Irgendwann sagt Elton eher beiläufig einen wahren Satz. "Es hat sich nichts geändert." Was er meint, ist Stefan Raabs ständiges Nachfragen, wenn er die Spielregeln nicht verstanden hat, vor allem aber sein erbitterter Ehrgeiz, den er schon vor vielen Jahren an den Tag legte, als er bei ProSieben ein Millionenpublikum bis in die Morgenstunden vor dem Fernseher hielt - weil die eine Hälfte mit ihm fieberte und die andere ihn, das Großmaul, verlieren sehen wollte. Doch Eltons Satz trifft längst nicht nur auf Raabs Motivation zu. Er lässt sich auch auf die gesamte Show übertragen, die an diesem Mittwochabend in der Streamingwelt von RTL+ das Licht der Welt erblickt. Auch hier hat sich, daran kann nach eineinhalb Stunden kein Zweifel mehr bestehen, nichts geändert.
Ja, Stefan Raab ist wieder da, und es drängt sich der Eindruck auf, als habe der selbsternannte "König Lustig", der sich neun Jahre lang nahezu ausnahmslos aus der Öffentlichkeit heraushielt, nur darauf gewartet, endlich wieder vor die Kamera zu treten. Man sieht ihm an, wie sehr er den Jubel des Publikums und die stehenden Ovationen, zu denen sich Raabs Fans zu Beginn der Show hinreißen lassen, genießt.
Wobei die Frage erlaubt sei, weshalb Raab sein Comeback eigentlich nicht schon vor drei Jahren gewagt hat, als er zusammen mit ProSieben eine Neuauflage von "TV total" auf Sendung schickte, nur eben ohne den nach eigener Darstellung in der Regie Chips fressenden Altmeister, sondern mit Sebastian Pufpaff als Nachfolger. Der ließ es sich am Mittwoch – erstmals in Konkurrenz zu Raabs neuer RTL+-Show – nicht nehmen, den früheren Hausherrn mit gemächlichem Gang über die Showtreppe aufs Korn zu nehmen. Dass die Heavytones, die langjährige Showband, fehlten, weil sie lieber in Hürth spielten als in Mülheim, fiel dank fähiger Ersatzmusiker glücklicherweise nicht weiter ins Gewicht.
Und Raab? Der machte - sogar in obligatorischer Arbeitskleidung, also Jeans und hellblauem Hemd - ernsthaft da weiter, wo er bei seinem "Raabschied" 2015 aufgehört hatte. Mit dem Unterschied, dass "TV total" und "Schlag den Raab" in seiner neuen Sendung auf wundersame Weise vereint worden sind. Ob das wirklich Sinn macht, sei einmal dahingestellt, denn nur weil das Beste aus zwei Welten miteinander verknüpft ist, bedeutet das schließlich nicht, dass aus dieser Kombination zwangsläufig etwas noch Besseres entsteht.
Tatsächlich muss "Du gewinnst hier nicht die Million", auf diesen Namen hört die neue Show, zweigeteilt bewertet werden. Der erste Teil – in dem es kein "Du" gibt, sondern nur "Ich", also Stefan Raab – erweist sich als erstaunlich schamlose "TV total"-Kopie, die in den launigen Einspielern nicht einmal auf die kultige Hintergrund-Musik verzichtet, wie sie auch heute noch in der Pufpaff-Version bei ProSieben zu hören ist. Mit dabei sind darüber hinaus auch die lustige Off-Stimme und, klar, viele lustige Fernsehschnipsel, die von Raab in gewohnter Manier kommentiert werden. Nur das berühmte Nippelboard ist dem "Meme-Pad" gewichen. Die Technik müsse eben weitergehen, erklärt der wiederauferstandene Messias. Raab heißt jetzt Twix, sonst ändert sich nix.
Ob Deutschland auf Dauer wirklich zwei Shows im Stil von "TV total" benötigt, darf durchaus bezweifelt werden – zumal in Zukunft davon auszugehen ist, dass in beiden Shows vermehrt ähnliche Ausschnitte gezeigt werden. Mit seiner Musikalität hat Stefan Raab allerdings definitiv einen Vorteil gegenüber seinem Konkurrenten. Ohnehin lässt Raab bei seiner Rückkehr keinen Zweifel daran, dass er große Lust hat, es allen noch einmal zu zeigen. Und so kalauert er sich in der Premiere seiner neuen Sendung von Regina Halmich ("Zum dritten Mal bin ich von den Kampfrichtern über den Tisch gezogen worden.") über den ZDF-Gottesdienst mit Tote-Hosen-Musik bis hin zu den Amigos und macht auch vor Ochsenknecht-Sohn Jimi Blue als Judas keinen Halt. Kennen Sie nicht? "Sie müssen mehr RTL gucken! Die coolen Leute sind jetzt hier!"
Stimmungswechsel zur Halbzeit
Nach der Hälfte der Sendezeit wechselt dann plötzlich die Stimmung – und die Raab-Show wird zum Wettbewerb, bei dem der Gastgeber über viele Spielrunden hinweg versucht, seine Herausforderer davon abzuhalten, eine Million Euro zu gewinnen. An dieser Stelle wird die Show zwar erstmals ihrem Namen gerecht, sie verliert aber auch schlagartig an Tempo. Ganz besonders dann, wenn Raab auf einmal den ernsten Quizmaster mimen muss, was ihm erkennbar überhaupt nicht liegt. Ganz zu schweigen davon, dass er sich offensichtlich nicht für Berufe und Hobbys der Kandidaten interessiert, wenngleich er diese pflichtschuldig abfragt.
Während sich die Quizrunden als große Schwachstelle erweisen, zeigt sich bei den dazwischen eingebauten Spielen zumindest ansatzweise wieder jener Ehrgeiz, der Stefan Raab schon früher bei "Schlag den Raab" ausgezeichnet hat. Als er im etwas zu lang geratenen Reifenwechsel-Spiel am Ende aus vermeintlicher Zeitnot vergisst, eine Schraube richtig anzuziehen und den Punkt deshalb seinem Gegner überlassen muss, scheint es gar für einen kurzen Moment, als platze Raab der Kragen, was der unvermeidliche Spielleiter Elton aber gewohnt schulterzuckend zur Kenntnis nimmt.
Mit Raabs kämpferischen Einstellung kann es definitiv gelingen, in Zukunft noch einmal eine Art "Schlag den Raab"-Fieber auszulösen, auch wenn das Millionenspiel bei Raabs RTL+-Einstand noch wie ein Fremdkörper wirkt. Wäre die Show nach 45 Minuten zu Ende gewesen – wohl niemand hätte ernsthaft etwas vermisst.
Doch auch wenn sich das alles ganz gut anschauen lässt: Ein wenig darf man sich schon darüber amüsieren, dass dem angeblich so kreativen Show-Erfinder nach neunjähriger Fernsehabstinenz nichts anderes eingefallen ist als exakt das zu tun, womit er schon bis zum Eintritt in seine zwischenzeitliche TV-Rente auf der Bühne stand. Und dass er noch nicht einmal eine neue Titelmusik komponiert hat, sondern schlicht jenen Themesong übernimmt, der schon vor einigen Jahren bei der zurecht in Vergessenheit geratenen Late-Night-Show "Täglich frisch geröstet" zum Einsatz kam, mag zwar unter Nachhaltigkeitsaspekten sinnvoll sein, zeugt jedoch vor allem von bemerkenswerter Bequemlichkeit.
Ob so viel Aufgewärmtes reicht, um die Comeback-Euphorie dauerhaft zu entfachen, bleibt eine spannende Wette, die RTL in den nächsten Jahren für viel Geld eingeht. Wer in dieser Beziehung das Sagen hat, daran ließ Stefan Raab in der Auftakt-Show von "Du gewinnst hier nicht die Million" jedenfalls keinen Zweifel. Seit fünf Tagen sei er der Chef von RTL, scherzte er und kündigte als erste Sparmaßnahme an, den Weichzeichner für Dieter Bohlen zu streichen. Für den Sender wiederum bleibt zu hoffen, dass Raab nicht auch an den eigenen Ideen sparen wird.
"Du gewinnst hier nicht die Million", mittwochs ab 20:10 Uhr bei RTL+