Herr Cario, Sie sind nicht nur stellvertretender WDR-Programmdirektor, sondern seit Jahresbeginn auch noch Doku-Koordinator der ARD. Was haben Sie in den vergangenen Monaten neu über die ARD gelernt?
Ich kannte die ARD ja auch vorher schon gut; das war wahrscheinlich einer der Gründe dafür, mich für diesen Posten auszuwählen. Mir ist allerdings noch einmal sehr viel stärker bewusst geworden, welche Kraft in der ARD gerade im Bereich der Dokumentationen und Reportagen liegt. Wir haben so viele Dokus und starke Macherinnen und Macher - das alles zu bündeln, ist eine gewaltige Herausforderung, gerade im Hinblick auf die vielen Sendeplätze, vor allem aber auch auf die ARD-Mediathek.
Wie gehen Sie diese Aufgabe an?
Es braucht zunächst Zeit und Energie, alle in der ARD – und auch darüber hinaus – hinter gemeinsamen Zielen zu versammeln und eine Aufbruchstimmung zu schaffen, die Lust und Mut auf Veränderung macht, um das Genre weiter voranzubringen. Ich bin zwar der Koordinator und kann Impulse setzen – aber wenn wir wirklich etwas bewegen wollen, geht das nur gemeinsam. Deshalb bin ich sowohl auf die Doku-Verantwortlichen in den Landesrundfunkanstalten, als auch auf die Produzentinnen und Produzenten angewiesen, mit denen wir auf Augenhöhe zusammenarbeiten wollen. Wenn ich das Feedback der vergangenen Wochen höre, dann befinden wir uns auf einem guten Weg.
Sie sprachen gerade die vielen Doku-Sendeplätze an. Wie entscheiden Sie, welche Stoffe für welche Plätze geeignet sind?
Alle Häuser haben eigene Doku-Redaktionen, aus denen Vorschläge für neue Projekte kommen. Diese planen wir in ein Mengengerüst für das lineare und non-lineare Programm ein, das rund 20 verschiedene Doku-Kategorien beinhaltet – von der Dokuserie über den Dokumentarfilm, das "Y-Kollektiv", "ARD History" oder auch die Crime-Time bis hin zum linearen Primetime-Sendeplatz am Montagabend im Ersten. Die Herausforderung ist, diese Plätze mit unseren Dokus so zu bespielen, dass wir in all der Vielfalt maximalen Erfolg haben und somit auch möglichst viele Menschen erreichen. Zur Auswahl der Angebote haben wir genaue Kriterien für die unterschiedlichen Doku-Kategorien entwickelt, anhand derer wir entscheiden, ob Projekte weiterverfolgt werden oder nicht.
"Unser Ziel ist es, noch mehr auf Herausragendes zu setzen und entsprechend mehr Kraft in die Angebote zu stecken."
Welche Zielgruppen haben Sie dabei im Blick?
Gerade in der Mediathek wollen und müssen wir noch mehr Menschen unter 50 erreichen, während es linear unser Anspruch ist, den Marktanteil zu halten. Das gelingt uns, indem wir einen stärkeren Fokus auf große Dokumentationen legen - Leuchttürme, die ganz viele Zuschauer erreichen, so wie etwa die Hape-Kerkeling-Doku im vergangenen Jahr. Unser Ziel ist es deshalb, noch mehr auf Herausragendes zu setzen und entsprechend mehr Kraft in die Angebote zu stecken.
Weniger ist mehr?
Ja, unsere finanziellen Mittel sind endlich. Deshalb müssen wir im Umkehrschluss weniger machen, um im Gegenzug mehr Geld in große Produktionen investieren zu können und diese angemessen auszustatten. Dabei geht es uns allerdings nicht primär um möglichst hohe Reichweiten, sondern vor allem auch darum, mit vielen unserer Filme gesellschaftlich etwas bewirken zu können. Das gelingt unter anderem durch starke Primetime-Dokus am Montag nach der "Tagesschau". Dazu passt auch unser Ziel, das Investigative zu stärken.
Wie soll das gelingen?
Ab Oktober starten wir mit "team.recherche" ein junges Doku-Format in der ARD-Mediathek. Unter dieser Marke wollen wir unsere investigativen Kräfte künftig bündeln und somit besser sichtbar machen.
Eine Auswertung von "Übermedien" hat jüngst ergeben, dass es vor allem Doku-Formate sind, die ganz oben in der ARD-Mediathek, auf der sogenannten "Stage", angezeigt werden. An Sichtbarkeit besteht also kein Mangel, oder?
Diese Sichtbarkeit freut mich sehr. Masse allein ist allerdings nicht zwingend hilfreich, weil ein zu großes Angebot dazu führen kann, dass einzelne Produktionen, in denen ja ganz viel Energie, kluge Gedanken und finanzielle Mittel stecken, nur eine begrenzte Sichtbarkeit bekommen. In die Planung für 2027 gehen wir daher auch hier mit dem klaren Ziel, die Menge zu reduzieren und stattdessen mehr Kraft in die einzelnen Angebote und deren Distribution reinzugeben. Erfolgreiche Formate wie "Being Franziska van Almsick" oder "Die Küblböck-Story" zeigen, in welche Richtung wir uns in der Mediathek entwickeln müssen. Auch linear planen wir herausragende Projekte, im November etwa das Dokudrama "Nürnberg" und 2026 unter anderem eine Primetime-Dokumentation zum 70. von Herbert Grönemeyer sowie ein großes Projekt zum 25. Jahrestag des 11. September, das den Blick auch auf die Tage vor und nach dem Terroranschlag richtet, dessen Nachwirkungen bis heute spürbar sind.
Welche Rolle spielt vor dem Hintergrund all dieser Projekte in Ihren Planungen eigentlich noch das regionale Doku-Angebot im WDR?
Wir im WDR haben trotz nötiger Einsparungen in den vergangenen Jahren den Doku-Etat immer stabil gehalten und unsere Intendantin hat nun noch einmal zusätzliche Mittel bereitgestellt, um unsere Ambitionen zu stärken und dem Genre zu noch mehr Sichtbarkeit in der ARD zu verhelfen. Im WDR Fernsehen haben wir bewusst unser Doku-Angebot außerhalb der Primetime reduziert. Dort fokussieren wir uns jetzt auf regionale Themen, die für Nordrhein-Westfalen relevant sind. Abseits davon liegt unser Fokus ganz klar auf einer Stärkung der Sichtbarkeit des Genres in der ARD-Mediathek. Für unsere Zukunft wird entscheidend sein, auch hier die regionale Vielfalt des Landes abzubilden. Und Dokumentationen spielen dafür eine ganz entscheidende Rolle.
Herr Cario, vielen Dank für das Gespräch.