Er brachte 2013 die Liebe mit und tritt nun vorzeitig ab: Tom Buhrow hört Ende 2024 als WDR-Intendant auf, ein halbes Jahr vor dem regulären Ende seiner Amtszeit. Mit der Wahl eines Nachfolgers oder einer Nachfolgerin wird sich in dieser Woche nicht nur die Zukunft der größten Landesrundfunkanstalt entscheiden, sondern vielleicht ein Stück weit auch die der ARD in den kommenden Jahren. Denn: Die Signale, die der WDR sendet, werden auch in den anderen ARD-Anstalten sehr genau wahrgenommen. 

Mit Programmdirektor Jörg Schönenborn und Verwaltungsdirektorin Katrin Vernau gibt es zwei WDR-interne Bewerber, hinzu kommen Helge Fuhst, Zweiter Chefredakteur von ARD Aktuell, sowie Elmar Theveßen, ZDF-Studioleiter in Washington. Es ist, auch im Vergleich zu anderen Intendantenwahlen innerhalb der ARD, ein überraschend breites Bewerberfeld. Die Findungskommission hat hier definitiv bessere Arbeit geleistet als jene des RBB vor einem Jahr, wo die Wahl von zahlreichen Misstönen begleitet wurde (DWDL.de berichtet). Letztlich wäre die Intendanz im WDR wohl allen vier zuzutrauen.

Doch wofür stehen Schönenborn, Vernau, Fuhst und Theveßen? Sie bewerben sich um ein öffentlich-rechtliches Amt, finanziert von den Beitragszahlerinnen und -zahlern. Auch wenn es eigentlich erst am Donnerstag gilt, die Mitglieder des WDR-Rundfunkrats von sich zu überzeugen, haben alle vier im Vorfeld auf Anfrage des Medienmagazins DWDL.de ihre Vision für den WDR skizziert. Eine neue Transparenz in einem noch völlig offenen Rennen. Wichtig war allen aber: Dem Rundfunkrat gegenüber werde man die Pläne natürlich konkretisieren. Ein erster Eindruck von ihren Vorstellungen für die größte ARD-Anstalt bekommt man trotzdem.

Jörg Schönenborn: Der alte Hase

Jörg Schönenborn © WDR/Annika Fußwinkel
Jörg Schönenborn ist ein echtes Urgestein des Westdeutschen Rundfunks und kennt den öffentlich-rechtlichen Sender wohl wie wenige andere, ist der Journalist doch schon mehr als sein halbes Leben lang für den WDR tätig - vom Hörfunkredakteur und Korrespondenten hat er sich zunächst als Chefredakteur und später als Programmdirektor empfohlen. Früher wäre er wohl eine Art natürlicher Nachfolger für Tom Buhrow gewesen, weil er aus dem Programm kommt und die Befindlichkeiten im Haus bestens kennt und bedient. Andererseits: Eine langfristige Lösung wäre Schönenborn mit seinen zum Amtsantritt 60 Jahren nicht und auch kommunikativ wäre eine Aufbruchsstimmung mit ihm wohl am schwierigsten zu erzeugen. 

"Meinen Plan möchte ich am kommenden Donnerstag gern zunächst dem Rundfunkrat selbst vorstellen", sagt Jörg Schönenborn gegenüber DWDL.de - einen ersten Einblick in seine Agenda liefert der WDR-Programmdirektor aber trotzdem. "Das, wofür ich bisher eingetreten bin, wird noch wichtiger und braucht noch mehr Kraft und Tempo: mehr und neue Angebote auf digitalen Plattformen insbesondere auch für die Jüngeren, kluger Einsatz von Technologie und künstlicher Intelligenz und bei alldem inhaltliche Tiefe und Verwurzelung in unserer Heimat, in den Regionen des Landes", so Schönenborn gegenüber DWDL.de. Dazu müsse man in der ARD noch stärker kooperieren, sich schlanker aufstellen und sich vor allem im Linearen "künftig auf die wichtigsten Kanäle konzentrieren". 

Dass er wohl nur eine Amtszeit Intendant sein könnte, sieht Schönenborn nicht als Nachteil. Sechs Jahre seien in der digitalen Welt eine "Ewigkeit", sagt er. "Das Jahr 2030 liegt schon jenseits des Korridors, in dem man verlässliche Annahmen treffen kann. [...] Ich bringe für die nächsten sechs Jahre die Erfahrung aus vielen wichtigen Veränderungsprozessen mit und möchte mit den tollen Kolleginnen und Kollegen im WDR den weiteren Wandel gestalten." Dabei würden die kommenden Jahre für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk "entscheidend" sein, so Schönenborn, der damit auch seine Motivation hinter der Bewerbung erklärt. Man erlebe gerade, dass eine Demokratie nicht selbstverständlich sei. "Ich arbeite für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und engagiere mich für ihn, weil ich tief überzeugt bin von der Idee, verbindende Programmangebote für alle Gruppen der Gesellschaft zu machen." Ihm sei es daher wichtig, dass man in Zeiten der Polarisierung noch besser zuhört und in den Dialog geht - "auch mit denen, die uns sehr kritisch sehen". 

Katrin Vernau: Herausforderin mit guter Vita

Katrin Vernau © RBB/Gundula Krause
Schon als Katrin Vernau im September 2022 Interimsintendantin des RBB wurde, gab es Personen, die sagten, dass Vernau diesen Job als Sprungbrett für ihre Karriere im WDR nutzen könnte. Dass es nun genau so kommt, ist für sie aber kein Nachteil. Ihr Abgang bei der kleinen ARD-Anstalt war zwar alles andere als souverän, ansonsten präsentierte sich Vernau beim RBB aber als mutige Anpackerin, die auch vor unpopulären Maßnahmen nicht zurückschreckt. Ihr Vorteil: Sie hat schon Erfahrung als Intendantin und kennt den WDR durch ihre langjährige Tätigkeit als Verwaltungsdirektorin ebenfalls, gleichzeitig bringt sie noch ein Stück weit den Blick von außen mit, arbeitete sie vor ihrer Zeit beim WDR doch lange in der freien Wirtschaft. Negativ ausgelegt werden könnte ihr dagegen die Tatsache, dass die Kosten bei der Sanierung des WDR-Filmhauses vollkommen aus dem Ruder liefen - zuletzt musste man erneut eine Verzögerung bei der Inbetriebnahme einräumen

"Die Herausforderungen, vor denen wir aktuell stehen, sind existenziell und gehen über rein programmliche Fragen hinaus: Es geht um die Frage, ob es uns gelingt, die Menschen davon zu überzeugen, dass wir als WDR, als ARD, als Öffentlich-Rechtliche auch in Zukunft unverzichtbar sind. Es geht darum, dass wir die digitale Transformation schaffen", sagt Katrin Vernau gegenüber DWDL.de. Sie sieht den WDR "durchaus auf dem richtigen Weg", sagt aber auch, dass man endlich "schneller und konsequenter" werden müsse. "Wir müssen lernen loszulassen, was nicht mehr zeitgemäß ist, und Neues ausprobieren – egal ob es um Programm, um Führungsmodelle oder um Technologien und Strukturen geht." Sie wolle dafür sorgen, dass Räume für "mutiges originelles, überraschendes Programm gewahrt bleiben, auch wenn wir zukünftig den Gürtel enger schnallen müssen." 

Konkret will Vernau den WDR stärker als bislang mit Gesellschaft und Publikum vernetzen, das öffentlich-rechtliche System zusammen mit den anderen Intendanten und in Gesprächen mit dem Gesetzgeber "entwickeln, gestalten und die Finanzierung absichern" sowie die Kultur innerhalb des WDR "flexibler, veränderungsbereiter und mutiger" machen. Dass sie für den Job als WDR-Intendantin die richtige ist, daraus macht Vernau keinen Hehl. Sie bringe fachlich "genau das mit, worauf es jetzt ankommt". Sie habe einen klaren Blick von außen, aber auch die "interne, tiefe Kenntnis des öffentlich-rechtlichen Systems". 

Helge Fuhst: Der ambitionierte Underdog

Helge Fuhst © NDR/Hendrik Lüders
Er gehörte in den vergangenen Jahren zu den größten Aufsteigern der ARD. Schon vor mehr als zehn Jahren war Helge Fuhst für die "Tagesthemen" tätig - und arbeitete mit dem damaligen Moderator Tom Buhrow zusammen, der Fuhst nach seiner Wahl zum Intendanten zum persönlichen Referenten machte. Wenig später wechselte Fuhst als Programmgeschäftsführer zum Ereigniskanal Phoenix, ehe er 2019 in Hamburg die Leitung der "Tagesthemen" übernahm, die er auch vertretungsweise moderiert. Diverse Führungserfahrung bringt Fuhst also bereits mit, obwohl er mit seinen 40 Jahren der jüngste Bewerber ist, was ihn  wohl zum deutlichsten Zeichen in Richtung Reform und Erneuerung macht. Dass er Erneuerungen moderieren kann, hat er zuletzt bei den "Tagesthemen" gezeigt. Andererseits: Im Rundfunkrat gilt das junge Alter als ambivalent. Tenor: Der kann das auch noch in sechs (oder zwölf) Jahren machen. 

Die Sitzung des Rundfunkrates am kommenden Donnerstag sei das Forum, um den Blick auf die Zukunft des WDR zu werfen, sagt Fuhst. "Dort werde ich die Gelegenheit nutzen und meine Visionen und konkreten Ideen präsentieren." Gegenüber DWDL.de macht Fuhst aber deutlich, dass seine Bewerbung jetzt kein Schaulaufen für mögliche künftige Wahlen sein soll. Er will jetzt Intendant werden - und nicht in ferner Zukunft. "Es stehen im WDR und in der ARD Entscheidungen an, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk für Jahrzehnte prägen werden. Es geht um die Zukunft der Sender und unserer Gesellschaft. Wir müssen als öffentlich-rechtlicher Rundfunk Vertrauen zurückgewinnen, die gesellschaftliche Akzeptanz stärken. Wir müssen die Menschen von uns und unserem Programm begeistern."

Ihn treibe seit Jahren eine flexiblere und effizientere Zusammenarbeit in der ARD und im öffentlich-rechtlichen Rundfunk insgesamt um und an, so Fuhst. "Wir müssen unsere Gemeinschaft viel stärker in den Vordergrund stellen – und aus unserer Verteidigungshaltung herauskommen. Daran möchte ich mit allen in der ARD arbeiten. Wir müssen voneinander lernen, Erfolgsmodelle zulassen und gemeinsam anwenden." Er selbst stehe für eine "Informations- und Innovationsoffensive" - und das sowohl im Digitalen als auch im Linearen, sagt Fuhst. Er wolle den vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im WDR aber auch "zuhören, was wir ändern und verbessern können". Fuhst: "Weil ich möchte, dass alle Kolleginnen und Kollegen wieder für ihre Aufgaben und den WDR brennen". 

Elmar Theveßen: Der profilierte Außenseiter

Elmar Theveßen © ZDF/Andreas Steg
Elmar Theveßen stünde als Studioleiter in Washington ein Stück weit in der Tradition von Tom Buhrow, der einst - wenn auch für die ARD - ebenfalls in der US-amerikanischen Hauptstadt als Korrespondent arbeitete. Dass er trotzdem nur als Außenseiter gilt, ist der Tatsache geschuldet, dass er sein ganzes Berufsleben beim ZDF verbracht hat. In der ARD-Binnenlogik ist das oft ein Nachteil, obwohl Theveßen als stellvertretender Chefredakteur und Leiter der Hauptredaktion Aktuelles bei den Mainzern lange gewaltigen Einfluss hatte und sich hier einen tadellosen Ruf erarbeitet hat. 

Gegenüber DWDL.de sagt Theveßen, dass ihn die meisten Menschen wohl vor allem als Nachrichtenerklärer aus den USA kennen würden - und dass es für Journalisten wie ihn keinen besseren Job gebe. "Aber guten, verlässlichen Journalismus gibt es vielleicht irgendwann nicht mehr, wenn wir nicht mit vereinten Kräften beweisen, wie wertvoll der öffentlich-rechtliche Rundfunk für die Menschen in unserem Land ist. Wir brauchen dafür große Reformen und zu denen will ich an der Spitze des WDR mit all meiner Kraft, Leidenschaft und Erfahrung beitragen." 

Theveßen verweist auf "harte Entscheidungen", die er zwischen 2007 und 2019 als stellvertretender Chefredakteur in der Geschäftsleitung des ZDF habe treffen müssen. Dort wurden Sendungen eingestellt, Personal abgebaut und ganze Bereiche neu organisiert. Gleichzeitig habe man auch einige Innovationen wie das virtuelle Nachrichtenstudio oder die junge Nachrichtensendung "heute+" eingeführt, sagt Theveßen. Und was wohl nur wenige wissen: Theveßen ist in Viersen geboren und aufgewachsen, kennt sich im WDR-Sendegebiet also bestens aus. "Erfahrener Medienmanager, profilierter Journalist, öffentlich-rechtlicher Insider mit frischem Außenblick auf den WDR und heimatverbundener Niederrheiner – diese recht einzigartige Mischung will ich einbringen, um die Zukunft des WDR mitzugestalten." 

Ausblick

Am Donnerstag hat der Rundfunkrat des WDR nun die Qual der Wahl. Vorhersagen sind schwierig. Nach DWDL.de-Informationen gibt es im Rundfunkrat weniger als eine Woche vor der Wahl keinen klaren Favoriten. Jörg Schönenborn, Katrin Vernau, Helge Fuhst oder Elmar Theveßen? DWDL.de wird die Wahl zur Nachfolge von Tom Buhrow an der Spitze des WDR am Donnerstag aktuell begleiten.