Frau Fahrenkrog-Petersen, vor zwei Jahren haben Sie Ihre Produktionsfirma Good Times an Banijay verkauft. War das rückblickend, auch vor dem Hintergrund der damals noch weit entfernten Corona-Krise, die richtige Entscheidung?
Das war vor allem emotional der richtige Schritt, denn als Einzelunternehmerin macht dir eine aufkommende Krise natürlich Angst. Man fragt sich: Was passiert, wenn man für ein Jahr zuschließen muss? Da war ich froh, innerhalb einer Struktur zu sein, die uns im Zweifel hätte auffangen können. Letztlich haben wir jedoch trotz Corona einen Großteil unserer Formate, nach einer kurzen Phase des Umbaus, weiter produzieren können, sodass wir glücklicherweise keine Umsatzeinbußen hinnehmen mussten.
Mit „Mein Lokal, Dein Lokal“ produzieren Sie ein Format, das durchaus stärker als andere die Corona-Krise zu spüren bekommt, weil es davon lebt, dass Menschen ins Restaurant gehen.
Zum Glück konnten wir auch dieses Format trotz der Krise weiterproduzieren. Viele Gastronomen nutzten jetzt die Zeit, um mit uns zu drehen – auch diejenigen, die früher aufgrund ihres gut gebuchten Lokals, zu beschäftigt waren. Aber natürlich ist es schöner, wenn die Lokale voll sind. In der Zwischenzeit hat sich das Publikum an die neue Normalität gewöhnt. Zeitweise waren die Quoten etwas rückläufig, weil den Menschen aus nachvollziehbaren Gründen der Kopf nicht unbedingt nach Restaurantbesuchen stand. Mittlerweile sind die Zahlen zum Glück wieder gut.
Wie wichtig ist es, Corona in solch unterhaltenden Formaten beiseitezuschieben?
Bei „Mein Lokal, Dein Lokal“ thematisieren wir Corona kaum, denn wenn man ins Restaurant geht, will man abschalten und genießen. Aber die Pandemie ist eben zur traurigen Realität geworden, sodass wir das Thema nicht überall ausblenden wollen. Mit „Zurück in die Arbeit“ haben wir jetzt für RTLzwei beispielsweise eine Langzeit-Dokumentation gedreht, in der es um Menschen geht, die in der Corona-Zeit unverschuldet ihren Job verloren haben, etwa ein Busfahrer oder eine Sterilisationsassistentin. Das sind Menschen, die nie auf den Gedanken gekommen wären, dass sie einmal keine Arbeit haben würden. Wie sie sich durch die Corona-Zeit, teilweise ohne irgendeine Hilfe, durchgeschlagen haben, sollte unbedingt erzählt werden.
„Mein Lokal, Dein Lokal“ und „Zurück in die Arbeit“ sind keine internationalen Formate. Hilft Ihnen denn überhaupt der Zugriff auf den Formatkatalog von Banijay? In Vergangenheit hat Good Times seine Formate ja stets eigenständig entwickeln müssen.
Uns ist nie etwas anderes übrig geblieben. (lacht) Heute haben wir diesen Zugriff auf den Katalog zwar, gleichberechtigt wie Endemol Shine, Banijay Productions oder Brainpool, aber die stehen viel mehr für die großen Shows als wir, was dazu führt, dass wir nach wie vor alles selbst entwickeln. Vielleicht auch, weil wir für unsere Kundschaft gar nicht so sehr mit dem Formatkatalog verbunden werden.
Zwei Jahre nach dem Verkauf gibt es jetzt ein Rebranding für Good Times. Warum war der neue Anstrich nötig?
Unser bisheriges Logo wurde vor 23 Jahren entwickelt - es existiert also schon so lange es die Firma gibt. Davon abgesehen brauchten wir ein neues Logo, weil wir Banijay mit einbinden sollen und wollen. Deshalb haben wir die Zeit genutzt, unseren Auftritt frischer und moderner zu gestalten. Es ist der Vorteil eines großen Konzerns, dass man plötzlich für solche Dinge eine Agentur oder Marketing – und Presseberatung hat. Sowas kannten wir ja nie. Alles, was wir früher gemacht haben, ist auf den Mist von mir oder meinem Team gewachsen. (lacht)
Wenn man so lange Einzelkämpferin war, wie schwer fällt es dann, sich an eine solche Konzernstruktur zu gewöhnen?
Ich habe in allem total freie Hand. Marcus Wolter und Banijay mischen sich nicht in unsere Produktion ein. So gesehen hat sich im Alltag gar nicht so viel verändert - sieht man mal davon ab, dass wir jetzt jedes Quartal schauen müssen, welche Marge wir erreichen. Banijay hat einen genauen Blick auf die Zahlen.
Jetzt wird also etwas genauer hingeschaut?
Ist ja klar, die haben das Unternehmen schließlich nicht zum Spaß gekauft. (lacht) Ich hatte die Zahlen immer ganz gut im Griff, habe das aber meist Pi mal Daumen gemacht. Wenn das Unternehmen so lief, dass ich die Gehälter davon bezahlen kann, dann war ich zufrieden - und wenn mehr heraussprang, dann war’s umso besser.
Eine schöne Absicherung war sicher die „Dinner Party“, ein Drittsendeprogramm, das Good Times eine Zeit lang für das Sat.1-Programm produzierte. Wie schwer fiel der plötzliche Abschied Ende 2020?
Eine Drittsendefläche zu bekommen, ist ein echter Jackpot. Ich war wahnsinnig stolz auf diesen Erfolg und natürlich auch traurig, als das Format plötzlich endete. Dennoch überwiegt bei mir rückblickend die Freude und die Dankbarkeit, es überhaupt gemacht zu haben.Schließlich waren wir in der Lage, eine Sendung so zu produzieren, wie wir sie selber toll fanden. Finanziell haben wir das Aus der „Dinner Party“ jedoch gut aufgefangen. Da bleibt also kein Schmerz zurück.
Was hat für Sie derzeit höchste Priorität?
Eine Daily-Sendung wie „Mein Lokal, Dein Lokal“ hat hohe Priorität, weil sie einen Großteil der Gehälter bezahlt. Ein solches Format über Jahre erfolgreich zu machen, ist jeden Tag aufs Neue eine Herausforderung. Dazu kommt, dass wir mit „Lebensretter hautnah“ in Sat.1 einen schönen Erfolg haben. Innerhalb von zwei Jahren produzieren wir gerade die vierte Staffel, nun sogar mit zehn statt acht Folgen. Außerdem bin ich extrem happy, dass wir es als eine der wenigen Produktionsfirmen geschafft haben, sowohl für RTLzwei als auch für das ZDF zu produzieren. Das ist eine große Bandbreite, die jetzt zu dem schönen Online-Format „Generation Merkel“ geführt hat.
Worum geht es in dem Format?
Wir porträtieren Leute aus dem Volk, die einzig und alleine eine Kanzlerin kennen - nämlich Angela Merkel. Das sind Menschen mit ganz unterschiedlichen politischen Meinungen und Interessen. Etwa der Influencer, der sich stark mit Hasskommentaren im Netz und Homophobie auseinandersetzen muss, oder die Landwirtin, für die es darum geht, den Wolf heimisch machen zu müssen. Entstanden sind zehn Folgen, die ab dem 8. August in der Mediathek abrufbar sein werden.
"Ich bin mit mir im Reinen."
Macht es denn einen Unterschied, ob Sie für RTLzwei oder das ZDF produzieren?
Es wird vielleicht so wahrgenommen, aber bei der Produktion selbst macht es für uns keinen Unterschied. Dass wir im Rahmen der ZDF-Wahlberichterstattung dabei sein dürfen, bedeutet mir dennoch sehr viel, weil es schon eine Adelung ist. Das sieht man auch bei Stellenanzeigen. Wenn man sagt, man sucht für das ZDF, dann bewerben sich Hunderte, und wenn man für „Armes Deutschland“ sucht, dann sind es deutlich weniger – auch wenn die redaktionelle Arbeitsweise ähnlich ist.
„Armes Deutschland“ fällt in ein Genre, in dem kürzlich das inzwischen eingestellte Sat.1-Format „Plötzlich arm, plötzlich reich“ wegen des Umgangs mit Kindern für viele Negativ-Schlagzeilen sorgte. Wie sehen Sie diese Diskussion?
Ich bin mit mir im Reinen. Bevor wir „Armes Deutschland - Deine Kinder“ gemacht haben, habe ich klar gesagt, dass wir eine besondere Fürsorgepflicht haben. Das gilt allerdings für alle Kinder-Formate, ob die Kinder aus prekären Verhältnissen kommen oder nicht. Aus diesem Grund habe ich vom ersten Drehtag an eine Psychologin fest angestellt, die ganz klar checkt, ob die Kinder für die Teilnahme geeignet sind. Sie betreut sie aber auch noch nach den Aufzeichnungen, spricht mit ihnen, ob sie Probleme haben. Leider sind die Zustände in den Familien oftmals sehr schlimm. In einem Fall, mussten einer Familie die Kinder weggenommen werden. Wir haben auch eingegriffen, als wir feststellten, dass sich ein Mädchen selbst verletzt oder Familien bei Sorgerechtsstreitigkeiten vertreten. Wichtig ist mir, dass es den Menschen, besonders den Kindern, mit denen wir drehen, nach dem Dreh nicht schlechter, im Einzelfall sogar besser geht.
Wäre es manchmal besser, solche Familien gar nicht erst von Kameras begleiten zu lassen?
Wir sind Journalisten und keine Sozialarbeiter. Wir zeigen prekäre Zustände - und nur, weil wir das erschütternd finden, dürfen wir nicht einfach wegschauen. Die Probleme bestehen, ob wir filmen oder nicht. Ein Kriegsreporter kann den Krieg ja auch nicht im Alleingang beenden. Dennoch ist es wichtig, dass darüber berichtet wird. Man muss aufpassen, bestimmte Teile der Gesellschaft nicht einfach auszublenden.
Wie haben Sie die Diskussion um die inzwischen eingestellte Sat.1-Sendung „Plötzlich arm, plötzlich reich“ verfolgt, in der es ja auch um die Frage ging, wie mit Kindern aus prekären Verhältnissen im Fernsehen umgegangen wird?
In welcher Art und Weise Ikke Hüftgold diese sehr persönliche Geschichte der Familie in die Öffentlichkeit gebracht hat, hat mich sehr irritiert. Ich denke nicht, dass dieses Vorgehen wirklich im Sinne der Familie war. Aber das wahre Problem ist doch ein ganz anderes.
Was meinen Sie?
Beispielsweise die Überlastung der Jugendämter. Wenn sich einzelne Mitarbeiter teilweise um 30 bis 40 Fälle kümmern müssen, dann ist es doch kein Wunder, dass viele Kinder auf der Strecke bleiben. Mit uns wollen die Jugendämter leider meistens nicht reden - aus Angst, angegriffen zu werden. Dabei sind wir als Produktionsfirma immer an einer Lösung der Probleme interessiert. Der Grundfehler ist, dass die Sozialleistungen direkt an die Familien ausbezahlt werden, die häufig mit der Haushaltsführung überfordert sind, weil sie sie nicht gelernt haben. Da muss man doch ansetzen und den Kindern andere Wege aufzeigen, ihnen einen geregelten Tagesablauf bieten oder beibringen, wie man sich gesund ernährt. Leider wird oft übersehen, dass unsere Sendungen auch durchaus Positives bewirken.
Und zwar?
Ich wurde früher schon angegriffen, als wir „Die Mädchen-Gang“ gemacht haben. Dass aber von acht Mädchen pro Staffel danach im Schnitt zwei ihr Leben geändert haben, wurde oft übersehen. Dabei ist das doch toll! Oder nehmen Sie ein Mädchen, das wir bei „Armes Deutschland - Unsere Kinder“ gezeigt haben. Die Kleine hat sich Reiterferien gewünscht und hätte die auch antreten können, weil es ein unheimlich großes Hilfsangebot vom Publikum, aber auch vom Kinderschutzbund gab. Sie hätte ein Jahr lang ein Hobby ihrer Wahl kostenlos ausüben können. Das hat mich unheimlich gefreut, aber leider haben die Eltern alles abgeblockt. Das zeigt mir: Der Schlüssel liegt in der Bildung. Den Zugang muss der Staat Kindern aus allen Gesellschaftsschichten ermöglichen und Benachteiligte viel mehr fördern.
Frau Fahrenkrog-Petersen, vielen Dank für das Gespräch.