Frau Müller, Herr Kromschröder, mit Bantry Bay sind Sie gerade erst seit einem Jahr im Markt unterwegs. Mit „Weinberg“ startet am Dienstagabend eine Thriller-Serie aus ihrem Haus bei TNT Serie. Anfang November dann „Club der roten Bänder“ bei Vox. Ein flotter Einstieg in den Markt…
Jan Kromschröder: Das ist ein Schlagzahl, mit der wir beide nicht gerechnet hatten. Wir machen diesen Job beide ja schon ein bisschen länger und wissen, dass fiktionale Programme einen viel größeren Vorlauf haben. Dass jetzt im ersten Jahr gleich drei Projekte anstanden, macht uns sehr dankbar.
Gerda Müller: Und dann diese Vielfalt. Wir haben einmal Mystery für TNT Serie, dann eine Dramedy bzw. die erste deutsche Serie für Vox überhaupt. Das ist sicherlich etwas, auf das wir mit großer Demut schauen und sehr gespannt sind.
Jan Kromschröder: Und wir haben das ZDF als öffentlich-rechtlichen Sender, bei dem eine Samstagabendserie eine gewisse Prämisse hat, weil das Family Entertainment sein muss. Die „Herzensbrecher“ haben da sicher neu definiert, wie eine Familienserie aussehen kann, bleiben aber in diesem vom Sender gewünschten und bekannten Genre. Das ist ein schöner Kontrast zu TNT Serie, wo der Wunsch des Senders darin bestand, nach „Add a friend“ eine andere Serienfarbe auszuprobieren. Und dann kam eben Vox, die sich für eine Serien-Adaption entschieden haben, die ich auch schon länger im Visier hatte. Bei einem Projekt wie „Club der roten Bänder“ braucht es einen Senderchef wie Vox-Chef Bernd Reichart, der sagt: Ich traue mir das zu und gehe dieses Risiko jetzt einfach ein. Diese Vielfalt an Projekten und Partnern in den ersten 12 Monaten von Bantry Bay hat viel Spaß gemacht.
Bantry Bay kam genau rechtzeitig, um auf der Serienwelle zu reiten
Jan Kromschröder: Ach, diese Wellen. Ja, gerade schwimmt die Branche auf der Welle der Serien-Euphorie. Da muss man jetzt nur schauen, ob all das, was von der Kritik und den Machern schon als so ambitioniert und positiv gefeiert wird, dann bei der Ausstrahlung auch ein Publikum findet. Neu an dieser Begeisterung für deutsche Serien ist vielleicht die Vielfalt der Genres und Abnehmer. Es gehen gerade viele Türen für gute Serien auf. Das finde ich gut. Aber wir sind lange genug dabei, um zu wissen, dass die deutsche Serie schon einmal große Erfolge gefeiert hat - bevor dann plötzlich alle „CSI“ sehen wollten. Deswegen schwingt in der Begeisterung für die neuen Serien für mich immer ein wenig das Vergessen dessen mit, was es alles schon für tolle deutsche Serien gab.
Verkauft sich das deutsche Fernsehen - auch mit Blick auf die MIPCOM in Cannes - manchmal selbst unter Wert?
Jan Kromschröder: Eine Serie, die Gerda als Redakteurin bei RTL lange verantwortet hat - „Alarm für Cobra 11“ - ist die einzige wirkliche weltweit erfolgreiche Actionserie - und das made in Germany. Das war nie eine Serie für das Feuilleton, aber für eine große Fangemeinde in Deutschland und rund um den Globus. Das ist toll gemachte Unterhaltung eines Produzenten mit Vision. Das muss man Hermann Joha lassen. Und bei der Betrachtung wird mir immer zu viel über Serien geredet und dabei außer Acht gelassen, dass wir in Deutschland mehr als 200 Fernsehfilme im Jahr produzieren. Das ist eine Schlagzahl und Qualität, die sie in keinem anderen Fernsehmarkt der Welt finden.
Die Stärke im Fernsehfilm bringt dem deutschen Fernsehen international leider nicht viel, wo eher die Serien nachgefragt werden.
Jan Kromschröder: Deswegen tut sich ja auch etwas. Die Sender merken, dass sie Serien unter Marketing-Gesichtspunkten gut benutzen können, um sich und ihr Programm zu positionieren. Das ist eine Ansicht, die neu ist. Vor fünf oder zehn Jahren dominierten die US-Serien sowie Casting- und Realityshows. Da waren eigene Serien nicht das geeignete Mittel, um die Marke zu schärfen.
Dabei geht es fast immer um horizontal erzählte Serien…
Jan Kromschröder: …wobei wir Ihnen da beide zurufen würden: Wir glauben auch an eine Zukunft für Procedurals. „Der letzte Bulle“, was wir ja gemeinsam bei ITV Studios umgesetzt haben, war ein klassisches Procedural. Linear erzählte Serien sind nicht für jeden Sendeplatz und Sender geeignet. Das sind zwei unterschiedliche Arten von Unterhaltung, die mir beide Spaß machen. Und es gibt Mischungen wie unsere „Herzensbrecher“, bei der wir eine durchgängig erzählte Charakterentwicklung und wöchentliche Episodenfälle haben, die um 19.25 Uhr beginnen und um 20.15 Uhr abgeschlossen sind.
Gerda Müller: Beim „Bullen“ ist leider ein bisschen untergegangen, dass wir die letzte Staffel komplett horizontal erzählt haben. Das war ja ein durchgängiger Fall. Das konnten wir machen, weil die Serie eine feste Zuschauerschaft aufgebaut hatte. Es war aber auch ganz interessant zu beobachten, dass die zwar eingeschaltet haben, aber wir sonst keine Zuschauer dazu gewonnen haben.
Ist es denn jetzt final vorbei mit dem „Letzten Bullen“?
Gerda Müller: Ich würde mal sagen: Henning Baum und die Bantry Bay pflegen nach wie vor einen sehr freundschaftlichen Austausch und ich würde es nie für ausgeschlossen halten. Wenn man die zündende Idee hätte, würde ich mich sofort ins Auto setzen und nach Essen fahren.
Jan Kromschröder: Wobei man sagen muss, dass wir hinter den Erzählbogen des „Letzten Bullen“ ja eigentlich einen Schlusspunkt gesetzt haben. Da ist für mich dann die Frage, ob es wirklich einen guten Grund gibt, das nochmal aufzugreifen oder ob man mit Henning Baum nicht eher über andere Projekte nachdenkt. Wenn ein Autor die richtige Idee hat.
Die derzeitige Serienwelle hat in jedem Fall den positiven Effekt, dass die Kreativen und besonders Autoren in Deutschland eine bislang nicht gekannte Öffentlichkeit bekommen.
Jan Kromschröder: Wir glauben daran, dass es klug ist, den Autoren Gehör zu schenken. Die „Herzensbrecher“ sind beispielsweise entstanden, weil Christian Pfannenschmidt nach all den „Girl friends“ und Fernsehfilmen mal die Lust formuliert hatte, zur Abwechslung mal Männerfiguren in den Mittelpunkt einer Serie zu stellen. Wir wollen langfristig mit Autoren wie Arne Nolting, Jan Martin Scharf oder auch Richard Kropf und den beiden „Bullen“-Autoren Stefan Scheich und Robert Dannenberg zusammenarbeiten. Da wollen wir kreative Familien bilden. In dem Zusammenhang freut es mich, dass der aktuelle Serienhype eine erfreuliche Begleiterscheinung hat: Anders als früher stehen die Kreativen stärker im Mittelpunkt und werden für ihre Arbeit sichtbarer gewürdigt. Wir reden endlich darüber, dass gute Serien gute Autoren brauchen.
Kommen wir mal zu „Weinberg“. Wenn immer und immer wieder „Twin Peaks“ erwähnt wird, wenn es um die Serie geht, dann antworten Sie…
Jan Kromschröder: Ich bin in einem Alter, in dem „Twin Peaks“ vor gut zwanzig Jahren eine meiner Lieblingsserien war. Damals war ich stellvertretender Chefredakteur bei „Tempo“ und diese Serie schaffte es damals sogar aufs Cover. Aber wir haben uns bei „Weinberg“ eher für deutsche Sagen und Märchen interessiert und besonders hier in Nordrhein-Westfalen mit regionalen Mythen beschäftigt. Mit welchen Ängsten kann man spielen? Und dazu kommt unser Hauptdrehort mit den umgebenden Weinbergen auf den Vulkankratern. „Weinberg“ ist unverwechselbar deutsch - in einer guten Art und Weise. Wir haben da wenig auf Vorlagen geschielt sondern mehr darüber nachgedacht, was es im deutschen Fernsehen nicht gibt, wo wir uns mal austoben können. Das Thriller/Mystery-Genre gehört definitiv dazu.
Gerda Müller: Wir gestehen in Deutschland offenbar selten jemandem zu, mal etwas Eigenes, Neues erschaffen zu haben. Da müssen immer Vergleiche bemüht werden, damit man weiß, in welche Schublade es gehört. In der Entwicklung von „Weinberg“ haben sich die Autoren von allem losgelöst und diese Freiheit zeichnet die Serie aus. So etwas gab es noch nicht im deutschen Fernsehen.
Jan Kromschröder: Es ist eine sehr deutsche Geschichte. Ich glaube übrigens, dass Fernsehen in Teilen bürgerlich sein muss.
Wie meinen Sie das?
Jan Kromschröder: Wir müssen reale Lebenswelten abbilden, was für mich zum Beispiel immer ein Aspekt des Erfolges vom „Letzten Bullen“ war. Die Serie war nicht schick, der Hauptdarsteller in der Krise und das Ganze spielte in dem nicht gerade glamourösesten Teil Nordrhein-Westfalens namens Essen. Das war echt und das genaue Gegenteil des Berlin-Mitte-Syndrom, wie ich es immer nenne. Diese hippen Lebenswelten, in denen alle in Lofts leben, Lesben und Schwule ohne schiefe Blicke Kinder adoptieren, die natürlich in den mehrsprachigen Kindergarten gehen. Autos hat niemand mehr, man nutzt Carsharing und da natürlich auch nur das Elektroauto. All das gibt es. Aber wenn ich Fernsehen für ein breites Publikum mache, dann muss man ehrlicherweise sagen: Das ist von der Lebenswirklichkeit der Mehrheit der Deutschen weit entfernt. Es gibt manchmal einen zu großen Unterschied zwischen vermeintlicher Lebenswirklichkeit im Fernsehen und der des Publikums. Egal ob beim „Letzten Bullen“, bei den „Herzensbrechern“ oder „Weinberg“: Wir sind in den Regionen Deutschlands unterwegs. Wir leben eben nicht alle in Berlin-Mitte. Wir streben vielleicht manchmal nach dem, was wir nicht haben oder nicht sein wollen. Aber es gibt eine gewisse Bürgerlichkeit, die bedient werden will.