Herr Wolter, wir erleben gerade eine Retro-Welle im deutschen Fernsehen, die auch Banijay bedient mit Formaten wie "TV Total", dem "RTL Samstag Nacht"-Wiedersehen, "Glücksrad", "Jeopardy“, "Die perfekte Minute", "Die Pyramide" und anderen. Aber was kommt danach?
Ich bin kein Wellenreiter und unsere Gruppe ist es auch nicht. Banijay Germany haben wir bewusst diversifiziert aufgestellt, um unabhängig zu sein von Wellenbewegungen. Wir machen Unterhaltung die Millionen Menschen täglich emotional erreicht und im besten Fall gelingt es manchmal sogar Popkultur und Zeitgeist zu prägen ohne auf Wellen reiten zu müssen.
Wie prägt man Popkultur?
"The Masked Singer" hat das das Massenfernsehen farbenptächtiger und verrückter gemacht. Oder der Weg von Giovanni Zarrella von RTLzwei zum preisgekrönten Moderator mit eigener Samstagabendshow im ZDF. Er steht glaubwürdig für gelebte Werte wie Familie und Zusammengehörigkeit und hat dem Schlager ein neues Momentum gegeben. Eine große Leistung im Team mit seinem Manager Sascha Rinne. Auch "TV Total" mit Sebastian Puffpaff ist gelebte Popkultur. Diese eine Stunde in der Woche zur besten Sendezeit steht für ein Lebensgefühl. Oder "Kampf der Realitystars" als beinahe Parodie auf klassischen Reality-Marken. Für mich alles Beispiele für Popkultur, genauso wie gute Songs oder Filme.
Und welche Welle kommt jetzt nach dem Retro-Trend?
Mit kreativen Köpfen wie zum Beispiel Arno Schneppenheim, Fabian Tobias, Sven Steffensmeier, Panagiota Vafea, Rainer Laux, Katrin Heller, Astrid Quentell, Godehard Wolpers, Nico Rossmann, Nanni Erben, Shona Fraser oder natürlich Raab TV wäre es schwierig eine Welle zu reiten, würde auch eng auf dem Surfbrett (lacht). Welches Produktionshaus kann seinen Kunden eine solche Vielfalt unterschiedlicher, eigenständiger Labels bieten? Wir hätten viel falsch gemacht, wenn wir mit dieser Champions-League-Aufstellung abhängig wären von Wellenbewegungen. Eine Anmerkung aber zu ihrer Frage: "TV Total" ist nicht retro, sondern eine großartige Programmmarke, die das Team von Raab TV erfolgreich neu belebt hat. Hier wird Neues erschaffen und nicht an früher erinnert.
Damals sorgte der Erfolg von „TV Total“ irgendwann für die Begehrlichkeit, es mehr als einmal pro Woche zu machen. Verhindern die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen heute ähnliche Begehrlichkeiten?
Die Beschreibung ist mir zu pessimistisch. Auch das lineare Fernsehen darf optimistisch sein und sich mit breiterer Brust und größerem Selbstbewusstsein darstellen. Ja, es gibt Herausforderungen. Das Publikum wird älter wie der Rest von Deutschland auch. Der Kostendruck nimmt zu. Damit müssen wir als Branche lösungsorientiert umgehen. Das sind Themen, die natürlich auch uns als größten Bewegtbildproduzenten in Deutschland beschäftigen. Kostendruck darf aber kein K.O.-Kriterium sein für beim Publikum erfolgreiche Programme.
"Das Massenfernsehen funktioniert besser als alle Alternativen um Reichweite zu erzielen."
Das Publikum wird älter und bringt das Fernsehen wieder mal in die Sinnkrise: Geht man mit der demografischen Entwicklung oder versucht mit noch mehr Anstrengungen, die weniger werdenden jungen Menschen zu begeistern?
Ich kann nicht für "das Fernsehen" sprechen, sondern für das Content Haus Banijay. Wir sind in keiner Sinnkrise. Wenn ich mir den letzten "Tatort Dresden" unserer Tochterfirma MadeFor anschaue, dann hat der an einem Abend zehn Millionen Zuschauer erreicht. Welches Medium schafft das schon? Und die nachträgliche Nutzung in der Mediathek kommt noch dazu. Ja, Zielgruppen des linearen Fernsehens werden wenig überraschend älter, deshalb gründen Sender Plattformen wie RTL+ oder Joyn um jüngere Zielgruppen abzuholen. Neue Player versuchen ihr Glück und die aus Kundensicht attraktivsten Angebote ihrer Zeit setzen sich durch. Der Wunsch der Konsumenten nach erstklassigem Content wächst, die Gesamtnutzungsdauer übrigens auch. Das ist gut, der Rest ist einfache, wirtschaftliche Entwicklung. Dazu gehört auch der Blick darauf, dass ein für eine Zielgruppe passgenau produziertes Programm mit einer Million Zuschauerinnen und Zuschauern mehr Wert für Werbetreibende haben kann, als ein Programm mit drei Millionen Zusehenden mit enormem Streuverlust. Das Massenfernsehen funktioniert besser als alle Alternativen um Reichweite zu erzielen und darüber hinaus ist es eine gute Zeit für Brand-Kooperationen und unternehmerische Geschäftsmodelle.
Was verstehen Sie unter Brand-Kooperationen?
Es geht um die Frage, wie man die erzielte Reichweite effektiv kapitalisiert und Werbekunden smart einbinden kann. Unsere "Wok WM", "Autoball WM" oder das "Turmspringen" sind schöne Beispiele, die für alle Beteiligten erfolgreich sind.
Eine Einladung zu engerer Zusammenarbeit mit Vermarktern und Marken?
In partnerschaftlicher Kooperation mit Sendern und wenn es wirtschaftlich Sinn macht, ja. Darüber hinaus gehen wir bereits in der Entwicklung ins Risiko. Wenn wir an etwas glauben, produzieren wir Piloten, schaffen Live-Auftritte, binden unsere Künstler-Agenturen ein, starten YouTube-Kanäle auf unseren Plattformen. Wenn wir mit Angeboten zu Sender oder Streamer Partnern kommen, haben unsere Produzententeams und Künstler in den meisten Fällen schon etwas aufgebaut und überlegen gemeinsam, wie man den nächsten Schritt gehen kann. Das ist der Banijay-Weg.
Ich komme nochmal zur demografischen Entwicklung, weil sie da eben eloquent ausgewichen sind: Wenn die Unter 30-Jährigen kaum noch lineares Fernsehen schauen, die Älteren dafür immer mehr werden und länger schauen – ist es für Banijay lukrativer ebenso eher älter zu werden?
Wenn Sie das Medium Fernsehen vom Bewegtbild insgesamt abkoppeln, haben Sie Recht, der demografische Wandel wird auch keinen Bogen um das Fernsehen machen. Nicht alle Sender steuern allerdings dieselbe Zielgruppe an. Deutschland hat eine diversifiziert aufgestellte Senderlandschaft. Auch deshalb meinen wir es ernst mit unserer Multilabel-Strategie. Das unterscheidet uns von anderen eher konzernig agierenden Mediengruppen im deutschen Markt. Wir wollen unterschiedliche Kulturen, Contents und Geschäftsmodelle und sprechen so ganz natürlich unterschiedliche Zielgruppen an, ebenso wie die Sender und Streamer. Daher müssen wir keine Generalansagen machen über die Ansteuerung von jung, alt, urban oder Dorf.
Die Branche diskutiert über die Erweiterung der sogenannten „werberelevanten Zielgruppe“. Ist Marcus Wolter noch werberelevant?
Das Medium Fernsehen ist in der Darstellung der eigenen Leistung nicht immer ideal aufgestellt. Die Streamer haben sich losgesagt von jeder Messbarkeit, was für Privatsender bedeutet, dass man sich mit harten Zahlen einer Konkurrenz stellen muss deren Erfolg sich rein über die publizierte Wahrnehmung und Marketing definiert. Das ist die erste Herausforderung. Und die zweite: Wir sind gut darin, unser eigenes Medium schlecht zu reden. Und natürlich bin ich werberelevant. Und natürlich sind Zielgruppen unabhängig von groben und zufälligen Altersclusterungen kapitalisierbar. Jeder der einen Internetaccount besitzt merkt das täglich.
Ich versuche nochmal die Frage nach möglichen Trends: Kommt nach der Welle von Satire jetzt das Comeback von Comedy, wenn man an „TV Total“ oder „LOL“ denkt?
Comedy ist kein Trend, sondern seit Gründung das Kerngeschäft unserer Firma Brainpool. Ich sehe eine wache und neue Truppe von sehr guten Comedians in Deutschland, denen wir mit unserer Live-Comedy-Marke "Nightwash", mit den Comedy-Nächten XXL und Hörsaal-Comedy rund 300-mal im Jahr eine Bühne geben. Unabhängig von TV ist Comedy eben ein sehr attraktives Live-Genre. Luke Mockridge hat die erfolgreichste Live-Tournee des vergangenen Jahres gespielt und dabei über 600.000 Tickets verkauft. Jetzt gilt es den Bogen zu schlagen zurück ins Fernsehen. Der Anfang ist gemacht: Mit der neuen Marke "Die besten Comedians Deutschlands" konnten wir gemeinsam mit Sat.1 starke 13,2 Prozent Marktanteil in der Primetime erreichen. Comedy kommt.
"Banijay Germany ist mit mehr als 20 Unternehmen die Star-Alliance der deutschen Entertainment-Industrie"
Ist es aus Ihrer Sicht leichter oder schwerer geworden für Comedy im Vergleich zum Comedy-Boom vor zwanzig Jahren? Gibt es noch Humor mit gemeinsamem Nenner?
Leichter. Vor zwanzig Jahren gab es wesentlich weniger Absender. Da bestimmten wenige Sender, was es zu sehen gab. Heute gibt es ein Vielfaches an Möglichkeiten auf diversen Plattformen. Streamer, TikTok, Instagram, YouTube. Jeder kann sich zeigen. Auch live in Stand-up-Shows. Das ist eine gute Basis.
Weil Sie die erfolgreiche Live-Tournee von Luke Mockridge ansprachen: Glauben Sie an sein TV-Comeback?
Das ist ja bereits geschehen. Er war nach seiner ausverkauften Tournee Teil der eben erwähnten "Besten Comedians" und auch sein Bühnen-Programm wurde bei Sat.1 ausgestrahlt. Zum Glück entscheiden ja nicht zuletzt die Zuschauer, was sie sehen wollen. Luke ist ein Ausnahmetalent und wird seinen Weg wieder finden.
Wenn man sich das Portfolio nach knapp fünf Jahren Banijay Germany anschaut, dann machen Sie sich gegenseitig Konkurrenz. Komplementär sind die Beteiligungen nicht immer…
Banijay Germany ist mit mehr als 20 Unternehmen die Star-Alliance der deutschen Entertainment-Industrie. Wir haben uns bei der Gründung vor weniger als fünf Jahren vorgenommen ein Unternehmen aufzubauen, dass Kreative und Künstler sichtbar macht, ihnen eine Heimat gibt. Unternehmerische und kreative Freiheit bedeutet im Umkehrschluss, dass wir manchmal gegenseitig im sportlichen Wettbewerb stehen. Und das ist gut so.
Im Fiktionalen haben Sie derzeit allein die MadeFor, auch wenn Noisy Pictures - ehemals Sony - früher auch Serien produzierte. Ist Banijay Germany in der Fiktion gut genug aufgestellt?
Die Star-Alliance ist offen für weitere Stars und es ist richtig: Im fiktionalen Bereich könnten wir als Banijay Germany noch zulegen, aber das ist eine Frage der passenden Opportunität. Auf die MadeFor sind wir stolz. Nicht zuletzt wegen des aktuellen Erfolgs von "Dünentod" bei RTL und der starken Pipeline. Auch die Noisy Pictures hat eine gute Fiction-Historie, wenn ich an Serien wie „Der Lehrer“ denke. Und die Good Humor ist eine langfristige Wette. Fiktionale Projekte brauchen mehr Zeit und Geduld, aber wir sind am Ball.
Wie bewerten Sie als unabhängiger Produzent die Aktivitäten des ZDF, die über das neu aufgestellte ZDF Studios in den letzten Jahren noch weitere Produktionsfirmen gegründet hat, um inhouse produzieren zu können…
Wir sind es gewohnt, dass unsere Kunden und Auftraggeber in anderen Geschäftsfeldern unsere Wettbewerber sind. Die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten verfolgen in Deutschland in dieser Hinsicht dieselbe Strategie wie die deutschen Privatsender, halten allerdings wesentlich mehr Beteiligungen als die Privatsender. Konkurrenz belebt das Geschäft, wir konzentrieren uns auf das, was wir beeinflussen können und darauf, gut zusammen zu arbeiten, wenn die Chance besteht.
Brainpool hatte mit MySpass eine eigene digitale Plattform bevor es Streamingdienste überhaupt gab. Welche Bedeutung hat MySpass heute für Banijay?
MySpass hat eine große Bedeutung für uns, aber auch für die Comedy in Deutschland. Mit rund sieben Milliarden Kontakten und zwei Milliarden Videoviews in 2022 ist Myspass das grösste Comedy-Netzwerk in Europa. "Nightwash" ist ein gutes Beispiel einer Myspass-Marke, die bereits mehrere TV-Partner hatte und mit Liveshows und Millionen Video Views profitabel ist unabhängig von einem TV-Partner. Und dazu noch sehr sexy ist, weil Nightwash den Stars von morgen eine Bühne gibt und bereits etliche Stars die ersten Schritte ermöglichte. Übrigens: Eine unserer erfolgreichsten Online-Marken ist "Stromberg", was natürlich Fantasien weckt. Ebenso wie die Tatsache, dass Sketchcomedy online extrem nachgefragt wird. Da kommt man auf Ideen.
Verstehe ich Sie richtig, dass es ein Wiedersehen mit Bernd Stromberg geben könnte?
Wer Bernd Stromberg vermisst, kann ihn täglich auf MySpass sehen.
Und wie sieht es mit einem Comeback von "Stromberg" aus?
(Schmunzelt) Hätten wir diese Idee nicht schon gehabt, dann wäre sie jetzt geweckt. Das hängt natürlich daran, ob Christoph Maria Herbst und Ralf Husmann das wollen. Ich bin mehr als ein Fan von "Stromberg" und liebe es. Und nicht nur ich. Würde man die Deutschen fragen, welches Format sie am liebsten wieder zurückhaben würden, wäre ich mir sicher: "Stromberg" ist unter den Top 3.
Herr Wolter, herzlichen Dank für das Gespräch.