Foto: ARDWelch Ironie: Ausgerechnet der Dieter Bohlen der Literaturkritik schlug am Samstagabend mit seiner Kritik am deutschen Fernsehen wieder einmal so derart über die Stränge, dass sich alle über ihn empörten - und Marcel Reich-Ranicki wieder sichtlich glücklich ganz in seinem Element war. Dabei wäre es nicht verkehrt gewesen, handfeste Kritik am Deutschen Fernsehpreis zu üben.

Doch Reich-Ranicki machte aus seiner Rede gleich eine Pauschal-Kritik am deutschen Fernsehen, die eins beweist: Er kennt das deutsche Fernsehen, durch das er selbst erst große Berühmtheit erreichte, nicht mehr. Seine Kritik am gesamten deutschen Fernsehen anhand einiger fragwürdiger Auszeichnungen bei der 10. Verleihung des Deutschen Fernsehpreises - sie ist willkürlich. Denn auch in der Literatur kann ich an die falschen Bücher geraten - und würde nicht auf die Idee kommen, den Buchdruck oder das Medium zu verteufeln.

Reich-Ranickis Kritik ist ein Paradebeispiel dafür, wie wichtig Medienkompetenz inzwischen ist. Die aktive Selektion des Guten aus sehr viel Schlechtem gehört nicht nur im Fernsehen, auch in Print- und Online-Medien zu einer Fähigkeit, die durch ein immer größer gewordenes Angebot gelernt werden muss. Reich-Ranickis (digitale) Medienwelt scheint sehr begrenzt - und wer will es ihm im Alter von 88 Jahren auch verübeln.
 

 
Doch bei aller berechtigter Kritik an vielen Formaten im deutschen Fernsehen: Es war nie so gut wie heute. Nie gab es eine breitere Auswahl an Programmen, die nicht zwingend auf den großen Kanälen laufen und deshalb oft außerhalb der Wahrnehmung des breiten Publikums liegen. Doch sie sind da, auch wenn der Müll drumherum ebenso schnell wenn nicht sogar schneller wächst. Immerhin: Der Deutsche Fernsehpreis hat mit einer Auszeichnung in diesem Jahr einen bemerkenswerten Underdog geehrt. Und mit der Kategorie "Bester Auslandsreporter" schaffte man sogar zusätzliches seriöses Gewicht.

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Doch auf der anderen Seite lieferte der Deutsche Fernsehpreis in diesem Jahr mit der völlig überflüssigen Kategorie "Beste Reality" natürlich eine Steilvorlage für Kritik an dem Branchenpreis, der inzwischen oftmals nicht mehr ganz ernst genommen wird. Zu beliebig scheinen manchmal die Preisträger, zu offensichtlich die Taktik mancher Preisvergabe - wie übrigens auch in diesem Jahr bei einer Personenkategorie. Das allerdings hätte jemand kritisieren müssen, der sich damit auskennt.

Wer sich die Liste der Nominierten oder eben nach der Übertragung der Verleihung manchen Gewinner anschaut, der sollte zweimal überlegen, ob man bei Reich-Ranickis Pauschalkritik am deutschen Fernsehen wirklich vorbehaltlos applaudieren kann. Inhaltlich schlug er - wie man es von ihm gewohnt ist - einfach zu deutlich über die Stränge und traf nicht nur die Preisverleihung. Doch aus einem Grund kann man Reich-Ranicki eigentlich nicht genug danken: Durch seinen Auftritt lag beim Deutschen Fernsehpreis erstmals so etwas wie Spannung und Dramatik in der Luft.

Eine Frage wäre noch zu klären: Wie kam man überhaupt auf die Idee, Marcel Reich-Ranicki auszuzeichnen? So mancher hatte am Samstagabend den gleichen Gedanken. Offen zitiert werden wollte damit allerdings niemand.