Erinnern Sie sich noch an den 23. Dezember 2003? Auf den Tag genau zehn Jahre ist es nun her, dass Harald Schmidt sich von Sat.1 verabschiedete. Zum ersten Mal. Wenige Wochen zuvor hatte er diesen Schritt überraschend angekündigt. Von einer kreativen Pause war offiziell die Rede, doch gesehen wurde seine Entscheidung immer auch im Zusammenhang mit dem plötzlichen Abgang des damaligen Senderchefs Martin Hoffmann, zu dem Schmidt ein enges Verhältnis pflegte. Dessen Nachfolger Roger Schawinski stand durch Schmidts Abgang völlig überraschend von heute auf morgen vor einem riesigen Problem.
Heute mag das kaum vorstellbar sein, doch vor zehn Jahren war Harald Schmidt auf dem Höhepunkt seines Erfolgs. Das Feuilleton feierte das Lästermaul in überschwänglicher, fast schon höriger Art, und trauerte ihm wochenlang hinterher, als er plötzlich nicht mehr wollte. "Gott ist tot." Sätze wie dieser aus der "FAZ" waren in den Tagen danach auf den Kulturseiten der Zeitungen zu lesen. Und obwohl ihn das Feuilleton liebte, waren selbst die Quoten mittlerweile hervorragend. Doch Schmidts Entscheidung stand. Nur wenige Monate, nachdem die wöchentliche Dosis der Late-Night-Show von vier auf fünf wöchentliche Ausgaben erhöht wurde, "aus Liebe zu Deutschland", wie Schmidt betonte.
Was folgte, war ein Jahr voller Spekulationen, wohin es den heiß begehrten Entertainer nach dem Ende seiner Weltreise ziehen würde. Der damalige WDR-Intendant Fritz Pleitgen etwa machte keinen Hehl daraus, Schmidt lieber heute als morgen in der ARD zu sehen. Am Ende sollte sein Wunsch in Erfüllung gehen. Genau ein Jahr nach seinem Abschied feierte Schmidt schließlich ein umjubeltes Comeback, das die mehr als fünf Millionen Zuschauer wohl alleine schon deshalb bis heute in Erinnerung behalten haben, weil er mit weißem Rauschebart die Bühne betrat. Die Quoten stimmten zwar auch in den darauffolgenden Monaten noch, doch schnell zeigte sich, dass die Idee, eine halbstündige Late-Night-Show an nur zwei Abenden pro Woche auf dem ungewöhnlichen Sendeplatz um 22:45 Uhr auszustrahlen, nicht ganz durchdacht war - zumal Schmidt in regelmäßigen Abständen donnerstags auch noch dem "Scheibenwischer" Platz machen musste.
Und auch wenn sein Kompagnon Manuel Andrack wieder an Bord war - zu diesem Zeitpunkt war Schmidts Abstieg in Raten bereits besiegelt. Längst war es nicht mehr möglich, sich vor dem Schlafengehen regelmäßig noch einmal von Harald Schmidt die Welt erklären zu lassen. Vorbei waren die guten alten Sat.1-Zeiten mit verlässlichen Terminen zu später Stunde. Zu selten ging er auf Sendung, und von der bestechenden Form, die ihn einst auszeichnete, blieb Schmidt ebenfalls meist weit entfernt, auch wenn er selbst damit häufig besser war als es die vermeintlich lustigen Comedians jemals sein werden. Dass er sich zwischenzeitlich eher auf Theaterbühnen als in seinem Studio sah, trug jedoch sein Übriges dazu bei, dass Schmidt mit der Zeit entbehrlich wurde. Das zweijährige Pocher-Intermezzo brachte später zwar noch einmal Aufsehen, vertrieb aber nach und nach noch weitere Fans aus früheren "Schmidt Show"-Tagen.
Die Fernsehwelt war plötzlich eine andere und die Zuschauer hatten ihr abendliches Fernsehverhalten längst neu ausgerichtet. Das mag man bedauern, weil man nicht sagen kann, das Fernsehen sei seither besser geworden. Schmidt muss diese Erkenntnis wohl spätestens im Herbst 2011 selbst realisiert haben - ausgerechnet als er mit der Rückkehr zu Sat.1 an alte Erfolge anknüpfen wollte, wenn auch wieder nur mit zunächst zwei Sendungen pro Woche. Doch auch als die Dosis nach einiger Zeit auf drei Folgen erhöht wurde, kehrten die Zuschauer nicht mehr zurück - weder vor den Fernseher, noch ins Studio 449, für das früher nur mit Glück Karten zu bekommen waren. Zuletzt wurden die Tickets nicht selten auf Groupon verramscht. Auch ein Beleg für die zunehmende Bedeutungslosigkeit der Show, die in den letzten Sat.1-Wochen teils weniger als 400.000 Zuschauer sahen.
Letztlich waren es zu wenige, um die hohen Kosten der Show zu rechtfertigen, zumal der erhoffte Imagegewinn für den Sender gen Null tendierte. So ging das groß gefeierte Comeback des Dirty Harry also bereits nach wenigen Monaten wieder zu Ende - und nicht wenige dachten vermutlich damals schon, dass es das gewesen sei mit Schmidts Karriere. Doch Fred Kogel, der Schmidt über all die Jahre hinweg erfolgreich von Sender zu Sender lotste, wusste noch einmal zu überraschen. In der Pay-TV-Nische bei Sky sendete Schmidt fortan vor dem kleinsten nur denkbaren Zuschauerkreis. Öffentlich nahm man den einst gefeierten König der Late Night allenfalls noch durch gelegentliche Interviews wahr, und Schmidt selbst betonte mehrfach, dass Sky wohl seine letzte Station sein werde.
Jetzt ist das Ende tatsächlich zum Greifen nah. Was gewesen wäre, wenn sich Schmidt vor zehn Jahren nicht zu seiner "kreativen Pause" entschieden hätte, lässt sich freilich nur erahnen. Gut möglich, dass seine Fans von damals auch heute noch einschalten würden. Weil sie gar nicht festgestellt hätten, dass ein Leben ohne Schmidt möglich ist. So aber leitete Schmidt - einstmals als intellektueller Retter des Fernsehens gefeiert - bereits im Jahr 2003 seinen Abschied ein. Ein Abschied, der zehn Jahre währen sollte. Und sollte Kogel nicht doch noch ein Ass im Ärmel haben, wird für den einstigen Gott im März endgültig der letzte Vorhang fallen. Mit Sicherheit wird Schmidt auch danach noch das eine oder andere Interview geben. Die meisten werden gar keinen Unterschied bemerken.