An Rügen des Presserates für die "Bild"-Zeitung hat man sich bei Axel Springer gewöhnt - und gewissermaßen gehört das Überschreiten von Grenzen für das Boulevardblatt und seinen Online-Ableger zum Geschäft. Ungewöhnlich ist allerdings, wie "Bild" mit einer Mitte März ausgesprochenen Rüge umgeht, die sich mit der Berichterstattung über den Mord an einer 18-Jährigen auseinandersetzte: Das Blatt holt zum Gegenschlag aus und fährt eine Kampagne gegen den Presserat. "Sagen Sie dem Presserat Ihre Meinung", heißt es in der aktuellen Ausgabe, in der Anschrift, Email-Adresse sowie Telefon- und Faxnummer des Gremiums fett abgedruckt sind.
"Bild" stört sich vor allem an der Begründung der ausgesprochenen Rüge. Der Presserat hatte nach dem Abdruck eines Fotos des 16 Jahre alten Mörders kritisiert, der Mord rechtfertige nicht, "derart identifizierend" über einen minderjährigen und deshalb besonders schutzwürdigen Täter zu berichten. "Bei der Tat handelt es sich zwar um eine schwere, nicht jedoch um eine außergewöhnlich schwere und in ihrer Art und Dimension besondere Straftat", heißt es in der Begründung, die Springer nun als "unglaublich" bezeichnet.
Die junge Frau war von einem guten Freund ermordet und schließlich in einem Maisfeld versteckt worden. An der Suche nach der Vermissten beteiligte er sich schließlich selbst. Im vergangenen Jahr war der zum Tatzeitpunkt 16 Jahre alte Mörder zu neun Jahren Gefängnis und Psychiatrie verurteilt worden. Nun lässt das Blatt den Vater des Mordopfers zu Wort kommen, der die Begründung des Presserats als "Schlag ins Gesicht" empfindet. "Wenn es sich beim Mord an unserer Tochter nicht um eine außergewöhnlich schwere Tat handelt – was hätte der Täter ihr noch antun müssen? Sie in Stücke schneiden?", fragt der Vater. Wie die Eltern des Mörders das in der Hamburger "Bild"-Ausgabe gezeigte Foto ihres Sohnes empfanden, geht aus dem nun veröffentlichten Artikel freilich nicht hervor.
Gleich zwei Mal schrieb "Bild" eigenen Angaben zufolge den Presserat mit der Bitte um Erläuterung an. Wie außergewöhnlich schwer und besonders ein Täter sein Opfer umbringen müsse, dass der Presserat eine entsprechende Berichterstattung für zulässig hält, will man vom Presserat wissen. Inzwischen hat Springer eine Antwort erhalten: "Aus Sicht des Ausschusses war die Tat, so scheußlich sie war, nicht derart monströs, dass dahinter alle anderen Erwägungen, insbesondere des Jugendschutzes, zurückzutreten haben", heißt es von Seiten des Presserates. Dass der Täter erst 16 Jahre alt war, spreche gegen eine identifizierende Berichterstattung.
Es ist eine Antwort, für die man bei "Bild" offenbar kein Verständnis hat, wie die nun gestartete Kampagne zeigt, für die die Eltern des Opfers in der aktuellen Ausgabe als Zeugen der "Bild"-Anklage herhalten müssen.