Im Zuge der der neuen Studie "Die Griechen provozieren!" der Otto Brenner Stiftung analysierten Prof. Dr. Kim Otto und sein Team die Nachrichtensendungen von ARD und ZDF über die griechische Finanzkrise. Darunter fielen u.a. die "Tagesschau" und "heute" aber auch Sondersendungen wie "Brennpunkt" und "ZDF spezial". Das Fazit der OBS ist hart: Die Öffentlich-Rechtlichen hätten zentrale Qualitätskriterien verletzt, die Berichterstattung weise erhebliche Mängel auf.
"Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist zur Ausgewogenheit verpflichtet. Dazu gehören das Gebot einer fairen und unabhängigen Berichterstattung und die Verpflichtung zur Überparteilichkeit. Leider wurden diese Qualitätsanforderungen nur teilweise erfüllt", fasst Kim Otto ein Ergebnis der Untersuchung zusammen, die die OBS jetzt veröffentlicht hat. So sei das Angebot vielfach unausgewogen gewesen, was sich beispielsweise darin gezeigt haben soll, dass die griechische Regierung selbst nur selten zu Wort kam. In gerade einmal zehn Prozent der Nachrichtenbeiträge zur griechischen Staatsschuldenkrise sei die griechische Regierung mit einem O-Ton präsent gewesen. Der Anteil der deutschen Regierung habe mehr als doppelt so hoch gelegen.
Auch sei die Distanz von zwischen Information und eigenem Statement nicht konsequent eingehalten worden. "Die Trennung von Nachricht und Meinung muss konsequenter beachtet werden, insbesondere in Off-Texten von Berichten", fordert Otto, nachdem er und sein Team festgestellt haben, dass in jedem zehnten Bericht Journalisten eine Bewertung der griechischen oder der deutschen Regierung aus dem Off vorgenommen haben. Im "Brennpunkt" sei dies sogar in jedem vierten Beitrag missachtet worden.
Weiter hätten ARD und das ZDF weitgehend an der Oberfläche der Berichterstattung gekratzt. Nur wenige Reformvorschläge wurden aufgebracht, im allgemeinen wurde lediglich von "den Reformen" gesprochen. "Welche Reformvorschläge hierfür eingefordert und gemacht wurden, wurde kaum thematisiert. Dies spricht für eine geringe analytische Qualität der Nachrichtenberichterstattung", so Otto. Von 139 Reformvorschlägen wurden in der "Tagesschau" lediglich 53 thematisiert, in "heute" gerade einmal 40. Die Beiträge fixierten sich stattdessen eher auf einen "Grexit" als Möglichkeit für einen Ausgang der Krise.
"Ausgewogenheit, Neutralität und Tiefe in der öffentlich-rechtlichen Berichterstattung sind besonders in Krisenzeiten und bei strittigen Themen wichtig", meint Jupp Legrand, Geschäftsführer der Otto Brenner Stiftung. "Nun sind die Sender gefordert, sich dieser fundierten Kritik zu stellen und Anregungen zu nutzen, damit zukünftig solche Einseitigkeiten vermieden werden können."
ARD: "Keine sachgerechte Beurteilung"
Eine Antwort folgte prompt. "Das Erste hat über die griechische Finanzkrise sehr ausführlich, analytisch und journalistisch ausgewogen berichtet. Es kam über Monate eine Vielzahl unterschiedlicher, auch internationaler Finanz-Experten zu Wort", kommentiert ARD-Chefredakteur Rainald Becker die OBS-Studie. "Auch über die Positionen aller relevanten Entscheidungsträger aus der Politik wurde umfänglich berichtet. Die Diskussion auf EU-Ebene wie auch im deutschen und griechischen Parlament wurde, wann immer journalistisch geboten, in ihren Schwerpunkten abgebildet."
Mehr als problematisch finde er die Studie deshalb, da ihre Methodik und Systematik zu einem verzerrten Urteil führe: "Was ist Neutralität? Was analytische Qualität? Was Ausgewogenheit? - Die Studie definiert diese Begriffe meist rein quantitativ und nicht nach journalistisch relevanten Maßstäben. Dafür nur ein Beispiel: Bereits als Wertungen aufgefasst werden in der Studie Adjektive, Substantive oder Verben, die 'andere Akteure beschreiben', wobei 'die Ausrichtung der Wertung für die Frage nach der Neutralität unerheblich' ist. Ist der Anteil solcher Wörter in einem untersuchten Bericht 'größer als null', so wurde laut der Studie 'das Gebot der Neutralität verletzt'."
Solche Definitionen hätten dafür gesorgt, dass der ARD Parteilichkeit unterstellt werde. Das Zählen von Adjektiven ohne Kontext erlaube aus journalistischer Sicht aber überhaupt keine Aussage über die Qualität des Berichtes. "Die Methodik der Studie ist insgesamt leider pauschalierend, nicht sachgerecht und wenig hilfreich. Damit ist sie in unseren Augen nicht geeignet, die Berichterstattung des Ersten zur griechischen Finanzkrise angemessen zu beurteilen", beendet Becker sein Statement.
ZDF: "Können Methodik nicht nachvollziehen"
Das ZDF äußert sich in ähnlicher Weise. Im folgenden das Statement des Senders im Wortlaut: "Wir nehmen die Studie interessiert zur Kenntnis, zeigt sie doch auch, wie intensiv wir über die Schuldenkrise berichtet haben und wie viele verschiedene Stimmen dabei zu Wort kamen. Die angewendete Methodik können wir dagegen an vielen Stellen nicht nachvollziehen. So werden Sendungen mit unterschiedlichen Aufgaben (Nachrichten und Sondersendungen) in einen Topf geworfen und Nachrichtenmagazine wie das „heute-journal“ trotz ihrer wichtigen Rolle ausgeklammert. Auch weitere relevante ZDF-Formate in dieser Frage, wie etwa die werktägliche Sendung „heute – in Europa“ oder das „auslandsjournal“, wurden nicht untersucht. Damit kann die Studie per se kein repräsentatives Bild der umfangreichen ZDF-Berichterstattung zur Schuldenkrise zeigen. Es ist Aufgabe des ZDF als deutscher Sender für ein deutsches Publikum gerade auch die hiesige Debatte über die griechische Schuldenkrise zu spiegeln. Eine Unausgewogenheit lässt sich daraus nicht ableiten. Zudem wird z.B. an keiner Stelle berücksichtigt, inwieweit Äußerungen oder Positionen der griechischen Regierung an den jeweiligen Tagen verfügbar waren oder nicht. Alles in allem können wir die Schlussfolgerung der Otto-Brenner-Stiftung deshalb ohne nähere Erläuterungen nicht teilen, beteiligen uns aber sehr gern an der kritischen Diskussion."