Herr Tobias, Ihre letzten Stationen waren Endemol Shine, Brainpool – und Endemol Shine. Wie haben sich die vergangenen zweieinhalb Jahre für Sie angefühlt?
Schon verrückt, oder? (lacht) Als ich zu Brainpool wechselte, war überhaupt nicht abzusehen, dass es zurückgehen würde. Endemol ist die Firma, in der ich vor 20 Jahren meine Karriere gestartet habe. Die Rückkehr zu Endemol Shine war daher sehr vertraut, auch wenn es sich jetzt fast anfühlt wie in einer anderen Zeit...
… was auch an der Pandemie liegen dürfte. Was ist vor diesem Hintergrund heute anders?
Unsere Art zu arbeiten hat sich radikal verändert und wird auch nach der Pandemie anders bleiben. Im Bereich Arbeitskultur haben wir innerhalb kürzester Zeit eine echte Transformation durchlebt – verbunden mit einem Push an Selbstverantwortung und Vertrauen für die Belegschaft. Das sind Werte, die wir bei Endemol Shine teils schon vor der Pandemie gelebt haben. Durch die Pandemie sind Themen wie agiles Arbeiten und Homeoffice fast überall die neue Arbeitsrealität. Das ist positiv zu bewerten. Gleichzeitig haben wir es gerade mit der vierten Corona-Welle zu tun, die uns alle, die unternehmerisch in Verantwortung stehen, vor neue Herausforderungen stellt. Nichts ist schlimmer als Unplanbarkeit. Bei "Omikron" hätte ich letzte Woche eher an ein Fabelwesen auf unserer "The Masked Singer" Bühne gedacht, jetzt ist es die neue große Unbekannte in dieser Pandemie.
Dazu kommt ein Nachwuchsproblem, mit dem die ganze Branche zu kämpfen hat.
Das Problem hat zwei Dimensionen. Einmal die Quantität, die deutlich geringer ist als früher. Das hat auch mit dem demografischen Wandel zu tun. Heute gibt es schlicht viel weniger Nachwuchs. Es geht aber auch um Qualität. Früher gab es viele Menschen, die mit einer wahnsinnigen Energie und Leidenschaft in diese Branche wollten. Das ist heute anders. Wir stehen im Wettbewerb um die Besten – und müssen uns selbst anstrengen, für die Besten attraktiv zu sein. Das tun wir, indem wir unter anderem sowohl eng mit der IFS und dem Studiengang Entertainment Producing zusammenarbeiten als auch im April ein eigenes umfangreiches Trainee-Programm gestartet haben. Außerdem bieten wir in unserer Endemol Shine Academy allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein vielseitiges Workshop-Angebot – von Storytelling über Medienrecht bis hin zur Kalkulations-Erstellung an. Wir haben einen großen Fokus auf den Bereich Personalentwicklung und arbeiten sehr intensiv daran, ein attraktives Arbeitsumfeld mit allen dazugehörigen Facetten zu bieten. Wir sehen auch unsere Verantwortung darin, jungen Talenten zu zeigen, dass die Medienbranche durchaus immer noch extrem spannende Jobs zu bieten hat.
Mit "Celebrity Hunted" machen Sie jetzt Ihre erste Produktion für Amazon. Was bedeutet das für Endemol Shine?
Das bedeutet, dass wir bei der Transformation unserer Branche mitgehen und dort ankommen, wo wir als Inhalteanbieter hingehören, nämlich bei den neuen Playern. Dennoch bleibt das lineare Fernsehen wichtig. Das ist ja kein Entweder-Oder, sondern ein Sowohl-als-auch. Wir sind mitten in der Transformation und denken bei den Streamern genauso an Amazon und Netflix, wie auch an RTL+, Joyn oder die Mediatheken. Das ist ein Wandel, der alle betrifft. Die größte Veränderung ist aber eine andere: Als Inhaltemacher sind wir seit Jahrzehnten darauf getriggert, uns jeden Morgen um 8:30 Uhr einen Kick abzuholen und manchmal auch einen in die Fresse zu kriegen. Dass es dieses Feedback plötzlich nicht mehr gibt, wenn man für Streamer arbeitet, ist total ungewohnt.
Würden Sie sich mehr Transparenz wünschen?
Auf jeden Fall. Ich hoffe, dass sich die Streamer in Zukunft deutlicher uns gegenüber öffnen, um uns an der Resonanz der Zuschauerinnen und Zuschauer teilhaben zu lassen. Am Ende machen wir all diese Sendungen ja nur für eine Partei – und das ist das Publikum. Stellen Sie sich einen Theaterregisseur vor, der mit aller Leidenschaft das größte inszenatorische Feuerwerk auf seiner Bühne entfacht. Und im Anschluss rätselt, wie viele wohl gekommen sind. Das ist das Gefühl!
Im Unterschied zum linearen Fernsehen müssen Sie beim Streaming nicht auf einen Schlag die Masse erreichen. Ein Vorteil?
"Celebrity Hunted" ist hierfür vielleicht ein gutes Beispiel. Wir haben viele Versuche unternommen, das lineare Fernsehen von diesem Format zu überzeugen, weil es ein Stück weit eine Neuerfindung des Genres Reality ist. Bei vielen Sendern herrschte allerdings das Gefühl, dass das Programm ein bisschen zu komplex und aufwändig sein könnte und am Ende etwas zu spitz für die breite Masse. Umso mehr freue ich mich, dass Philip Pratt von Amazon mit uns diesen Weg gegangen ist und ich finde, dass das Resultat wirklich zeigt wie viel Power und Facettenreichtum im Genre Reality noch steckt.
Worum geht es in der Sendung?
Die besten Formate sind ja oft sehr simpel und in eine Pitchline zu fassen: 15 Fragen bis zur Million. Oder: Wer ist der Promi unter der Maske? Hier meine Line zu "Celebrity Hunted": "Promis gehen auf der Flucht und werden mit den Befugnissen des Staates von Profis gejagt!". Die Regeln sind einfach: Sie dürfen das Land nicht verlassen, besitzen kein Geld, haben nichts dabei außer Klamotten und Wasser, und kriegen von uns nur eine EC-Karte und ein Handy. Die Jäger wiederum sind Vollprofis, darunter Erich Vad - ein ehemaliger militärpolitischer Berater der Kanzlerin. Das alles geschieht in nur zehn Tagen und war selbst für unseren erfahrensten Reality-Produzenten Rainer Laux irre spannend, weil nichts berechenbar war. Wenn wir "The Masked Singer" oder "Promi Big Brother" produzieren, dann haben wir immer einen räumlich definierten Bereich. Hier war der räumlich definierte Bereich dagegen ganz Deutschland.
Für die erste Staffel konnten Sie unter anderem Wladimir Klitschko gewinnen. Hat es da womöglich geholfen, dass Sie die Show für einen Streamingdienst machen?
Es hat in jedem Fall geholfen, dass Amazon das Format sofort groß und spektakulär positionieren wollte – genau wie wir. Am Ende liegt nach wie vor am Format, ob man gute Namen dafür bekommt oder nicht. Wladimir Klitschko war schlicht von der Idee gepackt. Was wir aber schon merken: alles, was neu ist, ist spannend. Daher werden die Streamer bei den Promis und Managements mit einer ziemlichen Offenheit begrüßt. Mit "The Masked Singer" haben wir allerdings bewiesen, dass auch das klassische Fernsehen für viele hochkarätige Promis noch einen großen Reiz hat.
Da müssen Sie wahrscheinlich gar nicht mehr viel machen, um die Promis zu bekommen, oder?
Im Gegenteil, wir müssen uns wahnsinnig anstrengen, denn der Markt für Promi-Formate ist nicht klein, sehr dynamisch und hart umkämpft. Gleichzeitig ist unser Anspruch bei "The Masked Singer" sehr hoch, weil wir idealerweise Stars auf diese Bühne holen, die bislang noch nie in einem Promi-Format mitgemacht haben. Denken Sie nur an Veronica Ferres oder Peter Kraus. Klar ist aber auch: Es war in der ersten Staffel am schwierigsten.
Wir wollen lieber den langfristigen Erfolg als kurzfristig ein derart starkes Programm auszupressen.
"The Masked Singer" funktionierte zuletzt auch am Samstagabend. Wie groß war Ihre Erleichterung, als die erste Quote vorlag?
Ich war durchaus glücklich, weil im Vorfeld nicht zu erwarten war, dass der Erfolg eins zu eins fortgesetzt werden kann. Dass wir keine Federn gelassen haben – "Wetten, dass..?" im Gegenprogramm mal ausgenommen -, macht mich entsprechend stolz auf das wirklich herausragende Team um Nadine Grünfeld, Kerstin Kalenberg sowie Natalie Zizler von ProSieben. Wir haben allerdings auch noch einmal richtig Gas gegeben. Denken Sie nur an den Phönix, der alleine 1.100 Stunden Handarbeit erfordert hat, oder auch an die Inszenierungen und aufwendigen Kostüme im Hintergrund. In dieser Show steckt unendlich viel Liebe zum Detail, die für den Samstagabend in hartem Konkurrenzumfeld besonders wichtig ist.
"The Masked Singer" ist also gekommen, um am Samstagabend zu bleiben?
Am Ende entscheidet es ProSieben, aber ich wüsste spontan keinen Grund, warum man wieder auf einen anderen Sendeplatz gehen sollte.
Bei einem solchen Format ist der Reiz doch sicher groß, eine Staffel länger zu machen als nur sechs Folgen, oder?
Wir sprechen nicht nur über unsere Flops sehr selbstkritisch, sondern auch über unsere Erfolge. Es mag ungewöhnlich sein für eine Produktionsfirma, aber es war uns wichtig, die Marke nicht zu übersättigen oder auszureizen – und ich bin froh, dass Daniel Rosemann das genauso sieht. Wir wollen lieber den langfristigen Erfolg als kurzfristig ein derart starkes Programm auszupressen.
Dennoch gibt’s nun noch ein Weihnachtsspecial und im kommenden Jahr folgt auch noch "The Masked Dancer". Wie wollen Sie die Grundidee ausreizen, ohne das Publikum zu langweilen?
Wenn man all diese Folgen zusammenzählt, ist man hinsichtlich Folgenanzahl auf der Taktung von anderen großen Show-Reihen – mit dem Unterschied, dass wir immer wieder kurze Impulse setzen werden. Hier gehen wir also neue Wege, die große TV-Marken bisher so nicht kannten. Die Zuschauenden sollen noch Lust auf mehr haben, wenn die Staffeln vorbei sind. Und dann bekommen sie mehr. Das ist das strategische Argument. Aber das beste Mittel gegen Übersättigung ist sicher kreative Exzellenz. Der Begriff "Relevanz" ist doch arg überstrapaziert und jeder kann etwas anderes hineininterpretieren. Daher setzen wir lieber auf den Neuigkeitswert. Unser Team setzt immer wieder neue Akzente und besticht durch neue Ideen, die unsere Zuschauerinnen und Zuschauer hinreißen, zum Lachen bringen oder berühren. Sie können also sicher sein: bei "The Masked Dancer" werden wir genau wie beim "Singer" auch unseren ganz eigenen kreativen Weg gehen und einiges anders machen als die Engländer oder Amerikaner. Auch hier trauen wir uns wieder als erstes Land weltweit live zu gehen. Wir befeuern das Ratespiel durch neue Ideen und setzen auf Paartanz-Elemente und damit auf eine Fülle an Möglichkeiten im Tanzsport.
Was erhoffen Sie sich davon?
Ein ganz starkes Storytelling! Durch das Tanzen im Kostüm gibt es eine ganz andere Ausgangslage als beim Singen, wodurch sich auch ein anderes Ratespiel ergibt. Durch den Paartanz ergeben sich mehr Spielmöglichkeiten, um Hinweise oder Emotionen zu transportieren oder Geschichten zu erzählen. Auf diese Weise wollen wir das Weniger an Emotion, das sich durch das Fehlen des Gesangs ergibt, kompensieren.
Klingt, als seien die Formatbibeln heutzutage weniger streng als vor zehn oder 20 Jahren.
Das ist bei jedem Format anders. Es gibt noch immer Formate, bei denen man Gefahr läuft, von der "Formatpolizei" verhaftet zu werden. (lacht) Letztendlich hat es viel mit persönlichen Beziehungen zu tun – im Falle von "The Masked Singer" nach Südkorea, wo wir großen Respekt genießen, weil wir aus dem Format die erfolgreichste Show seit Senderbestehen gemacht haben.
Ein weiterer Neustart im kommenden Jahr ist "All Together Now", von dem man sagen könnte, dass das Format unter keinem guten Stern steht. Erst sollte es bei RTL laufen, dann wurde Luke Mockridge von Sat.1 als Moderator angekündigt und nun gibt es einen dritten Anlauf mit Melissa Khalaj.
Es gab sehr unterschiedliche Gründe, bis hin zur Pandemie, die eine Produktion unmöglich gemacht haben. Aber wir haben nicht aufgegeben und ich bin sehr glücklich, dass die Sendung im nächsten Jahr endlich starten wird. "All Together Now" hat in meinen Augen ein Momentum: Es ist eine warmherzige und emotionale Show ist, die viel Lebensfreude ausstrahlt, weil man viele Menschen sieht, die zusammen singen und Spaß haben. Es ist jedoch auch ein sehr komplexes Projekt. 100 Menschen in einer gigantischen Wand zu koordinieren und auch der Schnitt ist irre aufwendig, denn wir haben es mit 200 Tonspuren zu tun. Hier leistet unsere Produktionsabteilung ganze Arbeit.
Und das Retro-Fieber hat Endemol Shine noch nicht erreicht?
Mich freut der Erfolg von "Wetten, dass..?" und "TV total", trotzdem haben wir nicht angefangen, direkt unsere alten Hits auszugraben. Das wäre auch zu kurz gedacht. Der beste Grund, eine alte Marke noch einmal ins Fernsehen zu bringen, ist eine inhaltliche Vision, wie man sie zeitgemäß inszenieren kann.
Herr Tobias, vielen Dank für das Gespräch.
"Celebrity Hunted", ab Freitag bei Amazon Prime Video