Anlässlich des International Journalism Festival riefen Amazon, "La Stampa", "El Pais", der "Guardian" und DWDL.de Nachwuchsjournalisten auf, ein Essay über die Zukunft des Journalismus zu schreiben. In dieser Woche veröffentlichen wir die Gewinner-Beiträge. Aus Deutschland setzte sich Theresa Lindlahr durch. Neben ihrem Studium der Fächer Literatur, Kunst und Medien an der Universität Konstanz ist Theresa Mitglied des Europäischen Jugendparlaments.

Die Frage nach der Zukunft des Journalismus suggeriert zweierlei: Einerseits, dass der Journalismus als solcher in seiner Aufgabe und Methodik wandelbar sei, und andererseits, dass dessen Grundlagen und Bedingungen einem Wandel unterworfen zu sein scheinen.

Wie die Historie zeigt, bedingt Letzteres das Erste: Der technologische Wandel hat unsere Ökonomie, unseren Alltag und unser Verständnis der Welt verändert, indem er zu aller erst Maßstäbe von Zeit und Raum überbrückte. Der Buchdruck im 15. Jahrhundert war wohl nicht die erste dieser dazu wichtigen Erfindungen, aber dennoch wohl eine der wesentlichen für die Herstellung einer ‚Öffentlichkeit‘. In unbegrenzter Anzahl konnten Informationen vervielfältigt und in die Welt gesandt werden. Der Print wurde so zum ersten Massenmedium, das allen Literaten zur Informationsvermittlung zur Verfügung stand. War diese Information noch an einen fixen medialen Träger gebunden, war die Telegrafie schon von einer deutlich anderen Qualität: Durch ihren Einsatz beim Krimkrieg (1852 - 1856) ermöglichte sie mit einer Übermittlungszeit von bis zu drei Wochen die erste moderne Kriegsberichterstattung in der Geschichte des Journalismus. Zur Zeit des Irakkriegs 2003 war dies kaum noch mit ‚Modernität‘ zu assoziieren: Das Internet revolutionierte die Berichterstattung, indem es wie von Raum und Zeit losgelöst operierte und Maßstäbe der Übertragungsdauer überrannte und neu aufstellte. Doch nicht nur das Internet revolutionierte die Berichterstattung, etwa während des Irakkriegs, sondern der Perspektivwechsel der Journalisten, der durch das Internet stimuliert und letztlich auch kausal bedingt wurde: Embedded journalists, Zivilisten, traten erstmalig neben und im Schutz von amerikanischen Soldaten aufs Kriegsfeld, um hautnah die dortigen Ereignisse zu dokumentieren. ‚Hautnaher Journalismus‘ setzte auf Authentizität und daher Wahrheit. Welch eine Illusion. Neben dem Sympathisieren mit den sie beschützenden Soldaten, waren auch Agenda Setting und Framing maßgebend für eine subjektive bzw. bewusst manipulierende Berichterstattung und die intendierte Einflussnahme auf die öffentliche Meinungsbildung.

Die Massenmedien, die ‚vierte Gewalt’ im Staat, waren somit nicht nur Anwalt der Öffentlichkeit in der aktiven und passiven Konfrontation mit den Machthabern, sondern brachten auch durch ihre jeweilige politische Positionierung ein Eigeninteresse und damit im Hinblick auf ihre demokratische Legitimation eine durchaus kritisch zu wertende Verselbstständigung mit sich, der sich die Öffentlichkeit bewusst werden muss. Die Pluralität der Informationsangebote kann den Rezipienten vor einer einseitigen Beeinflussung seiner Meinungsbildung schützen, indem er von der Vielseitigkeit der Quellen Gebrauch macht. Andererseits hat dieser Pluralismus in Folge des Informationsmediums Internet Formen angenommen, die zunehmend als Informationsflut begriffen werden, der sich viele Rezipienten, die nicht zur Generation der digital natives gehören, großteils unbeholfen gegenübersehen. Ob man allerdings tatsächlich von einer Informationsflut sprechen kann, bleibt zu bezweifeln: Open Source Programme, Blogs sowie Kommentarfunktion und ‚Klick-Politik‘ lassen die Rezipienten ihre Rolle als passive Benutzer verlassen und - wie der Medientheoretiker Axel Bruns beschreibt - zu Produsern, einem Hybrid aus User und Producer werden. Dies ist ebenfalls revolutionär am Internet als Massenmedium: Es ermöglicht die aktive Diskursteilnahme eines jeden Interessierten mit Internetzugang. Doch ist das auch etwas Gutes? Interessiert bedeutet schließlich nicht informiert. Veröffentlichung bedeutet nicht mehr Geprüftheit. Die ‚Informations‘-Flut im Sinne einer oftmals unreflektierten und umverifizierten Aufnahme von Nachrichten und Meinungen als beinahe zwangsläufiges Resultat einer massenhaften Teilnahme am Online-Diskurs, kann somit wieder zu deren Reduktion führen: Entweder wird das Medium aus der Ohnmacht gegenüber der Flut gemieden, oder jede ‚Information‘ unkritisch für bare Münze genommen. Intendierte Aufklärung vergeht am Nebeneffekt der Verdummung.

Neben dem ‚Laien-Journalismus’ spürt auch der professionelle Journalismus Folgen des ausgreifenden Pluralismus: Während der Pluralismus in der Theorie vor einseitiger Berichterstattung eines Oligopols von Zeitungstycoons bewahren soll, übt der geringe Marktanteil der vielen Zeitungsanbieter eines Polypols starken Druck aus: Mit der Überschreitung aller herkömmlichen Maßstäbe durch das Internet hat sich unsere Gesellschaft dem Ziel des „Schneller, höher, weiter!“ verschrieben. Der Online-Journalismus ist nicht mehr auf den Print und konventionelle Vertriebsstrukturen angewiesen, sodass der Redaktion der klassische Imperativ der abendlichen bzw. morgendlichen Deadline abhanden gekommen ist. Stattdessen muss es nun schnell gehen mit der Online-Publikation, denn die Konkurrenzmuster haben sich gewandelt und der Wettbewerb folgt einem anderen Takt. In der Zeit einer vom Druck zur Konkurrenzfähigkeit geprägten Marktdynamik wird nicht selten die Ökonomie über die verantwortliche Recherche gestellt. Darunter zu leiden haben Informationsgehalt und Sorgfalt - in der Folge also auch der interessierte Leser. Andererseits ist es nicht nur der Zeitdruck, der zu einer Qualitätseinbuße führen kann, sondern die permanente Getriebenheit zur Informationsproduktion und -reproduktion, die notgedrungen dem Gesetz „Whatever sells“ folgt. Sensation steht höher als Information, das Herausstehen-Müssen aus eben jener Informationsflut führt zu einem aus journalistischer Sicht zunehmend bedenklicher werdenden Kampf um Aufmerksamkeit, der in thematischer Überzeichnung und plakativer Aussage gipfelt: einfach mal „einen rauszuhauen“ erscheint verlockender als eine reflektiert-differenzierte thematische Positionierung. Des Weiteren bedingt der Zwang zur Schnelligkeit die Verlagerung ins Online-Ressort, was wiederum häufig eine Finanzierung durch Werbungsplatzierung nicht ausschließt. Der Pressekodex von 1973, das ethische Regelwerk des Deutschen Presserats, fordert jedoch unter anderem eine strikte Trennung von Redaktions- und Kommerzteil. In diesem kontinuierlichen Überlebenskampf droht der Journalismus somit seine Identität zu verlieren: Die Grenze zwischen dem Produser-Journalismus und dem professionellen Journalismus scheint mit der abfallenden Qualität des letzteren immer weiter zu verblassen und der Pressekodex im Angesicht des Internet-Zeitalters nicht nur seine Präsenz, sondern auch seine Aktualität zu verlieren.

Dass sich der ‚Content’ in seiner Qualität, d.h. seiner Rechenschaft gegenüber der fundierten Recherche, verschlechtert, ist jedoch nur die eine Seite der Medaille: Der heutige ‚Meinungsjournalismus‘ provoziert eine zunehmende Kritik an der Pressefreiheit bzw. der Art und Weise, wie Amateur-Blogger sowie auch professionelle Journalisten diese verstehen und umsetzen. Besonders nach dem radikal-islamistisch motivierten Terroranschlag auf die Pariser Charlie Hebdo-Redaktion am 7. Januar diesen Jahres, dem gezielt einzelne Journalisten zum Opfer fielen, ist das Konzept der Meinungs- und Pressefreiheit in den Mittelpunkt hitziger Debatten geraten. Muss sich der Journalismus in diesem Punkt neu definieren? Hat die Meinungsfreiheit Grenzen bzw. sollte sie welche haben? In einem freiheitlich demokratischen Staat sind Meinungs- und Pressefreiheit die obersten Gebote. Ein säkularer Staat, der Menschen jeder Glaubensrichtung, Ethnie, politischen Überzeugung, Generation und jedes Interesses ein Zuhause bietet, lebt von diesen Geboten: Sie schaffen den öffentlichen Diskurs, Transparenz von Entwicklungen und Expression einzelner Interessen und Minderheiten, welche ein friedvolles Neben- und Miteinander garantieren (sollen).

Wie sieht es jedoch aus, wenn meine Meinung einen anderen verletzt? Wenn der Ausdruck meines Amusements zur Provokation und Beleidigung eines anderen wird? Hier zeigt sich ein Dilemma zwischen dem ‚Recht haben‘ und ‚recht haben‘: Ich habe zwar das Recht, meine eigene Meinung kundzutun, doch habe ich auch die Pflicht zum Respekt des gleichen Rechts meiner Mitmenschen. Wenn Uneinigkeit zur Respektlosigkeit führt, muss man sich vor dem Ausdruck dieser Respektlosigkeit nicht fragen Mit welchem Recht?, sondern Zu welchem Zweck? In welcher Relation? Mein eigenes Vergnügen an einer Kleinigkeit wie einer Karikatur kann für andere die größte Blasphemie und damit die größte Verletzung ihres Selbstverständnisses sein. Zwar ist es jedermanns Recht, ob gläubig oder nichtgläubig, hetero- oder homosexuell sich nach seiner Überzeugung auszudrücken. Dennoch sollte man mit diesem Recht verantwortlich umgehen und sensibel für die Rechte, Überzeugungen und Empfindungen der anderen sein. Hate Tweets sind ebenso wenig im Sinne der Meinungsfreiheit, wie die Belustigung über oder das Aufhetzen gegen eine bestimmte Volksgruppe im Sinne der Pressefreiheit ist. Das Recht, meinen Arm zu schwingen, hört dort auf, wo dein Auge beginnt.

Stattdessen sollte man sich auf die Pressefreiheit als das zurückbesinnen und als das wertschätzen, für das der Presse volksmündlich der Titel der ‚vierten Gewalt‘ zugeschrieben wird: Neben der Exekutive, Legislative und Judikative fungiert sie nicht nur als Informationsmedium zwischen Staatsapparaten und Bevölkerung, sondern auch als Sprachrohr in zwei Richtungen.

Diese bidirektionale Funktion des Journalismus ist es, die auch in Zukunft seinen gesellschaftlichen Wert ausmachen wird.

Die Bevölkerung wird nicht nur journalistisch informiert, sondern Medientätigkeit erhöht Transparenz und ermöglicht dadurch zugleich auch gesellschaftliche Partizipation und Kontrolle. Die Medien fühlen den Politikern „auf den Zahn“ und erzeugen öffentlich Druck: Sie setzen dem politischen Profil der betreffenden Person ein mediales Profil hinzu bzw. entgegen und können auf diese Weise als wichtiges Korrektiv wirken, besonders in Fragen des ethischen Verhaltens. Allseits bekannte Protagonisten für derartige mediengestützte ethische Korrektivfunktionen sind etwa der US-amerikanische Whistleblower Edward Snowden in Bezug auf die NSA-Affäre sowie der Gründer der Enthüllungsplattform WikiLeaks Julian Assange. Nicht nur der Aufschrei seitens der Bevölkerung als Reaktion auf die enthüllten Informationen zeigt hier, was die besondere Aufgabe des Journalismus ausmacht - das Aufklären der Bevölkerung - sondern vor allem der Aufschrei seitens der Regierungen: Der Journalismus hat die Macht, ethische Verstöße und Fehlverhalten der Politiker aufzudecken und diese damit öffentlich zu konfrontieren. Er ist somit in seiner Funktion unentbehrlich und unersetzbar für die Demokratie, denn er hebt die hierarchische Struktur von unten her auf, indem er sich den Machthabern als Anwalt im Interesse der Bevölkerung entgegensetzt.

Angesichts dieser gesellschaftlich relevanten Korrektivfunktion des Journalismus stellt sich die Frage, ob und inwieweit der Journalismus im Online-Zeitalter eigentlich in ausreichendem Maße auch über Selbstkorrektive verfügt. Und dies schließt unmittelbar an die Ausgangsthematik an, wie die Zukunft des Journalismus aussehe. Es kann wohl als eine sichere Prognose gelten, dass Dynamik und Diversität in der Medienlandschaft weiter zunehmen werden. Der heutige Journalismus im Zeitalter von Web 2.0 kennzeichnet den Anfang einer Entwicklung, die neue Qualitäten durch vollständig anders dimensionierte Datenverfügbarkeit, neue Ebenen der gesellschaftlichen Relevanz von Digitalisierung und eine durch gesamtgesellschaftliche Prozesse radikal veränderte Gesamt-Agenda entfalten wird. Dementsprechend werden sich auch die Bewertungsparameter ändern, an denen sich der Journalismus künftig wird messen lassen müssen. Der wachsenden Veränderung der Medienlandschaft, die restriktionslos gemäß dem „Anything goes“ die unbegrenzte Informationsflut zulässt, muss ein darauf reagierender gesellschaftlicher Diskurs über Regulative, Selbstkorrektive und journalistische Verantwortung entgegengesetzt werden. Vor allem aber muss dieser Diskurs auch innerhalb der Journalismus-Branche geführt werden: Auch in Zukunft werden an den professionellen Journalismus andere Maßstäbe anzulegen sein als an Blogger Communities und die künftigen Produser-Generationen. Eine der größten Herausforderungen wird darin bestehen, in einer Gesellschaft, die sich als eine inzwischen beinahe globale, multikulturelle und multireligiöse begreifen lässt, neben dem Zelebrieren der großen Freiheiten auch den gesellschaftlichen common sense zu stärken für die Verantwortungsethik, die diese erfordern. Diejenigen, die sich zum professionellen Journalismus der Zukunft zählen wollen, müssen sich daher auf alte Ethik, gegenwärtige Kapazitäten und neue Methodik berufen und die Identität des Journalismus nicht neu definieren, aber doch kritisch reflektiert aktualisieren.