Es ist ein Jammer. Sehr hatte ich mich darauf gefreut, Thomas Gottschalk nach seinem Abschied bei "Wetten, dass..?" in einer gänzlich neuen Rolle am Vorabend zu sehen. Das Konzept von "Gottschalk Live" klang nämlich in der Tat vielversprechend: Gottschalk kommentiert in einem von ihm eingerichteten Studio aktuelle Themen des Tages und scheut sich nicht, auch mal unbequeme Wahrheiten zu sagen. Das Publikum wird via Twitter und Facebook ebenso in die Show eingebunden wie die Redaktion - und gemeinsam mit spannenden Gästen, die etwas zu sagen haben, hätte all das in der Tat ein tolles Konzept sei können. Wie gesagt: Hätte.
Denn das, was Ende Januar erstmals zu sehen war, ließ fast alles davon vermissen. Gottschalk spulte die Themen herunter, ohne etwas zu sagen, wirkte fahrig und wurde noch dazu ständig von Werbung und Wetter unterbrochen. Verständlich, dass viele Zuschauer schon nach der Premiere keine Lust mehr auf das hatten, was eigentlich den Vorabend im Ersten aufpolieren sollte. Und doch bestand zu diesem Zeitpunkt noch so etwas wie Hoffnung - in erster Linie, weil eine tägliche Live-Sendung die Möglichkeit bietet, Veränderungen herbeizuführen. Das Problem: Auch drei Monate nach dem Start von "Gottschalk Live" sind die Bauarbeiten noch nicht abgeschlossen.
Das ist eindeutig zu lang, zumal mit der WDR Mediagroup und Grundy Light Entertainment zwei Schwergewichte hinter der Sendung stehen, denen man die Umsetzung eines derartigen Projekts eigentlich zugetraut hätte - wohl wissend, dass die Aufgabe keine leichte sein würde. Doch was wurde nicht alles probiert, um die Quote zu retten? Mal wurde eine Filmkolumne mit Oliver Kalkofe ebenso schnell wieder abgeschafft wie sie eingeführt wurde, ein anderes Mal mimte Oliver Pocher den Straßenreporter. Und dann kam Markus Peichl: Der ehemalige Redaktionsleiter von "Beckmann" verbannte mit einem Schlag all das, was "Gottschalk Live" ursprünglich so einzigartig hätte machen können.
Das völlig auf Gottschalk zugeschnittene Studio im Herzen Berlins sah von heute auf morgen aus wie eine Mischung aus den Studios von Lanz, Beckmann und Maischberger - vom Hauptstadt-Flair im edlen Ambiente blieb nichts mehr übrig, weil lieblose Kulissen den Ausblick auf das lebhafte Treiben auf den Straßen Berlin nun völlig unmöglich machten. "Statt in einem sterilen Fernsehstudio agiert der Gastgeber in einem sehr privaten Ambiente", war bis vor wenigen Tagen noch auf der Website zu "Gottschalk Live" über das Konzept zu lesen. Vom Anspruch, tagesaktuell zu sein, entfernte sich die Sendung zunehmend. Auch Twitter und Facebook verschwanden völlig.
Stattdessen gab es zuletzt weitgehend unlustige YouTube-Clips und Gespräche, wie sie vermutlich um diese Uhrzeit nicht sehen möchte. Zu einem reinen Talk gewandelt, war das Format zuletzt das, was die Sendung eigentlich nie sein wollte. Selbst Studio-Publikum, auf das man zunächst absichtlich verzichtete, fand plötzlich Platz. Und live ist die Show inzwischen auch nicht mehr. Insofern hätte sich wohl auch Thomas Gottschalk spätestens in einigen Wochen höchstselbst die Frage stellen müssen, ob diese Sendung überhaupt noch jene ist, wegen der er sich eigentlich überhaupt erst auf das Experiment Vorabend eingelassen hatte.
Dabei war so mancher Fehler vermeidbar: Die schon erwähnte Film-Kolumne etwa. Ein Kino-Magazin hat im Fernsehen noch nie funktioniert - und wer Gottschalk einschaltet, will eben Gottschalk sehen und nicht Kalkofe. Zudem hätte der aufgeflogene Zusammenschnitt zweier Aufzeichnungen vermieden werden können. Das war Unsinn, der der Redaktion noch zusätzliche Angriffsfläche von den zahlreichen Kritikern innerhalb der ARD bot. Hier beginnt schon der nächste Problemfall: Weil so mancher öffentlich-rechtliche Bedenkenträger hinter den Kulissen schaltete und waltete, baute sich ein zusätzlicher Druck auf, der bisweilen auch in der Sendung spürbar war.
Doch so viel man der exorbitant großen Redaktion von "Gottschalk Live" vorwerfen kann: Auch Thomas Gottschalk hat Fehler gemacht. Er war es schließlich, der am ursprünglichen Konzept mitwirkte und sich im Stile eines amerikanischen Moderators auch trauen wollte, Ecken und Kanten zu zeigen. All das ließ er jedoch von Beginn an vermissen. Hinzu kommt: Zwar bekam seine Show zuletzt die anfangs noch völlig fehlende Struktur verpasst - nur: Plötzlich fehlte jener Spielraum, der diese magischen Gottschalk-Momente ermöglicht, wie man sie mehr als 20 Jahre lang bei "Wetten, dass..?" zu sehen bekam.
Aber halt: An "Wetten, dass..?" sollte "Gottschalk Live" bekanntermaßen nie erinnern. Stattdessen glich die Sendung dafür zuletzt einer von vielen Talkshows, sodass das nun beschlossene Aus zum 7. Juni mit Blick auf das aktuelle Konzept eigentlich nicht weiter tragisch ist. Dabei war es die ursprüngliche Idee wert, verbessert zu werden. Dafür hätte man sich allerdings wahrscheinlich schon weitaus früher überlegen müssen, wohin man mit "Gottschalk Live" überhaupt möchte - vom Wunsch nach mehr Sendezeit ganz zu schweigen. Zur von der Redaktion gewünschten Möglichkeit, direkt im Anschluss an "Brisant" die boulevard-interessierten Zuschauer mitnehmen zu können, konnte man sich in der ARD nicht durchringen.
Somit ist nun also schon in wenigen Wochen Schluss. Dabei wäre es gewiss schade, würde man Gottschalk künftig allenfalls noch als Moderator von Bambi-Verleihungen sehen können. Man kann also nur hoffen, dass er jene Gelassenheit, die er bereits vor einem halben Jahr an den Tag legte, nicht verlieren wird. Schon damals sagte Gottschalk über seine Zukunft: "Meinen Tisch beim Italiener in Kalifornien bekomme ich immer. Der denkt, ich war auf Angel-Reise in Alaska. In Wirklichkeit bin ich in Deutschland großartig gescheitert." Dass er so schnell wieder zu seinem Italiener wird gehen können, hätte er sich aber wahrscheinlich nicht mal selbst träumen lassen. Doch bei aller Häme, die sich in diesen Tagen über Gottschalk ergießt, darf man eines nicht vergessen: Es ist keine Schande zu scheitern. Ein Jammer ist es trotzdem.