Wenn das Filmfest München in diesen Tagen zum 41. Mal seine Pforten öffnet, darf man davon ausgehen, dass so mancher Drehbuchautor die Premieren mit gemischten Gefühlen aufsuchen wird. Die schreibende Zunft fühlt sich von Deutschlands zweitgrößtem Filmfestival in ihrer maßgeblichen schöpferischen Funktion für die aufgeführten Filme und Serien missachtet. "Sie haben den Schuss nicht gehört. Oder sie wollen ihn nicht hören", schreibt Volker A. Zahn, Vorstandsmitglied des Deutschen Drehbuchverbands (DDV), unter der Überschrift "Festival der Schnarchsäcke" in einem Newsletter an die Verbandsmitglieder, der DWDL.de vorliegt. "Auch für die neue Leitung des Filmfests München sind Drehbuchautor*innen lediglich 'Mitwirkende', Rädchen im Entstehungsgetriebe eines Films, die man auf der offiziellen Website und im Katalog des Festivals getrost in der zweiten und dritten Reihe verstecken kann."

Die Entrüstung über die Münchner geht auf einen Umgang mit Credits zurück, der in der Tat fragwürdig erscheint. Jeder einzelne Festivalbeitrag wird online mit der Nennung "Regie von..." direkt unter dem Titel angezeigt – gefolgt von kurzen Basisdaten wie Produktionsjahr und Herkunftsland, die erneut die Regie sowie die Namen der Hauptdarsteller enthalten. Darunter schließt sich ein bildschirmfüllendes Szenenfoto an und wiederum darunter ein "Meet the Director" genannter Kasten mit Foto und Kurzbiografie des jeweiligen Regisseurs. Erst ganz unten folgt der Abschnitt "Credits", in dem etwa Drehbuch, Musik, Kamera, Schnitt oder Kostüme auftauchen. Das führt gerade bei den Serien der Wettbewerbsreihe "Neues Deutsches Fernsehen" zu der absurden Situation, dass die Regie dreifach prominent Erwähnung findet, ehe Creator, Headautoren oder Showrunner im Kleingedruckten vorkommen.

Annette Hess, Volker A. Zahn © F. Casanova/C. Meinschäfer "Schlag ins Gesicht": Annette Hess und Volker A. Zahn üben Kritik
"Das Murmeltier der Regiehörigkeit kriecht Jahr um Jahr wieder aus seinem Bau, übrigens nicht nur in München, sondern auch bei anderen Festivals", sagt "Kudamm"-, "Weissensee"- und "Deutsches Haus"-Schöpferin Annette Hess, die ebenfalls im DDV-Vorstand sitzt, auf DWDL.de-Anfrage. "Wir müssen leider feststellen, dass es in weiten Teilen des Festivalbetriebs offenbar keine Identifikation mit der Schöpferfunktion von Autorinnen und Autoren gibt." Dabei ist die Auseinandersetzung zwischen Verband und Münchner Festival keineswegs neu. Laut Zahn, der zusammen mit seiner Frau Eva etliche "Tatorte" oder Serien wie "SOKO Leipzig" und "Zarah – Wilde Jahre" geschrieben hat, gab es bereits 2016 eine "offizielle Protestnote ans Filmfest" vom damaligen Verband Deutscher Drehbuchautoren (VDD). Es sein ein "Schlag ins Gesicht", dass sich "immer noch nichts Wesentliches geändert" habe.

 

Die breite Zustimmung zur Boykott-Idee unterstreicht eindrucksvoll die Entfremdung systemrelevanter Akteurinnen und Akteure von einem mit Staatsknete gefütterten Festival.
Volker A. Zahn, DDV-Vorstandsmitglied

 

Im Mai starteten Hess und Zahn einen weiteren Versuch und schrieben im Namen des Verbands an die neu amtierende Festivalleitung, die seit Oktober aus Direktor Christoph Gröner und der künstlerischen Co-Leiterin Julia Weigl besteht. Darin forderten sie, die "falsche Nennungspraxis in Ihren Publikationen und Darstellungen adäquat und öffentlich sichtbar zu korrigieren". Vom Filmfest jedoch fühlten sie sich allenfalls vertröstet. Mehr noch: "Manche Formulierungen aus der damaligen Antwort von 2016 fanden sich jetzt wortgleich in der aktuellen Replik wieder", so Zahn. Dem DDV geht es nach eigenen Angaben nicht darum, die prominente Nennung der Regie zu verdrängen. "Wir führen hier ausdrücklich keinen Kampf gegen unsere Regie-Kolleginnen und -Kollegen", betont Hess. "Im Gegenteil: Wir stimmen uns eng mit dem BVR [Bundesverband Regie, Anm. d. Red.] ab und wünschen uns, dass Buch und Regie gleichwertig auf einer Ebene behandelt werden."

Aus Verärgerung über die aus seiner Sicht unbefriedigende Reaktion aus München führte der DDV-Vorstand Ende Mai eine spontane Mitgliederbefragung über einen möglichen Boykott des diesjährigen Filmfests durch. Daran beteiligten sich laut Verbandsnewsletter über 300 der knapp 680 Mitglieder – und votierten zu 80 Prozent für einen Boykott.

Julia Weigl, Christoph Gröner © Filmfest München/Bojan Ritan Film-Duo: Julia Weigl und Christoph Gröner leiten das München-Festival
Dass es nun dennoch nicht dazu kommt und der DDV wie geplant zwei Panels im Fachprogramm des Filmfests ausrichtet, liegt daran, dass die Münchner ein Gesprächsangebot unterbreitet haben. "Wir sind im Austausch mit dem DVV und kommunizieren bereits über einen Gesprächstermin im Herbst", bestätigt Filmfest-Sprecherin Evelyn Voigt-Müller auf DWDL.de-Anfrage. Auswirkungen auf das am Freitag beginnende Festival befürchte man daher nicht. Die Forderung des DDV, Drehbuch- und Regie-Credits gleichberechtigt zu platzieren, halte man "nicht nur für nachvollziehbar", sondern setze sie "bereits an (fast) allen Stellen um", so Voigt-Müller unter Verweis auf Programmzeitung, Social-Media-Kanäle und Katalog des Filmfests. "Auch die Website wird bei der nächsten Überarbeitung angepasst."

Klingt also fast nach Happy End. Der DDV lässt freilich keinen Zweifel daran, dass es 2025 nicht nur bei Androhungen bliebe, falls die Änderungen nicht erfolgen. "Wer in den Genuss der Strahlkraft eines Festivals kommt und wer nicht, ist mehr als eine symbolische Frage", so Zahn gegenüber DWDL.de. "Es geht hier auch um einen verantwortungsvollen und kompetenten Umgang mit Steuergeldern. Die breite Zustimmung zur Boykott-Idee unterstreicht eindrucksvoll die Entfremdung systemrelevanter Akteurinnen und Akteure von einem mit Staatsknete gefütterten Festival."