Hallo? Bin ich hier gerade im falschen Film? Hier wurde niemand vor die Kamera gezerrt, es fand keine ungewollte Zurschaustellung statt. Auf dem Sofa saß keine bekennende Alkoholikerin, die schon seit Jahren gegen ihre Dämonen kämpft, sondern eine etwas zu gut gelaunte professionelle Medien-Persönlichkeit in eigener PR-Mission, die ihre persönlichen Produkte vorstellte und vor gerade einer Woche auf bunten Doppelseiten in BamS und anderen Boulevardmagazinen stolz den (nach eigenen Angaben) 500.000 Euro schweren Inhalt ihres Schuhschranks präsentierte.
Zwischendurch übrigens kurz angemerkt, was häufig in der Diskussion zu diesem Thema auch gefragt wird: Darf man so was? Ja, darf man. Man darf besoffen in eine Sendung gehen, es ist nicht illegal. Es ist nicht unbedingt schmeichelhaft für einen selber und nicht respektvoll gegenüber dem Zuschauer, aber man darf das machen - sollte dann aber auch mit dem Spott leben können. Anders wäre es, hätte ein RTL-"Exclusiv"-Team sie angelullt auf einer Party gefilmt und das dann süffisant kommentiert. Oder hätte jemand private Videos von ihr ins Internet gestellt. Nein, die blaue Jenny auf dem roten Sofa erweckte bei mir viele Gefühle – Mitleid gehörte nicht dazu.
Denn fragen wir uns doch einmal folgendes: hätten die B&B-Blätter ähnlich mitfühlend reagiert, wäre wieder einmal ein Helmut Berger zugedübelt in einer Talk-Show aggressiv geworden? Oder hätte früher ein Juhnke oder Paul Kuhn schwankend sein Lied gelallt? Wie viel Mitleid und Anstand zeigte man, als David Hasselhoffs Tochter sein Video veröffentlichte, in dem man ihn erbärmlich besoffen zuhause am Boden liegend Burger fressen sieht? Wie viel Fingerspitzengefühl zeigen die Medien bei den zahllosen armen Schweinen, deren Verhaltensprobleme, Armut, Fettleibigkeit oder sonstigen Schwächen rund um die Uhr in Doku-Fakes der Lächerlichkeit preisgegeben werden?
Und wie viel Mitleid hätten wir mit einem Busfahrer, Lehrer oder auch nur der Frau an der Lidl-Kasse oder der Wursttheke, wenn sie ebenso knülle zur Arbeit erscheinen würde? Sie würden fristlos gefeuert! Und ohne Schuhschrank im Wert eines Einfamilienhauses und PR-Profi als Ehemann hielte sich das kollektive Mitgefühl wahrscheinlich eher in Grenzen.
Deshalb möchte ich abschließend einfach noch einmal die Themen voneinander trennen und zum Einschalten des eigenen Gehirns aufrufen, bevor wir uns alle von manipulativer massenmedialer Scheinheiligkeit überrumpeln lassen:
1. Jenny EE hat nichts Schlimmes getan. Sie war knackedick im NDR. Ich persönlich hatte sogar Spaß, niemand kam zu Schaden, außer sie selbst. Passiert so etwas blöderweise gerade beim Versuch, die eigene Seriosität zu promoten, dann ist das leider lustig und zieht verdienten Spott hinterher. Ich finde es gut, dass sie jetzt professionelle Hilfe sucht, wenn dies kein Einzelfall war, und wünsche alles Gute. Auch die gerade veröffentlichte Entschuldigung ihrerseits ist völlig okay, wäre für mich noch nicht mal nötig gewesen. Respekt und alles Gute an die gesamte Familie. Aber lustig war es trotzdem.
2. Trotz allem bitte ich auch um Verständnis den Menschen gegenüber, die nicht in der Öffentlichkeit stehen, weniger Luxus erleiden müssen und ähnliche Probleme haben, oft sogar schlimmer, aber leider ohne Unterstützung der herzensguten Boulevard-Medien. Jenny hat alles Mögliche verdient: Glück, Freude, Respekt, vielleicht auch einen heilenden Tritt in den Hintern. Aber kein Mitleid. Und sie ist kein armes Opfer. Punkt.
Darauf Prost und bis zum nächsten Skandal!
Schönes Wochenende,
OK
Oliver Kalkofe ist fester Kolumnist der "TV Spielfilm" und mit seiner Kultshow "Kalkofes Mattscheibe Rekalked" bei TELE 5 im TV zu erleben, ab 12.Oktober, immer freitags, 20 Uhr!
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