freilich: eine Sparmaßnahme. Online wird BBC Three mit einem deutlich zusammengeschrumpften Budget auskommen müssen. Das ist ein Problem.
Womöglich ist der Gedanke, der dahinter steht, aber auch eine Chance: Weil Sendungen nicht mehr danach produziert werden müssen, ob sie in ein vorgegebenes Schema passen. Sondern einfach so, dass die junge Zielgruppe sie mag, von der viele inzwischen sowieso vorrangig im Netz fernsehen.
Wäre das auch ein Weg fürs deutsche Fernsehen?
Der Erfolg der Digitalsender von ARD und ZDF ist zumindest überschaubar. ZDFneo funktioniert vorrangig als Krimikanal mit Wiederholungsstrecke für die alles andere als jugendaffinen Sendungen aus dem Hauptprogramm, in das wenige Ausnahmen wie das "Neo Magazin" mit ihrer Kreativität hineinstören. Der vom WDR verantwortete Mischsender Einsfestival ist bereits seit Jahren auf seine sofortige Einstellung vorbereitet. Die letzte Restambition, das werktäglich zur "Tagesschau"-Zeit um 20 Uhr gezeigte Kulturmagazin "Einsweiter", läuft inzwischen nur noch freitags. Und der vom Servicekanal zum Jugendkanalvorläufer umgebaute SWR-Ableger Einsplus hat sich bisher kaum etablieren können.
Vorsorglich wehrt sich der SWR schon mal gegen den Vergleich mit BBC Three und erklärt, Kosteneinsparungen seien durch eine reine Online-Ausspielung kaum zu realisieren. Am teuersten seien eben die Inhalte.
Das Problem ist aber noch ein anderes. Die klassischen Sender schaltet schon jetzt kaum jemand ein. An einzelnen Tagen würden in der jungen Zielgruppe Marktanteile von 0,9% erreicht, heißt es auf Anfrage beim SWR. Aber die Durchschnittswerte sind ernüchternd: 2013 kam Einsplus bei den Zuschauern ab 3 Jahren auf 0,2 % Marktanteil. In der Zielgruppe der 14-bis-29-Jährigen, die man erreichen will, nur auf 0,1 % – und beides auch nur in den Haushalten, die digitales Fernsehen empfangen. Einsfestival erreichte bei den 14- bis 49-jährigen Zuschauern 0,4 %, laut WDR das "mit Abstand beste" Ergebnis seit Sendergründung.
Als vielversprechende Ausgangslage für einen neuen Jugendkanal, in dem die beiden ARD-Sender aufgehen würden, eignen sich die Zahlen eher nicht.
Dennoch haben die Anstalten in einem ersten Entwurf erklärt, ein lineares TV-Programm müsse die "Grundlage" eines Jugendkanals sein, "trotz des sich ändernden Mediennutzungsverhaltens".
Sonst könnten sich ARD und ZDF die Genehmigung nämlich gleich abschminken. Weil die öffentlich-rechtlichen Sender derzeit ausschließlich Inhalte ins Netz stellen dürfen, die "programmbegleitend" sind. Bei der Gründung eines Jugendkanals würde diese Regelung endgültig ad absurdum geführt. Weil dann Geld dafür ausgegeben würde, ein lineares Programm zu veranstalten, dessen Inhalte dann dort laufen dürften, wo die Zielgruppe sie sehen will: online.
Wenn die Politik wirklich davon überzeugt sein sollte, eine weitere Plattform zu ermöglichen, auf der ARD und ZDF das Publikum erreichen sollen, das sie sonst systematisch vernachlässigen – dann müsste sie so konsequent sein, dieses auch als reines Online-Angebot zu ermöglichen. Und das Budget, das für eine klassische Verbreitung draufginge, in Inhalte investieren. (Was immer noch nicht bedeutet, dass die Anstalten das auch hinkriegen; bisherige Versuche sprechen eher dagegen.)
Manche Inhalte aus der Digitalsparte funktionieren ja schon heute so. Das "NeoMagazin" wirbt damit, donnerstags bereits vor der klassischen Ausstrahlung am späten Abend ab 20.15 Uhr im "Zweiten Deutschen Internet" (ZDI) abrufbar zu sein und kann sich dort auf eine stabile Fanbasis verlassen. Vielleicht ist genau das der richtige Weg, um junge Zuschauer für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zurückzugewinnen und gleichzeitig die Ausprobierlaune zu vergrößern: Mit einem "Sender", der gar keiner mehr ist. Aber Inhalte produziert, die sich nicht mehr um die Uraltangewohnheit scheren, dass Fernsehabende um 20.15 Uhr nach der "Tagesschau" zu beginnen haben und Sendungen genau 30, 45 oder 90 Minuten lang sein müssen.
Weil es das Publikum, für das dieses Fernsehen gemacht wäre, es nämlich schon längst nicht mehr tut.
Das Vorurteil: stimmt nicht.