Herr Rosemann, Sie haben vor wenigen Wochen auch Sat.1 übernommen, mussten zweimal durchgreifen und kündigten ein "neues Sat.1" an. Wie sieht das denn perspektivisch aus?

Perspektive ist da das richtige Stichwort. Die Arbeit an einem neuen Sat.1, so wie ich und mein Team es mir vorstellen, ist eine mittel- und langfristige. Da sprechen wir nicht von einem Zeitraum von ein paar Wochen oder Monaten. Wir wollen das Tolle, das in der Marke Sat.1 steckt, wieder aktivieren. Das ist kein romantisches Markengefasel. Denn dem Sender wird außerordentlich viel Liebe entgegengebracht, wenn das richtige Programm läuft. Es ist nun notwendig, dass wieder alle – und da geht es um die Zuschauer, die Werbekunden und um alle, die an der Marke arbeiten – wieder wissen, für was die Marke Sat.1 steht. Das hat etwas damit zu tun, welche Programme wir zu welchen Uhrzeiten zeigen. Es hängt sicher auch davon ab, welche Köpfe in Zukunft für Sat.1 stehen. Und es geht auch um eine Haltung in Krisenzeiten, heißt: Eine Meinung zu haben. Und Fernsehen zu machen, hinter dem man stehen kann. 

Sie sprechen zum Beispiel "Promis unter Palmen" an?

Ja. Die Besetzung der Show war nicht richtig. Und auch beim Erzählen haben wir Fehler gemacht. Nicht ohne Grund haben wir uns von dem Programm verabschiedet.

Und für was steht jetzt die Marke Sat.1 ihrer Ansicht nach?

Wenn man über Sat.1 nachdenkt, ist es durchaus erlaubt, in der Vergangenheit Dinge zu finden, die auch für die Zukunft wieder wichtig sein können. Das ist ein Unterschied zu ProSieben, wo uns das Publikum so etwas nicht verzeiht. Aber Sat.1 steht für viele gute Erinnerungen, für die „Sunny Side“ des Lebens. Sat.1 ist echt und emotional - auch mit Herausforderungen, aber immer positiv gestimmt. So sehe ich Sat.1. Es gilt ja auch zu überlegen, für wen wir Sat.1 eigentlich machen. Das sind definitiv Menschen über 40. Und das sind vor allem auch Frauen.

"Lautstärke um jeden Preis ist nicht das, was wir vorhaben"


Das klingt nach Kurswechsel zum bisher erklärten Ziel, der Sender müsse „lauter“ werden. 


Lautstärke um jeden Preis ist nicht das, was wir vorhaben. Natürlich wollen wir auffallen, also ‚Sat.1 wird leise‘ wäre nicht die richtige Schlagzeile. Aber Lautstärke ist kein Selbstzweck und wird übrigens selten positiv wahrgenommen.



An welche Erfolge kann man den anknüpfen bei Sat.1? 24 Stunden Frühstücksfernsehen?

(lacht) Das ist böse, aber wir freuen uns gerade über die Rekorde, die das Frühstücksfernsehen aufstellt, ganz aktuell über die erfolgreichste Woche seit mehr als 14 Jahren. Trotzdem gehöre ich nicht zu den Menschen, die daran glauben, dass sich das "Frühstücksfernsehen" beliebig oft multiplizieren lässt. Der Witz am "Frühstücksfernsehen" ist bekanntlich, dass es morgens gesendet wird. Eine solche Sendung wird es am Abend nicht geben. 

Hat es auch schon mal gegeben.

Wir können von den Machern des Frühstücksfernsehens viel lernen – etwa die positive Grundeinstellung zum Leben und die klare Verortung mitten in der Gesellschaft. Die Sendung wird das Fundament von Sat.1 bleiben. Meine Arbeit ist es nun, dieses Gefühl, diese besondere Tonality und diesen Sog auf andere Zeitschienen zu übertragen.



Wie prägt man als neuer Senderchef Sat.1, wenn zunächst einmal noch zahlreiche Programme kommen, die noch ihr Vorgänger beauftragt hat?

Wir haben bereits Dinge umgesetzt und aktiv in die Programmplanung eingegriffen. Ich will, dass dieses Jahr noch Programme on air kommen, die ganz originär aus unserer jetzigen Arbeit und für das neue Sat.1 stehen. 

Mit was soll Sat.1 in den kommenden Wochen und Monaten punkten?



Der Bundesliga-Ball rollt im Sommer in Sat.1. Im August zeigen wir zwei Spiele der Bayern: den Auftakt in die Liga – und den Supercup gegen den BVB. Ansonsten gehört der August dem großen Bruder. Wir machen so viel "Promi Big Brother" wie noch nie: drei Wochen mit noch mehr Primetime-Sendungen. Dazu haben wir die begleitende LateNight zu Sat.1 geholt. Vergangene Woche haben wir das Promi-Panel finalisiert, alle Verträge sind unterschrieben. Was ich schon sagen kann: Wir haben bei "Promi Big Brother" sehr prominente Menschen dabei und Teilnehmer, die man noch nicht so gut kennt. Ich bin da sehr happy, wie Sat.1 und das Team um Rainer Laux den Cast zusammengestellt hat. 

Bundesliga und Promi Big Brother, das war soweit bekannt. Was ist neu?

Ein großes Highlight für uns in der neuen TV-Saison ist die Rückkehr von Ralf Schmitz. Die ist ja auch überfällig. Er hat große Lust und großen Tatendrang. Gleich zum Saisonstart geht es los mit seiner neuen Show „Paar Wars“. Ralf Schmitz kann einfach on air so gut umgehen mit Männlein und Weiblein wie sonst kaum ein anderer. Das wird eine wirklich lustige bunte 'schmitzige' Paarshow für die Primetime. Darüber hinaus kommt er mit der Impro-Comedy „Halbpension mit Schmitz“. Und wir entwickeln ein weiteres Format für die Late-Prime. 


Gibt es Ideen, ihn auch im Dating-Segment einzusetzen?

Ideen haben wir sogar zu viele. (lacht) Wir haben mehrere aus dem Bereich Impro und Dating. Für die Late werden wir sicherlich was im Bereich Dating machen – auch noch in diesem Jahr. Zum Thema Dating haben wir aber auch noch eine andere Sendung vor uns: eine Dating-Show, in der sich die Frau, die einen Partner sucht, von ihrem schwulen besten Freund beraten lässt. Da entstehen sehr schöne und heitere Emotionen. Die Männer, die in "Mein Date, mein bester Freund & Ich" ins Haus kommen, wissen nämlich nicht, dass der schwule beste Freund dabei ist. Das wird eine herzliche Sendung, die wir schon sehr bald zeigen.



Wie sehr ärgert es, dass eine Sendung wie "LOL" nicht in Sat.1 lief? Sat.1 war doch einst immerhin der Impro-Sender schlechthin…

Das Panel von "LOL" ist maximal prominent besetzt. Aber Ärgern ist in diesem Zusammenhang vielleicht das falsche Wort. Ich kann mich nicht ärgern, wenn die Konkurrenz sieht, dass Impro Spaß macht. Wir müssen nun einfach ein noch besseres Format machen. Ich habe "LOL" auch geguckt und gut gelacht. 



Wie wichtig ist eigenproduzierte Fiction für Ihr neues Sat.1?

Das beantworte ich mit meiner Grundhaltung zu Fiction -  egal auf welchem Sender. Fiction ist niemals Selbstzweck. Es hilft nicht, mal was zu machen - also mal drei, vier Filme zu zeigen oder mal eine deutsche Serie zu spielen. Es zählt bei einem Free-TV-Sender immer die Verlässlichkeit. Wenn ich also den ganzen Weg nicht gehen kann, weil mir die Stoffe oder das Budget fehlen, dann wird es umso schwieriger loszugehen. Unsere Hausaufgabe jetzt ist, eine Frage zu beantworten: Halten wir inhaltlich durch? Nur wenn das der Fall ist, also wenn wir einen Abend bauen können, auf den sich die Zuschauer verlassen können, dann kann Sat.1 loslaufen. Aber der Vorlauf bei Fiction ist noch größer als in jedem anderen Genre.

Die Filme am Dienstagabend bei Sat.1 waren lange Feel Good TV, dann wurde Krimi und Thriller probiert. In welche Richtung würde es Ihrer Meinung nach denn eher gehen?

Fiktionale Inhalte von Sat.1 wären für mich zum heutigen Tage eskapistisch und wohltuend und nicht bedrückend und düster. Mit Sarah Engels produzieren wir gerade zum Beispiel den Musical-Film „Toni & Tom“. 



Was erwartet uns noch in Sat.1 in den nächsten Monaten?

Wir haben einen Ableger von "The Biggest Loser" im Gepäck – eine Sendung mit Paaren: Ein Elternteil will mit seinem erwachsenen Kind gemeinsam das Leben verbessern. Dann gibt es neue Folgen von "Hochzeit auf den ersten Blick", "The Taste“. Schon im Juli läuft die Adaption von „99 to beat“. Am Vorabend holen wir im Herbst das Musikquiz „Hast Du Töne?“ unter dem neuen Titel „Let the music play – Das Hit-Quiz“ mit Moderator Aimaz Habtu zurück. Und wo wir bei Musik sind - wir haben bei „The Voice of Germany“ neue Coaches. 

"Ich bin tatsächlich sehr glücklich über ein gut gefülltes Gourmet-Regal"


These: Sat.1 dürfte Ihnen derzeit mehr Arbeit machen als ProSieben… 



Auch ProSieben braucht fortlaufend neue Impulse durch neue Programme. Aber ich bin tatsächlich sehr glücklich über ein gut gefülltes Gourmet-Regal mit wiederkehrenden Hit-Formaten. Joko Winterscheidts Hit „Wer stiehlt mir die Show?“ startet zum Beispiel im Juli. Verlässlichkeit ist ein gutes Gefühl, gerade wenn ich an Jahre denke, in denen wir lauter Neustarts rausgehauen haben, weil wir zu wenig gute Shows hatten und es somit mussten. 

Sie wollen aber jetzt damit nicht sagen, dass ProSieben diesmal nichts Neues macht?

(lacht) Große Sender tun gut daran, zu erahnen, dass sie in drei Jahren Probleme bekommen, wenn sie zu wenig Innovation betreiben. Also: Wohl dosierte Innovation in jedem Jahr, aufbauend auf unser gut gefülltes Gourmet-Regal. Und für die Saison 2021/22 haben wir drei neue ProSieben-Liveshows geplant. Dazu setzen wir stärker auf das Standbein Information und Relevanz: „Zervakis & Opdenhövel live" ist da der große Neustart.



Zu dem Format kommen wir gleich, aber erstmal kurz die Fakten zu den drei neuen Shows: Was kommt?

Wir machen eine neue Rätselshow – seit "Masked Singer" haben wir es ja ein bisschen mit dem Raten. Die Menschen sollen in jeder Show einen versteckten Prominenten erraten, diesmal mit Quiz-Elementen. Eine Entwicklung, die derzeit auf den Namen „Wer ist das Phantom?“ hört und von Constantin Entertainment produziert wird. Steven Gätjen moderiert. Zudem haben wir eine Spielshow mit Matthias Opdenhövel im Gepäck – das alleine ist schon ein Qualitätsmerkmal. Dabei geht es ums Stapeln. "Die Stapel-Show“, so der Arbeitstitel, zeigt Menschen, die richtig gut Stapeln können. Denken wir also an Kandidaten bei "Wetten, dass..?": Man kann mit einem Bagger Autos stapeln oder unter einem Mikroskop Basilikum-Samen aufeinander stapeln. Matthias wird die Kandidatinnen und Kandidaten mit immer höheren Geldbeträgen dazu animieren, noch einen drauf zu legen. Klappt es oder nicht? Das werden unglaublich spannende Momente für die ganze Familie. Diese Show produziert Red Seven für uns.



Und welche Show-Idee macht das neue Trio komplett?

Wir nehmen uns dem Thema "Überraschung" an. Das ist so emotional und toll, aber derzeit ohne passendes Format im deutschen Fernsehen. Wir wollen Menschen auf verschiedenste Arten überraschen.  Unsere neue „Surprise-Show“ – produziert von Leonine - geht natürlich nur live. Das ist uns wichtig. Wir wollen die Menschen zu Hause miteinbeziehen, vielleicht mal vor der ein oder anderen Haustür stehen.


Wer moderiert?

Jemand, der quasi aus Herz besteht. Bruce Darnell kommt für diese Show zu ProSieben zurück. Endlich.



Haben Sie Interesse an und Bedarf für "The Masked Dancer“?

Wir sprechen mit den Kollegen von Endemol Shine darüber – akut und tiefgehend. Was den Bedarf angeht: „The Masked Dancer“ passt schon noch ins Programm rein (schmunzelt).



"Wir zeigen explizit keine eingesperrten Promis, die sich quälen."


Jetzt haben Sie eben die Bedeutung von Information und Relevanz betont. Kommt deshalb so was wie „Die Alm“ zurück?

(lacht) We love to entertain you! Wir stehen auf zwei stabilen Standbeinen. Wir machen das beste Entertainment und Information. "Die Alm" ist goldrichtig, weil Reality großartiges und glücklich machendes Fernsehen ist, solange es Spaß macht. Wer "Die Alm" sieht, hat sofort Lust auf Urlaub, will quasi direkt in die Berge. Wir zeigen explizit keine eingesperrten Promis, die sich quälen. Man wird es dem Format ansehen, dass die Kandidaten gerne mitgemacht haben. Ich freue mich übrigens auch, dass wir "The Beauty and the Nerd" zurückbringen werden. 



Beim großen ARD-Ausverkauf war auch ProSieben dabei – und hat Linda Zervakis verpflichtet. Reden wir über das neue Magazin…

Die Sendung heißt "Zervakis & Opdenhövel Live", kommt einmal pro Woche zwei Stunden lang und ist mehr als ein Magazin. Wir machen da eine wöchentliche Illustrierte in Bewegtbildform. Stellen Sie sich eine Zeitschrift vor, die Sie immer wieder gerne durchblättern, weil die Menschen sich mit den Stücken und Reportagen viel Mühe gegeben haben. Da wird auch mal ein Stück über sechs Seiten zu lesen sein. Und weil wir keine Illustrierte machen, sondern Fernsehen, können wir die Menschen sogar ins Studio einladen, zum Gespräch und für Aktionen. Die Sendung wird sich ernsten Themen, etwa 'Gibt es eine kalte Impfflicht?', genauso wie bunten Themen widmen. In jeder Sendung werden wir etwa sechs oder sieben Geschichten erzählen.


Ich fühle mich an "Schreinemakers Live" erinnert.

Mit dieser Beschreibung kann ich etwas anfangen, viele ProSieben-Zuschauerinnen und Zuschauer aber vielleicht nicht mehr (lacht). Der Anspruch ist aber ähnlich: Wir wollen die Gäste zu den Themen der Woche in der Sendung haben, wollen Debatten aufgreifen oder gar das Thema der Woche setzen. Dazu haben wir uns den richtigen Sendeplatz ausgesucht: Montag, 20.15 Uhr live. Damit gehen wir den nächsten Tag an, an dem wir die Prime Time bei ProSieben in Local Content umwandeln. Los geht’s noch vor der Bundestagswahl.


Gibt es Neues von Jenke von Wilmsdorff und Thilo Mischke?

Mit Thilo Mischke arbeiten wir an zwei großen Geschichten. Eine Geschichte ist sehr akut, sie dreht sich um das Thema Hass. Wieso gehen Menschen heute in verschiedenen Lebenslagen so miteinander um, wie sie es eben tun? Da geht es um die Sprache in Social Media, es geht um unseren Umgang mit politisch-gesellschaftlichen Themen. Warum konnte Corona Freunde und Familie entzweien? Das andere Stück mit Thilo dreht sich um ISIS-Rückkehrer. Wir sind mittendrin in der Phase, in der sich die Frage stellt, was mit Deutschen passiert, die mal bei ISIS waren, jetzt aber nach Deutschland zurückwollen. Dazu gibt es neue "Uncovered"-Folgen. Jenke von Wilmsdorff bereitet für dieses Jahr noch zwei Experimente vor. Einmal geht es um Ernährung, das wird Teil unserer "Green Seven"-Week, in der wir uns fragen, welchen Einfluss unsere Ernährung auf unser Klima hat. Ein weiteres Experiment dreht sich um das Thema Konsum  – ein Thema, das jeden angeht. Und zum Thema Bundestagswahl sei nicht unterschlagen: Wir machen mehrere Bundestagswahl-Shows mit Louis Klamroth.



Lassen Sie uns kurz über die Daytime sprechen. Gibt es da Handlungsbedarf oder belassen Sie es bei US-Wiederholungen? 

Mit Blick auf Tagesmarktanteile und Reichweiten ist da auf Sicht erstmal ein Haken dran. Wir werden diese Zeitschienen nicht in Gefahr bringen, weil wir mit Blick auf andere Sender sehen, in welches Fegefeuer man da bei Veränderungen kommen kann. Solange es von der Performance passt, bleiben wir bei US-Serien. Aber wir wissen, dass das endlich ist. 

Letzte Frage zur ProSieben-Fiction: Ist die Offensive nach „9 Tage wach“ im vergangenen Jahr schon wieder beendet?

Wir haben Verschiedenes in Entwicklung. Wegen der Pandemie mussten wir Filme stoppen oder schieben. Filme und Serien, besonders in Zusammenarbeit mit Joyn, gehören aber weiterhin zu unserem Plan. 


Herr Rosemann, herzlichen Dank für das Gespräch.