"Ich glaube, dass viele Kritiker des öffentlich-rechtlichen Rundfunks die Kritik nicht zu Ende gedacht haben." Mit diesen Worten verteidigt BR-Intendant Ulrich Wilhelm im Interview mit dem "Spiegel" den öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Allgemeinen sowie den Rundfunkbeitrag im Speziellen. "In der digitalen Kommunikationswelt wird ein Medium, das viele Teile der Gesellschaft noch erreichen kann und ein Gespräch ermöglicht, allmählich zur Mangelware."
Der öffentliche Raum habe sich aufgrund der Digitalisierung stark verändert. Wilhelm bezeichnet ihn als "zerfallen". Der BR-Intendant: "Wenn jeder nur noch zur Kenntnis nimmt, was ihn in seiner Meinung bestätigt, ist Demokratie nicht mehr möglich. Da darf der Gesetzgeber doch dem Wunsch Einzelner nicht nachgeben, die sich in ihrer Filterblase wohlfühlen und sagen: Wir brauchen keine Gesamtöffentlichkeit." Zum Rundfunkbeitrag sagt Wilhelm noch, er könne Kritik an Härtefällen verstehen. Aber wenn jemand ein öffentlich-rechtliches Rundfunksystem kategorisch ausschließe, könne man mit Argumenten nur noch wenig erreichen.
Gleichzeitig fordert Wilhelm schärfere Regeln für Facebook & Co. So müsse man die Strafen bei Beleidigung und übler Nachrede im Netz verschärfen. "Ich halte es für geboten, dass Netzwerke wie Facebook bei einem Strafantrag die Namen der Urheber von Straftaten herausgeben." Die Plattformbetreiber müssten zudem zu "transparenten Kriterien für die Löschung" verpflichtet werden. Wenn Inhalte trotzdem immer wieder geteilt bzw. neu hochgeladen werden, müsse man den Betreiber in die Haftung nehmen. "Im Zweifel muss das bei Rechtsverstößen in die Millionen gehen. Die heutigen Geschäftsmodelle nehmen keine Rücksicht auf die Kosten für die Gemeinschaft durch Hassrede und Fälschung." Er sei überzeugt davon, so Wilhelm weiter, dass sich die neue Koalition des Problems annehmen werde. Technische Revolutionen hätten anfangs "immer zu Exzessen geführt", auf Dauer würden Gesellschaften aber nicht im Ungleichgewicht leben.
Wenig überraschend hält Wilhelm im "Spiegel"-Interview eine flammende Verteidigungsrede für ARD und ZDF. Ein paar Probleme spricht er aber auch an. Rund um die Wahl von Donald Trump habe ihm etwa teilweise die journalistische Distanz sowie die Trennung zwischen Nachricht und Kommentar gefehlt. "Da wurden am Tag nach der Wahl in Moderationen so ein Augenrollen und eine Missbilligung transportiert, die ich als unpassend empfand."
Wilhelm stimmt außerdem der Kritik zu, der öffentlich-rechtliche Rundfunk sei zu städtisch. "Ich glaube, da ist was dran. Unsere Journalisten kommen mehrheitlich aus gebildeten Familien und leben in der Stadt. Die Perspektive vom Land oder vom Leben in einfacheren wirtschaftlichen Verhältnissen, die kommt bei uns kaum noch vor." Als Beispiel nannte der Kochsendungen, bei denen oft Gerichte gekocht werden, die Menschen mit wenig Geld nicht so oft nachmachen können.