Anfangs ist dieser „Tatort“ großartig. Schon der theatralische Prolog, mit dem Alexander Held quasi als Master of Ceremonies ins Geschehen einführt, ist etwas sehr Besonderes. „Es wird schlimmer als ich dachte“, sagt er im Shakespeare-Modus und schickt gleichzeitig eine Warnung an die Zuschauer: „Liebe Freunde, schickt eure Kinder rasch zu Bette.“ Doch es kommt noch besser. Danach zitiert dieser Film ziemlich direkt den Westernklassiker „Spiel mir das Lied vom Tod“.
Drei Männer mit Knarren lungern in glühender Hitze am Bahnhof Wiesbaden Erbenheim herum. Sie warten auf einen Zug. Sie warten auf einen Mann. So viel ist gleich klar. Auf einen Heimkehrer. Eine Fliege surrt nervig, und einer der offensichtlich als Killer ausgeschickten Kerle liest Sherwood Andersons „A Storyteller`s Story“, eine Geschichte, in der die Erzählebenen ebenso verschwimmen wie in diesem Film.
Der Mann steigt aus dem Zug, er setzt im Angesicht des mordlüsternen Trios seinen Koffer ab, und schon donnert das Sinfonieorchester des Hessischen Rundfunks los. Große Oper. Die drei Männer sterben, Blut spritzt in Zeitlupe, doch der Mann mit dem Koffer hat keinen Finger gerührt. Das verwirrt etwas später den ohnehin stets leicht verwirrt wirkenden Kommissar Murot vom LKA zusätzlich. Der erst kürzlich von einem Hirntumor befreite Kriminale weiß aber schnell, wer der Mann mit dem Koffer ist: Richard Harloff. Mit Harloff wurde Murot vor über 30 Jahren als Polizist ausgebildet, mit ihm teilte er sich eine wunderschöne Frau, lebte eine ménage à trois wie im Film „Jules et Jim“. Bis der Freund 1982 Drogen stahl und mit der Frau nach Bolivien entschwand. Dort stieg Harloff auf zum Drogenboss, und nun ist er zurück. Es geht um Verrat, es geht um Rache, es geht um ein ganz großes Ding.
Michael Proehl hat das Buch zu diesem überaus opulenten Werk geschrieben, und Florian Schwarz durfte die Inszenierung übernehmen. Ein Satz, der so sehr stimmt wie er auch nicht stimmt, denn die beiden greifen derart tief in die stilistische Trickkiste, dass man sie eher als Collagisten denn als Schreiber und Regisseur bezeichnen möchte. Sie zitieren Western, sie zitieren große Oper, sie haben die klassische Tragödie im Sinn. Das Blutrünstige (am Ende stehen knapp 50 Tote in der Bilanz) stammt eindeutig von Tarantino, das gelegentliche Einfrieren der Szenen ebenso. Aber Tarantino ist ja auch nur ein großer Zitierer.
Proehl und Schwarz machen das ganz große Fass auf. Sie schwelgen in dem, was sie können, was sie dürfen. Sie spielen mit den Genres, sie zeigen, was geht. Ulrich Matthes spielt Harloff, den Heimkehrer, den Mann vom Bahnhof, den mit dem Koffer. Seine Augen sind starr, so starr, dass man weiß, dass sie nur zwei Chancen haben, wieder in Bewegung zu kommen. Entweder verdrehen sie sich beim Sterben, oder es wird ihnen die Genugtuung der Rache zuteil. Dagegen wirkt Ulrich Tukur in seiner Rolle als Kommissar Murot beinahe glatt, aber das ist zweitrangig, weil es in den knapp 90 Minuten ohnehin vorrangig um die Macht der Bilder geht, um die Macht der Musik. Das Orchester knallt alles raus, was es drauf hat, von Bach bis Verdi, von Chopin bis Tschaikowski, von Brahms bis Vivaldi.
Zwischendrin gerät die Krimihandlung ob dieser Opulenz mehrfach aus dem Blick, weil die Beteiligten offenbar genug damit zu tun haben, dem deutschen Fernsehen zu zeigen, was es alles kann, wenn es denn darf. Zwischendrin wirkt das, als wolle man so viel Bildungsfernsehen in 90 Minuten packen, dass es den öffentlich-rechtlichen Auftrag gleich für alle anderen Sendungen des Tages miterledigt. Leider wird es irgendwann zu viel, geht es vor allem darum zu zeigen, was man kann. Das artet dann in eine Art visueller und akustischer Machtdemonstration aus, was sehr, sehr schade ist, denn mit ein bisschen weniger von allem hätte aus diesem Opus ein epochales Werk werden können.