Und immer, wenn RTL II sich gerade aus den Negativ-Schlagezeilen herausbewegt, schafft der Sender es ganz von selbst wieder für neue Aufregung zu sorgen. Dieses Talent besitzt kaum ein anderer Sender. Am Montagabend startet das von Filmpool produzierte Format "Berlin Tag & Nacht". Für RTL II ist es ein wichtiges Projekt, wie man an der umfassenden Werbekampagne vor dem Sendestart ableiten kann. In dem Format gehe es um "die aufregenden und spannenden Geschichten einer siebenköpfigen Wohngemeinschaft im szenigen Berlin", verspricht der Sender. Und weiter: "Freude, Leid, Kummer & Glück ranken sich um das Leben und die Träume der Berliner WG."
Immer wieder taucht in dem Zusammenhang der Begriff "Realtainment" auf. Er soll offensichtlich suggerieren, dass hier etwas real sei. Die Wahrheit jedoch ist: Bei "Berlin Tag & Nacht" handelt es sich um eine normale Dailysoap, erzählt mit Laien-Darstellern und billigeren Drehbüchern. Um dem Vergleich mit anderen teurer produzierten Dailysoaps zu entgehen, erfindet man kurzerhand ein neues Genre. Doch dabei ausgerechnet den Anschein erwecken zu wollen, dass hier irgendetwas echt sei, ist eine gewagte Taktik. Die "BZ am Sonntag" aus Berlin hat die Mogelpackung entschlüsselt. Keiner der Teilnehmer kommt tatsächlich aus Berlin und auch die Namen sind teilweise erfunden, ebenso wie die Biografien der Teilnehmer.
Und auch das, was die Kamera vermeintlich als stiller Beobachter einfängt, ist geplant. Zwei Rollendarstellerinnen bestätigen gegenüber der "BZ am Sonntag": "Wir kriegen ganz normale Drehbücher, in denen die ganzen Liebesgeschichten und Eifersüchteleien drinstehen." Aber nicht nur die Charaktere und Geschichten sind erfunden, auch die Location ist nicht wirklich der Wohnort dieser TV-WG. Die Wohnung in Berlin-Kreuzberg ist ein ganz normales Set - und wird nur für die Dreharbeiten genutzt. Keiner der Darsteller, so berichtet auch die "BZ am Sonntag", wohnt in diesem Apartment. Somit bleibt am Ende nicht viel übrig von "Realtainment".
Bedauerlich daran ist nicht das Format selbst. In Anlehnung an MTV-Erfolge wie "The Real World" oder "Jersey Shore" ist das Begleiten von Jugendlichen in einer WG eine interessante TV-Idee. Etwas absurd wird es erst durch die Idee, dieses Format als "Realtainment" zu verkaufen und dem Zuschauer vorzugaukeln, hier sei er Beobachter in einer echten WG obwohl es sich im Grunde um eine günstig produzierte Dailysoap handelt. Und wenn der Sender trotzdem von "echten Menschen" und ihrem "Alltag" spricht, den man nur "dramaturgisch verdichte", dann ist diese Sichtweise - äußerst kreativ.