Darf der Co-Pilot, der den Germanwings-Flug im März über den französischen Alpen zum Absturz brachte, von den Medien beim Namen genannt werden? Um diese Frage entbrannte schnell ein heftiger Streit. Nun, mehr als zwei Monate nach der Tragödie, hat der Deutsche Presserat eine Antwort darauf gegeben. Demnach durfte der Co-Pilot in den allermeisten Fällen benannt und abgebildet werden. Dabei sei jedoch eine Vielzahl an Faktoren zu berücksichtigen.
Zunächst handelte es sich bei dem Germanwings-Unglück nach Ansicht des Presserats um eine außergewöhnlich schwere Tat, die in ihrer Art und Dimension einzigartig ist. Dies spreche für ein überwiegendes öffentliches Interesse an dem Fall insgesamt, jedoch könnte es auch Gründe geben, die dennoch eine Anonymisierung erfordern würden. So könne etwa durch die Nennung des Namens des Co-Piloten, seines Wohnortes und der Information, dass er auch im Elternhaus gelebt hat, die Identifizierung der Eltern ermöglicht werden - ein nicht zu unterschätzendes Argument, immerhin hatten sich zahlreiche Journalisten schnell auf den Weg dorthin gemacht.
Dass besondere Zurückhaltung wegen des Suizids des Co-Piloten geboten gewesen wäre, sieht der Presserat unterdessen nicht. Dieser Gesichtspunkt trete mit Blick auf die die 149 weiteren Todesopfer zurück. Hinsichtlich einer möglichen Vorverurteilung des Co-Piloten durch die Berichterstattung verweist der Presserat auf eine Pressekonferenz der Staatsanwaltschaft Marseille vom 26. März. Seit diesem Zeitpunkt habe man davon ausgehen dürfen, dass der Co-Pilot das Flugzeug absichtlich zum Absturz gebracht hatte.
Eine Sammelbeschwerde mit 144 Beschwerdeführern gegen die identifizierende Berichterstattung über den Co-Piloten bei "Bild" und "Bild.de" wurde - wie bei vergleichbaren Fällen in 16 anderen Medien - für unbegründet erachtet. Kritisch betrachtet der Deutsche Presserat die Berichterstattung über die Opfer und ihrer Angehörigen. Deren Namen und Fotos hätten nur dann identifizierbar veröffentlicht werden dürfen, wenn es sich um berühmte Persönlichkeiten handelt oder eine ausdrückliche Zustimmung vorliegt.
So verstieß etwa das Foto einer Schulklasse, zu der auch Opfer des Unglücks gehörten, gegen den Schutz der Persönlichkeit der Abgebildeten. Zwar seien die Gesichter unkenntlich gemacht worden, doch die Klasse sei als Gruppe für einen erweiterten Personenkreis identifizierbar gewesen, argumentiert der Presserat, der gegen "Bild" und "Bild.de" eine Rüge aussprach. Eine weitere Rüge erging gegen die "Rheinische Post", die über die Partnerin des Co-Piloten berichtet hatte. Obwohl ihr vollständiger Name nicht genannt wurde, waren in dem Text so viele persönliche Details über sie enthalten, dass auch sie für einen erweiterten Personenkreis identifizierbar war.
Eine Missbilligung wurde gegen "Bild.de" ausgesprochen, weil in zwei Artikeln zu viele Details über die Eltern des Co-Piloten genannt worden waren. Zahlreiche Beschwerden richteten sich zudem gegen die Veröffentlichung von Fotos der Angehörigen von Absturzopfern, die an den Flughäfen in Düsseldorf und Barcelona aufgenommen worden waren. Auch hier sprach der Presserat eine Missbilligung gegen "Bild.de" aus. Keinen Verstoß gegen den Pressekodex sah der Beschwerdeausschuss in der Kolumne "Post von Wagner: Liebe Absturzopfer", gegen die 31 Beschwerden vorlagen. Ausschlaggebend war, dass in darin keine Äußerungen enthalten waren, die gegen den Pressekodex verstoßen. Zu Entscheidungen über guten oder schlechten Geschmack sei man jedoch nicht berufen, fügte der Presserat hinzu.
Eine regionale Tageszeitung erhielt derweil eine Missbilligung, weil sie ein Foto veröffentlicht hatte, das das Haus der Eltern des Co-Piloten zeigte. In dem speziellen Fall seien das vollständige Haus und dessen Umgebung zu erkennen gewesen, wodurch es sich verorten ließe. Insgesamt hatten 430 Menschen die Berichterstattung beanstandet. Das ist die höchste Zahl an Beschwerden zu einem einzelnen Ereignis seit Gründung der Freiwilligen Selbstkontrolle der Presse.