Ihre Filmstudenten seien heutzutage viel mehr an ihren Serien interessiert als an ihren Filmen, erzählte Golden-Globe-Preisträgerin Agnieszka Holland bei den Drama Series Days des European Film Market (EFM). Mit "House of Cards" und "Burning Bush" rufe sie inzwischen mehr Begeisterung hervor als mit "Hitlerjunge Salomon" oder "Der geheime Garten". "Es ist kein Zufall, dass sogar die großen US-Networks heute anspruchsvolle Serien zeigen, wie sie noch vor wenigen Jahren nur im Pay-TV denkbar gewesen wären", so die polnische Starregisseurin. "Unser altes Kino der Mitte ist weitgehend weggefallen und wird dadurch ersetzt."
Besser hätte man den wachsenden Stellenwert der Serie – auch im Rahmen eines Filmfestivals – kaum auf den Punkt bringen können. Im dritten Jahr ihres Bestehens haben die Drama Series Days als Teil des Markts der Berlinale eine gehörige Aufwertung erfahren – mit der Verlängerung von zwei auf drei Tagen und dem Umzug in den Berliner Zoo-Palast. Stargast Agnieszka Holland setzte den Ton, als sie beklagte, die europäischen TV-Sender hätten beim Thema innovative Serien zu lange geschlafen, aber dann vorsichtigen Optimismus äußerte, dass sich das nun zu ändern scheine.
Geht es nach den 19 neuen Serien, die internationale Vertriebe dieses Jahr zum EFM gebracht haben, dann wird die nähere TV-Zukunft noch ein Stück rosiger. Da ist die französisch-belgische Koproduktion "Black Spot", die gekonnt Krimi mit Mystery mixt und eine Art "Monk" meets "Jordskott" bietet. Oder das isländische "Prisoners" mit einer so noch nicht gesehenen Verbindung von Familien-, Polit- und Gefängnisdrama. Sony Pictures Television hatte mit der von Andy Harries ("The Crown") produzierten ITV-Serie "The Halcyon" den legitimen "Downton Abbey"-Nachfolger im Gepäck: ein Grand Hotel im London der frühen 1940er Jahre als Schmelztiegel von Krieg, Politik und Familienschicksalen. Der kanadische Vertrieb eOne konnte mit "Mary Kills People", der neuen Miniserie von "Rookie Blue"-Showrunnerin Tassie Cameron, einen spannungsgeladenen Beitrag zum Thema Sterbehilfe liefern.
Auch die beiden deutschen Beiträge der Drama Series Days brauchten sich vor der internationalen Konkurrenz nicht zu verstecken. Positiv überraschte vor allem der von Neuesuper für den Bayerischen Rundfunk produzierte Sechsteiler "Willkommen in Hindafing" – von seinen Machern nicht ganz zu Unrecht als bayerische Antwort auf "Fargo" bezeichnet. Ex-"Tatort"-Kommissar Maximilian Brückner glänzt als korrupter, koksender, inkompetenter Provinzbürgermeister, der seine große Stunde gekommen glaubt, als er in seinem Ort ein Flüchtlingsheim unterbringen soll. Das Autorentrio Niklas Hoffmann, Boris Kunz und Rafael Parente hat herrlich skurrile Figuren geschaffen, deren Beziehungsgeflecht gerade so weit ins Absurde getrieben wird, dass Denkanstöße zur gesellschaftlichen Gegenwart noch erkennbar sind.
"Think global, write local", sei das Motto im Writers' Room gewesen, so Produzent und Autor Parente in Berlin. "Als wir vor zwei Jahren damit anfingen, war noch nicht absehbar, dass uns die Realität jetzt genügend Stoff für drei bis vier weitere Jahre liefern würde." Im Laufe des Frühjahrs soll "Willkommen in Hindafing" im BR Fernsehen laufen. Der noch größere Fokus lag freilich auf "4 Blocks", der neuen deutschen Eigenproduktion von TNT Serie, die neben der EFM-Präsenz auch fürs Festivalprogramm der Berlinale ausgewählt worden war und dort ihre offizielle Weltpremiere feierte. "Dass wir erstmals konsequent aus der Perspektive eines arabischen Familienclans in Berlin-Neukölln erzählen und nicht aus der Perspektive von deutschen Ermittlern, erlaubt es uns, viel tiefer in die Gefühle und Motivationen der Figuren einzudringen", so Turner-Deutschlandchef Hannes Heyelmann.
In der Tat erweist sich das Authentizitätsgefühl als das große Plus der Serie, für die Regisseur und Co-Autor Marvin Kren die "Sopranos" als Vorbild nannte. Allerdings bleiben vor lauter Bemühen darum, gepaart mit einer hohen Dosis aufgesetzter Brutalität, ein paar andere Faktoren für eine mitreißende Serie auf der Strecke. Dass "4 Blocks" dem Zuschauer kaum die Chance gibt, bei einer Figur oder einer Situation emotional anzudocken, dürfte das Potenzial über die Nische hinaus einschränken. Seine TV-Premiere feiert der von Wiedemann & Berg Television produzierte Sechsteiler am 8. Mai bei TNT Serie.
Neben den bereits fertigen Serien standen bei den Drama Series Days einmal mehr Projekte in früheren Entwicklungsstadien im Rampenlicht. Bavaria Fernsehproduktion und Satel Film nutzten den "CoPro Series"-Pitch in Kooperation mit dem Berlinale Co-Production Market, um ihre deutsch-österreichische Koproduktion "Freud" vorzustellen. Die achtteilige Miniserie, angesiedelt in Wien 1886, soll den jungen Sigmund Freud vor seinem Aufstieg zum Vater der Psychoanalyse als Partner eines ungarischen Kommissars bei der Jagd nach einem Serienmörder zeigen. Bislang sind der ORF als Sender und Global Screen als Vertrieb an Bord. Zu den geplanten 1,8 Millionen Euro Budget pro Episode fehlen freilich noch vier Fünftel.
An eine Horror-Mystery-Serie aus dem "Haunted House"-Genre will sich der Berliner Regisseur und Autor Till Kleinert ("Der Samurai") wagen. Gemeinsam mit der bulgarischen Produktionsfirma Tanuki Films pitchte er "Hausen", das bislang noch keinen Financier hat. Die Story würde für Abwechslung im Serienmarkt sorgen: Ein unsichtbares bösartiges Wesen hat einen großen grauen Wohnblock besetzt und verwandelt ihn in eine Art Organismus, der sich in die Psychen der Bewohner frisst. Höchste Zeit für die Nachbarschaft, in den Kampf gegen ihr eigenes Haus zu ziehen.