Eigentlich hätte hier ein möglicherweise interessantes Interview mit Heidi Klum stehen können, die sich als Gastgeberin und Executive Producer über den sehr erfolgreichen Start der neuen Staffel von "Germany's Next Topmodel" freuen könnte. Vergangenen Donnerstag gelang bei ProSieben der beste Staffelstart seit 13 Jahren - und das gegen die überraschende Konkurrenz des vorgezogenen "Ich bin ein Star - Holt mich hier raus". Mit mehr Diversity im Cast, wie Klum in der Auftaktepisode auch gelegentlich erwähnte, hat sich das Format sichtbar weiterentwickelt, wie von Kritikerinnen und Kritikern sowie Kommentaren in den sozialen Medien anerkannt wurde.

Mit so viel Rückenwind stand Heidi Klum kurzerhand für ein Interview zur Verfügung, wie ProSieben uns zu Beginn der Woche mitteilte. Dass es kein persönliches Gespräch, auch kein Videocall oder Telefonat werden würde, war absehbar. Einerseits aufgrund des Terminkalenders und der Kurzfristigkeit, andererseits weil Heidi Klum nicht oft für Interviews mit deutschen Medien zur Verfügung steht und schriftlich eingereichte Fragen mehr Zeit und Kontrolle für die Antworten ermöglichen. Auch sie hat schon genug schlechte Erfahrungen mit der deutschen Klatschpresse gemacht.

In wenigen Fällen akzeptieren wir bei DWDL.de schriftlichen Austausch, auch wenn mehr als 97 Prozent der mehr als tausend geführten Interviews durch ein Gespräch entstanden sind. Statt der erwarteten Antworten kam an diesem Donnerstagmorgen allerdings aus der ProSieben-Kommunikationsabteilung die bedauernde Mitteilung, dass Heidi Klum das Interview-Angebot zurückgezogen habe - weil die Fragestellungen im Ganzen zu negativ sei. Das ist im Einzelfall kein Drama, aber nach mehr als 20 Jahren DWDL.de auch zum ersten Mal passiert. Nachfolgend dokumentieren wir die Fragen, die - zur Erklärung - bei schriftlichen Interviews in der Regel ausführlicher formuliert sind als im persönlichen Gespräch, weil man die Intention der Frage erklären will.

  • Viele lang laufende Shows im deutschen Fernsehen haben in den zurückliegenden Jahren Zuschauer und Marktanteile verloren, GNTM konnte sich zuletzt gegen diesen Trend stemmen. Worauf führen Sie das zurück?
  • Jetzt wo sich zeigt, dass es so gut ankommt: Bedauern Sie, GNTM nicht schon früher diverser aufgestellt zu haben? Lange waren die Schönheitsideale in der Show ja sehr normativ.
  • GNTM ist ohne Frage so divers wie nie. Aber muss das eigentlich immer so oft betont werden? Reicht es nicht, divers zu sein?
  • Viele Teilnehmerinnen werden durch GNTM einem sehr großen Publikum bekannt. Inwieweit werden sie während und nach der Produktion professionell begleitet, um sie auf das vorzubereiten, was da gegebenenfalls nach der Ausstrahlung passiert? (Viel Resonanz, große Bekanntheit, aber auch Mobbing/Body Shaming über Social Media). Und wie sehr hat sich das verändert?
  • Wie sehr muss sich GNTM in den nächsten Jahren verändern, um weiter alle Generationen anzusprechen?
  • Es wird immer wieder über einen möglichen GNTM-Ableger mit Männern bzw. eine gemischte Staffel spekuliert. Sie selbst hatten sich ja mal positiv in diese Richtung geäußert. Wie stehen Sie inzwischen dazu, das Format auch für das männliche Geschlecht zu öffnen?

Es fällt schwer in diesen Fragen eine Speerspitze des investigativen Journalismus zu sehen. Es wäre  ein einfacher Austausch über TV-Entertainment und die Weiterentwicklung der von ihr geprägten Sendung gewesen - anlässlich des aktuellen Erfolges. Klums Absage, weil die Fragen nicht gefallen, rückt ein Problem ins Licht, das sich seit Jahren verschärft und immer häufiger zu beobachten ist, auch aber nicht nur im TV-Geschäft: Unternehmen, Fußballvereine und Persönlichkeiten haben sich daran gewöhnt, die Kommunikation - selbst Interviews - zunehmend selbst zu führen, um zu kontrollieren.

Über Social Media wenden sich Stars direkt an ihre Fans, Fußballvereine interviewen ihre Spieler selbst, Konzerne interviewen ihre CEOs selbst - gewünschte Kommunikation ohne Überraschungen ganz unter Kontrolle. Damit keine Kritik zu befürchten ist. Das ist bei Prominenten insofern verständlich als dass nach zu vielen negativen Erfahrungen mit manchen Boulevard-Medien die direkte Kommunikation über Social Media ein Befreiungsschlag ist. Gleichzeitig aber gewöhnen sich Protagonisten schleichend einerseits an eine Harmlosigkeit, bei der offenbar schon naheliegende Fragen als negativ wahrgenommen werden und andererseits an den Glauben, Interviewfragen bestimmen zu können. Wir bedauern das.