Mehr als einen Monat lang war Jan Böhmermann nicht auf Sendung. Die Debatte um sein Schmähgedicht über den türkischen Präsidenten schlug derart hohe Wellen, dass er eine "kleine Fernsehpause" einlegte. Entsprechend gespannt durfte man sein, wie der Moderator nach all den Schlagzeilen der vergangenen Wochen bei seiner Rückkehr vor die Kamera reagieren würde. Er tat es unspektakulär, verlas Witze der Zuschauer. An Anspielungen auf Erdogan fehlte es freilich nicht, vor allem sein Gast Gregor Gysi war bei der Einordnung des Schmähgedichts kaum zu bremsen - durchaus übrigens auch mit kritischen Worten.
Doch zu diesem Zeitpunkt war das Gedicht schon längst zur Nebensache geworden - und das hat Böhmermann einem Coup zu verdanken, der ihm und seinem Team der Bildundtonfabrik gelungen ist. Der Titel "War was?", mit dem das "Neo Magazin Royale" überschrieben war, traf es ganz gut, denn etwas mehr als ein Jahr nach dem grimme-prämierten "Varoufake" war es an der Zeit für "Verafake": Der Hashtag der Woche war Anspielung auf die neueste Folge der "Fernsehnothilfe", in der Böhmermann offenbarte, wie RTL und die Produktionsfirma Warner Bros. mit den Kandidaten der umstrittenen Kuppelshow "Schwiegertochter gesucht" umgehen.
Diese feierte gerade ihren zehnten Geburtstag und bekam vom "Neo Magazin Royale" ein "Geschenk", das womöglich noch eine ganze Zeit lang auf den Fluren des Kölner Marktführers nachwirken wird. Denn tatsächlich ist es Böhmermanns Mannschaft gelungen, einen falschen Kandidaten bei "Schwiegertochter gesucht" einzuschleusen. Bei der kürzlich ausgestrahlten Vorstellung der neuen Kandidaten war auch der angeblich 21-jährige Robin dabei, den RTL als "einsamen Eisenbahnfreund" präsentierte - in Wirklichkeit handelte es sich bei ihm aber ebenso wie bei seinem vermeintlichen Vater um Schauspieler, wie das "Neo Magazin Royale" am Donnerstagabend auflöste.
Ganz in bester Wallraff-Manier präsentierte Böhmermann mit seinem "Team Royaleraff" eine Undercover-Reportage, die deutlich machte, wie die Macher der RTL-Show mit ihren Kandidaten umgehen. Dazu mietete das "Neo Magazin Royale" eine Wohnung im Ruhrgebiet an und richtete sie so ein, dass sie zu der erfundenen Figur passte - und dem entsprach, was RTL in "Schwiegertochter gesucht" immer wieder gern präsentiert. Als das Kamerateam anrückte, musste der vermeintliche "Schwiegersohn" einen Vertrag unterschreiben, der ihm für bis zu 30 Drehtage gerade mal 150 Euro Aufwandsentschädigung einbrachte, also umgerechnet fünf Euro pro Tag. Böhmermann verwies genüsslich auf die 90.000 Euro Einnahmen pro Werbeminute hin, die RTL im Gegenzug einstecken kann.
Noch dazu lassen sich die Macher von "Schwiegertochter gesucht" von ihren Kandidaten auch eidesstattlich versichern, dass diese nicht geistig behindert sind. Ein Schritt, der nur offenbart, wie bewusst nah man sich an dieser Grenze bewegen will - oder die Kandidaten zumindest so erscheinen lassen will. Und so sorgt die Produktionsfirma dafür, dass beim vorgeblichen Schildkrötensammler noch mehr Schildkröten aufgestellt werden, schiebt ihm ein pinkes "Liebe ist..."-Puzzle unter und lässt ihn vorgeschriebene Sätze sagen wie: "Manchmal geh' ich in die Zoohandlung und schaue mir die richtigen Schildkröten an." Damit nicht genug: Obwohl der falsche Vater namens René angibt, acht Flaschen Bier am Tag zu trinken, kreuzt die Redakteurin im Fragebogen an, dass dieser keinen Alkohol zu sich nimmt. Dass die Kandidaten keine Ausweise vorzeigen konnten, störte die Macher der Kuppelshow offenkundig auch nicht weiter.
"Ihr habt Robin und René noch dümmer gemacht als wir sie uns ausgedacht haben - und das will was heißen."
Jan Böhmermann wendet sich an RTL
Am Ende seines Berichts wandte sich Böhmemann noch einmal direkt an RTL und die Moderatorin Vera Int-Veen: "Die Kandidaten bei 'Schwiegertochter' wissen nicht, worauf sie sich einlassen, und verstehen auch nicht, was sie aus ihnen machen wollen: Nämlich Witzfiguren, auf deren Kosten man sich schön abends als ironischer Assi-Fernsehen-Zuschauer noch amüsieren kann, um sein eigenes mickriges Selbstwertgefühl aufzupolieren", so Böhmermann. "Es geht nicht um Liebe bei 'Schwiegertochter gesucht', es geht für euch ums Geschäft. Und damit es läuft, das Geschäft, macht ihr wirklich alles: Ihr habt Robin und René noch dümmer gemacht als wir sie uns ausgedacht haben - und das will was heißen. Ihr habt sie als die allerletzten Trottel inszeniert. Sorgfaltspflicht scheißegal. Ihr habt unsere beiden Scheinidioten dazu gedrängt, einen Knebelvertrag zu unterschreiben und habt noch nicht mal eine Kopie da gelassen. Die haben wir erst bekommen nach der Ausstrahlung knapp zwei Monate später. Und ich sag mal so, RTL und Vera Int-Veen: Ihr habt nicht den Eindruck vermittelt, dass ihr das zum allerersten Mal so gemacht habt. Und das alles nur für 'ne geile Story, für 'ne geile Quote und für geil viel Cash für RTL und Vera. Man kann so eine Sendung wie 'Schwiegertochter gesucht' in der Art und Weise schon machen - ist halt dann ziemlich Scheiße."
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RTL und die Produktionsfirma dürften angesichts des reichlich entlarvenden Berichts im "Neo Magazin Royale" in Erklärungsnot kommen. Im Detail konnte sich der Sender am Donnerstagabend zunächst nicht äußern. "Wir werden uns die Sendung anschauen und bei Bedarf mit dem Produzenten austauschen. Danach kommentieren wir gern", sagte RTL-Sprecher Christian Körner gegenüber dem Medienmagazin DWDL.de. Kein schöner Abend für die Macher - ein umso schönerer dagegen für Jan Böhmermann. Das "Neo Magazin Royale" ist zur Normalität zurückgekehrt und die hat - wie im aktuellen Fall - eben häufig geniale Züge. Und sie ist so viel besser als ein laues Erdogan-Gedicht über Schrumpelklöten und Ziegenficker.