Neo Magazin
Was das Medium Fernsehen kann, wenn es nur will und nicht muss, führt kaum einer so kompromisslos vor wie Jan Böhmermann als Gastgeber des "Neo Magazins". Irgendwo zwischen Late Night, Satire, Dadaismus und Unterhaltung mit Haltung weist Böhmermann der digitalen Generation den Weg ins Zweite Deutsche Internet – und einer kleinen, aber feinen Minderheit auch ins lineare ZDFneo. Dort erlebt der geneigte Zuschauer etwa die ultimative popkulturelle Replik auf die NSA-Affäre: In seiner Rubrik "Prism is a Dancer" durchleuchtet Böhmermann die Social-Media-Profile seines Studiopublikums, befördert peinliche Partyfotos, poetische Twitter-Sprüche oder zum Verkauf eingestellte Bleiglasfenster zutage – und sagt damit mehr über die omnipräsente Privatsphäre-Diskussion aus als manches gut gemeinte Informationsprogramm.
In weiteren, mit Liebe zum Detail ausgestalteten Rubriken wie "Trendvulkan Mitte", "Drehscheibe Internet" oder "Schlimmer als Hitler?" wechselt Böhmermann spielerisch zwischen naheliegenden Schenkelklopfern und hintersinnigen Pointen, die sich oft nur für Kenner bestimmter Subkulturen oder digitaler Strömungen vollumfänglich erschließen. Mit der schelmischen Überinszenierung der zwischenzeitlichen Böhmermann-vs.-Böhmermann-Kampfprogrammierung auf EinsPlus ("LateLine") und ZDFneo entblößte er im Herbst 2013 zudem die Abgründe der öffentlich-rechtlichen Spartenstrategie. Über den klassischen Formatrahmen der Late-Night-Show weist das "Neo Magazin" damit in puncto Innovation und Anspruch weit hinaus.
Dass das "Neo Magazin" als Gesamtprojekt einer neuen TV-Avantgarde so herausragend funktioniert, liegt auch an Philipp Käßbohrer und Matthias Schulz, den Gründern und Geschäftsführern der Kölner Bildundtonfabrik (btf), die das Format gemeinsam mit Böhmermann produzieren. Unter ihrer Leitung hat sich ein ambitioniertes Kreativteam zusammengefunden, dessen Wurzeln eher in Kunst und Design als im Fernsehen liegen und das vielleicht gerade deshalb eine selten gewordene Einstellung dem Medium gegenüber praktiziert: Gemacht wird nur das, woran die Macher glauben, und zwar aus tiefstem Herzen. Weil die btf-Mannschaft ihr Kölner Hinterhofstudio inklusive Technik in kompletter Eigenregie gestaltet hat, ist das "Neo Magazin" auch in Form und Ästhetik vorbildlich: Der selbstironische Retro-Look setzt mit seinen vielseitigen Grafik-Projektionsflächen den idealen Rahmen für ein TV-Abenteuer, von dem noch viele originelle Einfälle zu erwarten sind.
Circus Halligalli
Ihr Markenzeichen ist die Grenzüberschreitung: Joachim Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf, den meisten Zuschauern schlicht als „Joko & Klaas“ bekannt, sind das Duo infernale des deutschen Fernsehens. Vor ihnen ist nichts sicher; nicht mal die ProSieben-Nachrichten. Die beiden als Hoffnungsträger der hiesigen TV-Unterhaltung zu bezeichnen, käme einer Verkennung der Realität gleich: Sie sind die Unterhaltung, denn zumindest im Programm der großen Sender ist weit und breit niemand in Sicht, der ihnen das Wasser reichen könnte. Gleichzeitig ist ihre Karriere der Beweis dafür, dass man sich bei entsprechender Originalität und Hartnäckigkeit aus dem Spartendasein ins Rampenlicht arbeiten kann: Auf die ersten Gehversuche mit „MTV Home“ (ab 2009) folgte 2011 „Neo Paradise“ (ZDFneo) und schließlich der Wechsel zu ProSieben.
„Circus HalliGalli“ greift verschiedene Elemente der Vorläufer auf, konzentriert sich aber nicht mehr ausschließlich auf die Hassliebe zwischen den beiden Protagonisten. Beschränkten sich die früheren Formate ebenso wie „Joko gegen Klaas - Das Duell um die Welt“ darauf, dass sich das Duo gegenseitig in die Pfanne haute, überlassen Winterscheidt und Heufer-Umlauf die Bühne mittlerweile immer öfter auch anderen. Diese Strategie verhindert nicht nur die ansonsten unvermeidlichen Abnutzungserscheinungen; sie verhilft dem Format auch zu einer Unberechenbarkeit, die einen großen Reiz der Show ausmacht: Oft wissen die beiden Moderatoren selbst nicht, was die Redaktion ausgeheckt hat. „Circus HalliGalli“ ist daher die witzigste Wundertüte der deutschen Fernsehunterhaltung: weil es Winterscheidt und Heufer-Umlauf immer wieder gelingt, das Publikum und offenbar auch sich selbst zu verblüffen. Sollten sie wider Erwarten in den Schabernack eingeweiht sein, mit denen sie der jeweils andere überrascht, müsste man ihnen über die sonstigen Fähigkeiten hinaus auch noch ein bemerkenswertes schauspielerisches Talent attestieren.
Dass es hin und wieder zu Kollateralschäden kommt, weil die beiden mitunter nicht nur die Grenzen des guten Geschmacks überschreiten, ist Teil des Konzepts; wenn eine ihrer Sabotageaktionen die „ProSieben Newstime“ trifft, ist auch schon mal eine Entschuldigung fällig. Diese Konsequenz, die weder vor den heiligen Kühen des Fernsehens und erst recht nicht vor der eigenen physischen und psychischen Belastbarkeit Halt macht, ist ein echtes Alleinstellungsmerkmal. Joko und Klaas sind die letzten Anarchisten im deutschen Fernsehen; schon allein das ist preiswürdig.
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