Viel Verlässlichkeit, wenig Risiko, urteilte mein Kollege Alexander Krei über die vergangene Saison von Sat.1: Ist stabil das neue sexy im linearen Fernsehen?

(lacht) Es war wichtig bei Sat.1 wieder eine gewisse Basis zu schaffen, im Sinne von Wiedererkennbarkeit und Selbstverständlichkeit. Und dann kann man sich die Frage stellen, wie sexy muss der Sender sein, wie sexy darf er überhaupt sein? Sat.1 steht nicht für die größten Abenteuer, sondern für Verlässlichkeit.

Das klingt, als sei das Neue oder die Innovation nicht mehr das Maß der Dinge?

War es das jemals, also für Sat.1? Ich glaube, es ist wie immer eine Frage der richtigen Mischung - und der jeweiligen Marke. Es gibt Medienmarken, bei denen ständig Innovation erwartet wird. Und es gibt Medienmarken, die im Alltag der Menschen eine gewisse Funktion erfüllen und wo Neues mit Bedacht zu behandeln ist. 

Und welche Art Marke ist Sat.1?

Sat.1 gehört zum täglichen Leben, gleichzeitig ist Sat.1 eine Bereicherung, eine Bestätigung, eine Belohnung für den gemeisterten Alltag. Wenn wir an Frühstücksfernsehen, ans Daytime-Programm oder unsere Dailysoaps denken, dann fügen sie sich ein, sind ein stetiger Begleiter – gern auch zum gemütlichen Streamen auf Joyn, wo viele der Sat.1-Bestandsmarken zu den Treibern gehören. Auch in der Primetime gibt es solche Marken. Bei langlaufenden, verlässlichen Formaten geht es immer darum, Neues auszuprobieren und den Horizont zu erweitern, ohne dabei die Verbindung zum Vertrauten zu verlieren.

So ist es uns gerade erst wieder mit „Das große Backen - Die Profis“ gelungen. Die Pflege und Weiterentwicklung bekannter und etablierter Marken ist etwas, das gerade im deutschen Markt ganz besonders intensiv und liebevoll umgesetzt wird. Das sehen wir sowohl bei den Kollegen in Köln wie auch bei uns in der Gruppe, etwa mit „Germany’s Next Topmodel“, „The Voice of Germany“ oder „The Taste“. Hier haben wir erst kürzlich die neue Promi-Version direkt im Anschluss an die neue reguläre Staffel produziert. Und in der klassischen Staffel, die im Herbst kommt, freuen wir uns sehr über die Neuzugänge Elif Oskan und Steffen Henssler als Coaches.

 

"Wir hatten mit dem Vorabend gerade das erfolgreichste Quartal seit drei Jahren"

 

Die größte strukturelle Änderung in einem Zeitfenster, das stark von Gewohnheit lebt, war die Einführung von Daily Fiction am Vorabend. Wie geht es da weiter?

Ich würde den betrachteten Zeitraum gern erweitern: vom Nachmittag bis zur „Newstime“. Das war vor zwei Jahren noch eine Baustelle, weil man in den Jahren zuvor viel und mutig ausprobiert hatte, was aber noch nicht aufging. Deswegen war es unsere Priorität, diese wichtige Strecke für unser Publikum wie für den Werbemarkt wieder verlässlicher zu machen. Wir haben auf bekannte Gesichter wie Ingo Lenßen und Bärbel Schäfer gesetzt, bewährte Marken wie „Auf Streife“ wiederbelebt und eine Neuinterpretation des Formats „Notruf“ ins Programm geholt, die über die Maßen gut läuft und ein stabiler Anker geworden ist.

Dazu wurde das noch recht junge Format „Die Lebensretter“ weiterentwickelt. Um 19 Uhr sind wir sehr ambitioniert unterwegs mit deutscher Fiction, sind dabei mit der Performance der „Landarztpraxis“ – auch und vor allem mit Blick auf die Joyn-Zahlen - sehr zufrieden, mit der „Spreewaldklinik“ noch nicht nach dem jüngsten Einstart der neuen Staffel. Das braucht noch Zeit. Wir hatten mit dem Vorabend gerade das erfolgreichste Quartal seit drei Jahren. Also: Ja, natürlich machen wir damit weiter.

Was heißt das konkret z.B. für die deutsche Fiction?

Ein strategisches Ziel war immer, irgendwann keine Serienwechsel um 19 Uhr mehr zu haben und deshalb werden wir ab 2026 dort durchgehend auf die Marke „Landarztpraxis“ setzen und produzieren gemeinsam mit Filmpool Entertainment gerade 240 neue Folgen. Die kürzlich zu Ende gegangene dritte Staffel war für Sat.1 und Joyn mit Abstand die erfolgreichste. Um das ganze Jahr über auf die „Landarztpraxis“ zu setzen, werden wir den Kosmos um Spin-Offs erweitern und andere Marken dann früher am Vorabend einsetzen.

Die Landarztpraxis © Sat.1

Also werden weitere Landarztpraxen eröffnet?

(lacht) Wir werden nicht das „Tatort“-Prinzip anwenden und ganz Deutschland bespielen, aber im Laufe des Jahres 2026 eine weitere Praxis eröffnen, im Nachbarort von Wiesenkirchen. Darüber hinaus suchen wir auch weiterhin nach neuen fiktionalen Stoffen. Wir haben ja auch um 18 Uhr schon eine Serie versucht, was noch nicht funktioniert hat. Dieser einstündige Timeslot ist eine große Herausforderung, der wir uns weiterhin stellen möchten und werden.

In der kommenden Saison setzt Sat.1 zum ersten Mal seit Jahren auch wieder auf deutsche Fiction zur Primetime…

Mit Augenmaß und in neuen Konstellationen. Wir drehen hier nicht alle Hähne auf und produzieren munter drauf los, sondern haben gezielt in neuen Partnerschaften nach Möglichkeiten gesucht, wie wir Stoffe realisieren können, die für unser Publikum eine gewisse Selbstverständlichkeit mitbringen, und wo ich nicht erst eine Marketing-Kampagne brauche, um unserem Publikum zu erklären, um was es eigentlich gehen wird. „Der letzte Bulle“ und „Kommissar Rex“ sind zwei legendäre Sat.1-Marken, die wir mit Partnern gemeinsam neu aufgelegt haben, „Der letzte Bulle“ mit Prime Video, „Kommissar Rex“ mit dem ORF. Beide Serien zeigen wir in den kommenden Monaten, und außerdem natürlich unsere gemeinsame Joyn- & Sat.1-Serie „Frier & 50“ mit Annette Frier.

 

"Wir arbeiten jetzt in neuen Kooperationen (...) da gibt es für mich auch keine Denkverbote mehr."

 

Suchen Sie weitere fiktionale Ideen? Und müssen es bestehende IPs sein?

Ja, tun wir - und nein, es können auch neue Ideen sein. Wir sind aber sehr dankbar, wenn Kreative sich gleich zu Beginn Gedanken dazu machen, in welcher Konstellation man das Projekt mit Partnern realisieren könnte. Denn der Grund, warum wir das Genre längere Zeit nicht bespielt haben, ist die schwierige Finanzierbarkeit von solchen besonderen Programmen in einem linearen TV-Markt mit insgesamt sinkender Reichweite. Wir arbeiten jetzt in neuen Kooperationen und ich finde es ganz toll, dass wir über Grenzen hinweg zusammenarbeiten. Es gibt da für mich auch keine Denkverbote mehr. Streamer haben inzwischen auch den Mainstream für sich entdeckt, kommen deshalb auf Programmideen, die uns nicht fremd sind.

Drama gab es auch im Sport genug in den letzten Wochen bei Sat.1. Macht der Erfolg der vergangenen Wochen Lust auf mehr Live-Übertragungen?

Wir sind superglücklich mit dem Live-Sport, den wir in den letzten Wochen on air hatten und im Sommer noch haben werden. Ein großes Dankeschön da auch nochmal an die Kolleginnen und Kollegen aus der ran-Redaktion. Natürlich hat uns da der Fußballgott auch ein wenig unterstützt. Die U21 war aufgrund diverser Spieler dieses Jahr gut emotionalisierbar – nicht zuletzt dank prominenter Namen und Persönlichkeiten, die für die Mannschaft stehen. Wir hatten mit dem Finale der U21-EM den höchsten Tagesmarktanteil seit 2012 und dem „Finale dahoam“ des FC Bayern München. Und auch die Spiele der Klub-WM mit deutscher Beteiligung haben uns Spaß gemacht. Das waren viele gute Live-Events für Sat.1 - und da bleiben wir dran, nicht nur im Sport.

Was meinen Sie?

Der Freitag ist unser großer Showabend, und Ende August probieren wir etwas Neues, etwas Großes: Das Event-Gefühl einer Live-Show kommt zurück zu Sat.1, aber mit einem vertrauten Inhalt: „Guinness World Records - Die große Show der Weltrekorde“, moderiert von unserem Wunsch-Moderatoren-Duo Michelle Hunziker und Jörg Pilawa. Zwei große Shows für die ganze Familie, bei der alles möglich ist - produziert von Constantin Entertainment. Live ist uns dafür ganz wichtig, das gab es bei Guinness noch nie und das wird das Thema Weltrekorde nochmal packender machen. Wir sind also alle dabei, wenn Spektakuläres gelingt – oder auch nicht. Und das an zwei Abenden hintereinander live: Freitag und Samstag am 29. und 30. August - so dass wir auch Rekorde verfolgen können, die von Freitagabend bis Samstagabend über 24 Stunden laufen werden.

Rasmus Pilawa © Joyn / Willi Weber

Wäre mehr Live-Programm nicht generell eine Stärke die das lineare Fernsehen (noch) besser ausspielen kann als die Streamer?

Ja, in der Theorie schon. Mich beschäftigt die Frage, wie wir mehr live machen können, durchaus. Auch weil da dann ja all die von Produzenten oft als schweiß- und kostentreibenden empfundenen Abnahmen in der Postproduktion wegfallen (lacht). Das entfällt bei Live-Formaten, aber ein ganz signifikanter Kostentreiber ist die lange Produktionszeit. Wenn ich über sechs Wochen eine Show machen will, muss ich sechs Wochen lang das Set stehen haben und das Studio buchen. Das macht noch zu oft den Strich durch die Rechnung.

Was gibt es über „Guiness World Records“ hinaus Neues aus der Unterhaltung?

Zunächst einmal haben wir für diese Show und weitere Shows wie „Das 1% Quiz“ unseren Exklusivvertrag mit Jörg Pilawa verlängert und freuen uns sehr, dass wir ihn auch in den kommenden Jahren an uns binden konnten. Pilawa und Sat.1 - das passt einfach und der Erfolg des „1% Quiz“ ist am Donnerstagabend umso wertvoller, wenn man merkt, wie man gar nicht mal so einfach neue Quizformate etabliert bekommt, wenn wir uns im Markt dieses Jahr umschauen. Auch wir haben aber weiter große Lust auf die Programmfarbe und starten im Herbst am Donnerstag „The Connection“, moderiert von Matthias Opdenhövel und produziert von Brot&Butter Entertainment.

Das bringt innerhalb des bewährten Genre Quiz nochmal eine neue Farbe, fragt nach den Verbindungen zwischen Begriffen - und das optisch spektakulär inszeniert. Die Show lief in den Niederlanden und Spanien in sehr unterschiedlicher Ausprägung, wir haben dem Ganzen nochmal einen anderen Twist gegeben und versuchen, dem beliebten Genre Quiz ein neues Seherlebnis hinzuzufügen. Und natürlich freuen wir uns im Oktober auch wieder auf die neue Staffel „Promi Big Brother“, die am 6. Oktober bei uns startet, inklusive Late-Night-Show und dem 24/7-Livestream bei Joyn. Damit bleiben wir das einzige Reality-Format, das so intensiv live erlebbar ist.

The Connection © Sat.1

Stichwort Reality: Wie zufrieden waren Sie mit „Promis unter Palmen“ und jetzt dem Start von „Villa der Versuchung“?

Wir waren zufrieden mit „Promis unter Palmen“. Natürlich hätten wir uns linear ein bisschen mehr gewünscht, aber wir schauen immer auf die Gesamtperformance inklusive Joyn und da hat das Format Rekorde erzielt. Das war hervorragend und selbstverständlich geht es kommendes Jahr weiter. Und auch mit dem Start von „Villa der Versuchung“ sind wir in der Gesamtbetrachtung sehr zufrieden.

 

"Wir wollen unbedingt wieder mehr Comedy sehen in Sat.1"

 

Wenn es um das geht, wofür die Marke Sat.1 steht - dann spielte früher auch Comedy eine Rolle. Das tut es derzeit, abgesehen von „Die besten Comedians Deutschlands“ nicht…

Comedy ist definitiv eine Kernfarbe von Sat.1 und trotzdem wissen wir, dass es in dem Feld nicht leicht ist, neue Formate zu etablieren. Comedy bei Sat.1 darf nicht verkopft sein, muss herzlich und direkt rüberkommen. Da suchen wir definitiv weiter nach passenden Ideen. Ja, wir wollen unbedingt wieder mehr Comedy sehen in Sat.1.

Ein Format, dass auch sehr von den eingangs angesprochenen Gewohnheiten lebt, ist das „Frühstücksfernsehen“. Nun hat die Woche nur sieben Tage und an allen läuft das Format inzwischen…

(lacht) Wenn ich ans „Frühstücksfernsehen“, geht mir das Herz auf! Seit fast 38 Jahren und jetzt sieben Tage die Woche begleitet das Team Deutschland am Morgen. Oft kopiert, aber nie erreicht. Das Format verkörpert die Selbstverständlichkeit der Marke Sat.1, von der wir noch viel mehr brauchen im Programm. Das ist Sat.1 in seiner Ur-DNA. Und wie bemerkenswert diese Leistung ist, sehen wir jetzt auch am Samstag- und Sonntagmorgen, wo das Team ganz andere Sehbedürfnisse als unter der Woche ebenso zielsicher bedient.

Aber reicht diese Fläche am Morgen aus, um Sat.1 im Bereich Information als relevantes Vollprogramm zu positionieren?

Natürlich brauchen wir Relevanz und natürlich reicht das „Frühstücksfernsehen“ nicht, um die Relevanz einer Medienmarke wie Sat.1 zu untermauern. Aber wir haben in Sat.1 jeden Tag um 19:45 Uhr mit „Newstime“ auch die längste Hauptnachrichtensendung zur Primetime im deutschen Fernsehen. Ja, es mag nicht die meist gesehene Nachrichtensendung sein, aber wir geben der Information Fläche und die zentrale Marke „Newstime“ ist auch noch sehr jung im Vergleich vergleichbaren Formaten unserer Wettbewerber. Da gibt es ständig Learnings und Optimierungsmöglichkeiten. Wir nehmen kurzfristig Specials ins Programm und haben zur Bundestagswahl mit „Kannste (nochmal) Kanzler?“ und dem Bürger-Speed-Dating zwei Formate umgesetzt, mit denen wir uns abgehoben haben, in dem wir nahbar waren.

Mit Paul Ronzheimer haben wir den vermutlich relevantesten Journalisten und Reporter Deutschlands bei uns und arbeiten gerade mit ihm an einem neuen Gefäß für 2026, mit dem er häufiger und intensiver wahrgenommen werden wird bei Sat.1. Über die Zusammenarbeit bin ich persönlich sehr froh, weil ich ihn sehr schätze und nach seinen Einzelfilmen im vergangenen Jahr, die es etwas schwer hatten, gefunden zu werden, wollen wir auch hier eine Verlässlichkeit reinbringen. Daran arbeiten wir hart und mit großer Freude.

Herr Rasmus, herzlichen Dank für das Gespräch.