Willkommen in Albanien. Nein, nein - sie sind hier nicht falsch. Im Folgenden geht es um Österreich, das unter Journalisten in den 90er Jahren lange als "Medien-Albanien" bezeichnet wurde. Das hatte damals gute Gründe: Österreich gilt als eines der letzten Länder der westlichen Welt, das privaten Rundfunk zugelassen hat. Erst 2001 trat ein Privatfernsehgesetz in Kraft, das nationales Privat-TV ermöglichte. Bis heute hat die rückständige Medienpolitik von einst Einfluss auf den Medienmarkt. Zu sehen ist das allen voran am Beispiel des ORF.
Der ORF ist das mit Abstand größte Medienhaus im Land und kommt dank Gebühren und Werbeeinnahmen auf etwa eine Milliarde Euro Umsatz. Noch immer dominiert der ORF die TV- und Radio-Branche. Im Fernsehen gehen die Marktanteile seit Jahren langsam aber stetig zurück, liegen aber noch immer bei mehr als 30 Prozent des Gesamtmarktes. Auch in der für Österreich relevanten Zielgruppe der 12- bis 49-Jährigen liegt der ORF als Gruppe mit seinen Haupt-Sendern ORF eins und ORF 2 vor der Konkurrenz. Noch deutlicher ist die Situation im Radio: Im ersten Halbjahr 2016 kamen die ORF-Radios auf 70 Prozent Marktanteil. Bei den jungen Hörern waren es 61 Prozent.
Auf Rang zwei der größten Medienunternehmen des Landes nach Umsatz rangiert die Mediaprint mit 430 Millionen Euro. Der gemeinsame Verlag von "Kronen Zeitung" und "Kurier" erreicht also nicht einmal die Hälfte des ORF-Umsatzes. Das spiegelt ziemlich genau wieder, worum es in der österreichischen Medienbranche immer wieder geht: den ORF. Auf der einen Seite fordern die privaten Verbände für Rundfunk (VÖP) und Zeitungen (VÖZ) immer wieder Beschneidungen des ORF-Programms und klarer definierte Regeln für den Marktführer. Auf der anderen Seite steht die Politik, die den Sender kontrolliert, wie es in Deutschland kaum denkbar wäre.
Während deutsche Gerichte bereits vor einiger Zeit entschieden haben, dass in den Aufsichtsgremien von ARD und ZDF maximal ein Drittel politische Kräfte sitzen dürfen, sieht das beim ORF ganz anders aus. Hier entscheidet der 35-köpfige Stiftungsrat über die Zukunft des Unternehmens - und fast jeder einzelne Stiftungsrat ist einer Partei zuzuordnen, auch wenn Politiker direkt nicht im Stiftungsrat sitzen dürfen. Dominiert wird er derzeit noch von ÖVP und SPÖ, sie bilden sogenannte Freundeskreise, die meist en bloc abstimmen. Und so wird dann auch in schöner Regelmäßigkeit so ziemlich jede Entscheidung im ORF zum Politikum. Vor allem natürlich dann, wenn der Stiftungsrat einen neuen ORF-Chef wählen muss.
Auf dem österreichischen TV-Markt sind die relevanten Player - neben dem ORF und den deutschen Sendern - Puls 4, das zur ProSiebenSat.1-Gruppe gehört, ATV von Herbert Kloiber und Servus TV. Sie alle bemühen sich um eine klare Positionierung am kleinen Markt und versuchen immer wieder, mit bestimmten Leuchtturm-Projekten Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Klar ist aber auch: Sie alle sind nur sehr schwer oder auch gar nicht zu refinanzieren.
Neben dem starken ORF gilt Österreich als Print-Land. Nach wie vor lesen fast 70 Prozent der Österreicher regelmäßig mindestens ein Print-Produkt. Am stärksten ist die tägliche "Kronen Zeitung" mit einer Reichweite von 32 Prozent an der Gesamtbevölkerung. Österreich ist aber nicht nur ein Print-Land, sondern auch ein Gratis-Land. Mit "Heute" und "Österreich" gibt es gleich zwei Boulevard-Titel, die kostenlos verteilt werden, vor allen in und um Wien.
Doch auch die allgegenwärtige Print-Krise geht nicht spurlos an Österreich vorbei, zuletzt gerieten immer mehr Titel und ganze Verlage ins Trudeln. Deshalb wird in Österreich stark über eine Reform der Presseförderung diskutiert. Derzeit liegt diese bei 8,8 Millionen Euro. Der Vorsitzende des VÖZ fordert eine saftige Erhöhung auf 35 Millionen Euro. Das wird es wohl nicht geben, aber Medienminister Thomas Drozda hat bereits einen deutlichen Aufschlag in Aussicht gestellt.
Diskussionen gibt es zudem immer wieder um Inserate von öffentlichen Stellen, die vor allem in reichweitenstarke Boulevardmedien fließen. Ganz vorne spielt hier die Stadt Wien mit: Zwischen Mitte 2012 und Ende 2014, also innerhalb von zweieinhalb Jahren, gab die Stadt 495 Millionen Euro für Anzeigen aus. Zuletzt wurden die Ausgaben um ein Drittel gekürzt, dennoch sind Inserate von öffentlichen Stellen auch weiterhin ein lukratives Geschäft für Medienunternehmen.
Und dann ist da noch diese ganze charmante Besonderheit der österreichischen Medienlandschaft: die Kleinheit des Marktes. Österreich ist mit 8,7 Millionen Einwohnern relativ klein, alleine in Wien leben davon 1,8 Millionen Menschen - im gesamten Ballungsraum 2,7 Millionen. Anders als im föderaleren Deutschland konzentriert sich in Österreich alles auf Wien. Das hat Vor- und Nachteile: Alles ist kleiner, familiärer - man kennt sich eben. Fluch und Segen.
Aber probieren Sie es doch einmal selbst aus: Setzen Sie sich in das Café Landtmann in der Wiener Innenstadt und sprechen die Menschen dort an. Die Chance, dass die Personen etwas mit Medien machen, ist hoch. Nur von Albanien wird ihnen da vielleicht niemand etwas erzählen.
Mehr Hintergrund für eine Unterhaltung im Café - oder anderswo - liefert DWDL.de in den kommenden Tagen mit einer detaillierteren Betrachtung der österreichischen Medienlandschaft.