Nur selten stechen bei der TV-Messe MIPTV im April oder ihrer Schwestermesse MIPCOM im Herbst einzelne Produktionen besonders hervor. Talpas vermeintliches Reality-Experiment „Utopia“ und Keshets Castingshow-Idee „Rising Star“ waren vor einem bzw. anderthalb Jahren beispielsweise Formate, die rund um die Messe in Cannes viel Neugier der Branche auf sich vereinten, aber letztlich hinter den Erwartungen blieben. In den meisten Fällen ist die Frage nach dem neuen Trend im internationalen TV-Geschäft nicht zu beantworten. In einer immer diversifizierten Medienwelt wirkt sie ohnehin anachronistisch. Wer mit Tunnelblick nur nach dem nächsten großen Hit sucht, übersieht, was am Wegrand passiert. Und dort lassen sich in diesen Tagen in Cannes so einige Beobachtungen machen.
- Die Serie ist und bleibt ohne Zweifel das Genre der Stunde. Das goldene Zeitalter des seriellen Erzählens hält an und zeigt sich bei der MIPTV in einer enormen Vielzahl an gehandelten TV-Produktionen. Erstaunlich stark vertreten ist neben Westeuropa und Skandinavien auch die Türkei. Bei den einkaufenden Sendern spürt man zunehmende Frustration angesichts all der Miniserien. Sie mahnen Procedurals - Serien mit abgeschlossenen Handlungen pro Folge - mit mehr Episoden pro Staffel an.
- Der Wunsch nach Risiko-Minimierung führt auch bei fiktionalen TV-Produktionen zu einem florierenden Format-Geschäft. Erfolgreich umgesetzte Serien-Ideen werden immer häufiger als Gerüst für eigene, lokale Adaptionen verkauft. Und das nicht mehr nur in die USA, wo man ausländische Ideen seit Jahren schon lieber noch einmal neu dreht. Scripted Formats - kein anderes Thema wird diesmal in Cannes auf mehr Veranstaltungen diskutiert und analysiert.
- Was "Rising Star" nicht geschafft hat, wollen zahlreiche Produzenten aus aller Welt dennoch probieren: Das Genre der Castingshows nach dem weltweiten Erfolg von "The Voice" nochmals neu zu erfinden. Wirklich vielversprechende Ansätze waren nicht dabei. Meist wird versucht die Blind Auditions von "The Voice" zu variieren oder das Casting-Genre stärker zu formatieren - beinahe in Richtung Gameshow.
- So schnell wird auch der Herd nicht kalt: Der anhaltende Erfolg des Klassikers "Masterchef" im globalen TV-Markt (außer bei uns) und Newcomern wie "The Taste" befeuert weiterhin das Genre der Kochshows. Neben einigen Dokutainment-Ansätzen für eine tägliche Ausstrahlung oder den Programmrand, geht es hierbei meistens um die nächste große Primetime-Cooking-Competition.
- Der gigantische Erfolg von "Come dine with me", bei uns "Das Perfekte Dinner", prägt auch nach vielen Jahren noch die Formatentwicklung: An neuen Idenn für Daytime und Vorabend, die ebenfalls mit fünf-tägigem Wettbewerbsbogen und einer Auflösung am Ende der Woche arbeiten, mangelt es bei der MIPTV 2015 nicht. Manchmal werden hier jedoch etwas zu plump vermeintlich erfolgreichsversprechende Elemente kombiniert: Etwa tägliche Gesangsperformances bei wechselnden Gastgebern.
- International und auch in Cannes ein größeres Thema als im deutschen Fernsehen: MakeOver bzw. Renovierung. Fünf oder zehn Jahre zurück, gab es auch bei uns mehrere tägliche und wöchentliche Formate, manche sogar mit Kultcharakter. An neuen Ansätzen in diesem Genre mangelt es bei der MIPTV nicht. Doch neben einer möglicherweise andauernden Übersättigung des Marktes, gibt es in Deutschland bekannterweise auch rechtliche bzw. finanzielle Hürden für dieses Genre.
- Nicht nur häusliche Renovierung ist weiterhin oft zu entdecken in Cannes: Auch Personal MakeOver steht weiter hoch im Kurs - mit einem neuen Dreh. Es gibt natürlich auch dieses Mal genügend mehr oder weniger banale Beauty-Shows, aber MakeOver meint inzwischen oftmals auch umfassendere Hilfestellung, etwa für Karriere bzw. Bewerbungsgespräch. Typ-Beratung in mehr als nur optischen Fragen erlebt eine Renaissance.
- Eine App allein macht noch keine Show. Passend zu den Erfahrungen, die mehrere deutsche Sender im vergangenen Jahr mit App-basierten Shows gemacht haben, ebbt die Euphorie rund um die interaktive Beteiligung via App bei den großen Produktionshäusern langsam ab. Kleine Produktionsfirmen versuchen es aber auch in diesem Jahr immer noch. Entweder jedoch sehr uninspiriert oder aber in der Realität schwer umsetzbar.
- Aktuelle Trend-Themen und Hypes spiegeln sich aber auch weiterhin in der Formatentwicklung und dem Angebot bei der MIPTV. So findet man beim Rundgang über die Messe an mehreren Ständen kleinerer Produzenten Ideen, wie z.B. der Hype um Selfies in eine TV-Show gepackt werden könnte. Etwa mit einem Nachstell-Wettbewerb berühmter Selfies. Und manche TV-Idee setzt auf den Boom der GoPro-Kameras. Der Mehrwert dabei ist gering - das Gimmick steht im Mittelpunkt.
- An Scripted Reality-Formaten scheiden sich in diesem Jahr die Geister in Cannes. Während der maßgeblich vom deutschen Fernsehen geprägte, weltweite Boom des Genres in den vergangenen zwei Jahren noch unkritisch gesehen wurde, mehren sich inzwischen Sorgen einiger Fernsehmärkte (etwa in Skandinavien), dass sich die Erwartungshaltung des Publikums nach immer extremeren Geschichten nicht erfüllen lässt. In Australien hingegen boomt das Genre ungebremst.
- Ein sehr oft gehörtes Wort in diesen Tagen an der Cote d’Azur: Purpose. Jede noch so banale Fernsehshow bemüht sich in diesem Jahr darum, eine zusätzliche Ebene zu haben oder mindestens zu suggerieren. Egal ob Dating, Gameshow oder Reality: Ohne eine Bestimmung bzw. tieferen Sinn geht scheinbar kein Pitch mehr. Dies ist zwar kein inhaltlicher Trend - aber „Purpose“ in jedem Fall das Buzzword dieser MIPTV.