"Ach, Don". Wie oft habe ich diese Worte gedacht oder mit einem halblauten Seufzer ausgestoßen, wenn er mal wieder privat oder beruflich Richtung Abgrund blickte und sich die Unzufriedenheit mit dem eigenen Schicksal im unperfekt sitzenden Haar manifestierte. Auch nach sechseinhalb Staffeln haben wir es noch mit einem ambivalenten Protagonisten zu tun, der immer zu fallen droht, stets mehr sucht als findet und einfach nicht zur Ruhe kommt. Diese Rastlosigkeit und Aura des Geheimnisvollen teilt der Werbefachmann mit anderen mich faszinierenden Anti-Helden meiner Zeit, Mafia-Boss Tony Soprano, oder Crystal-Meth-Spezialist Walter White. Und doch hatte es der gerne vor Problemen flüchtende Don Draper in letzter Zeit etwas schwerer bei mir. Eine Antwort darauf zu finden, fällt mir nicht leicht. Auch weil alles so gut begann mit "Mad Men".
Meine Freude über die Beschwörung einer Ära - Allgegenwart von Zigaretten und Alkohol inklusive - fing bei mir lange vor der Verfügbarkeit von Serien per Klick an. Damals praktizierte man noch Binge-Watching via DVD, mit Aufstehen und Disc wechseln nach einer gewissen Anzahl an Folgen. Das ging so weit, dass Don Draper einen Platz über meinem Bett bekam und ihn bis heute nicht verloren hat. Mit ausgestrecktem Arm hängt er da und wacht in gewisser Weise über mich. Wenn ich zurückdenke, sehe ich mich vor Jahren an einem Silvesterabend eine Eintrittskarte verfallen lassend, weil zwei bis fünf weitere Folgen "Mad Men" dann doch verlockender erschienen als großes Brimborium zum Jahreswechsel mit ermüdendem Feuerwerk. Ich sehnte mir die "Ach, Don"-Momente in gewisser Weise herbei, gleichzeitig bestand die Hoffnung, dass sein eigenes Bett vielleicht irgendwann einmal den Vorzug vor den Schlafgemächern der zahlreichen Affären bekommen könnte. Die Tragik dabei zuzuschauen, wie der berufliche Erfolg (mit sicherlich angemessenem Kontostand) und das familiäre Umfeld nicht ausreichend für Ausgeglichenheit und die vermutete Lebensqualität sein können, faszinierte mich.
Auch der gerne mal geäußerte Vorwurf an die Historien-Serie, lediglich von der Atmosphäre zu leben, ließ mich recht kalt: opulente Inszenierungen, pompöse Ausstattung, mehr Schein als Sein, Dominanz reiner Ästhetik, die dazu dient, den langsam erzählten Plot zu kaschieren. So die Gegenseite. Langsam erzählter Plot? Her damit! So meine Sichtweise. Ich sah vielmehr eine detaillierte Geschichte erzählt anhand von sogar überwiegend unsympathischen Charakteren, die in eine ereignisreiche Zeit gebettet sind. Das Spiel mit verschiedenen Lebensstilen, die Problematiken in Form von Rollen- und vor allem Geschlechterverteilungen, soziale Hierarchien, die mittels Bühnenbild und Kostümierung wiedergegeben werden. Und auch ein längerer Einstieg sprach aus meiner Sicht damals nicht gegen die Serie. Vermutlich hatte ich aber auch einfach nur Glück, weil mir das als "aggressiv antikommerziell" positionierte Kostümdrama zu einer Zeit empfohlen wurde, in der die Serien-Konkurrenz weniger stark war und ich mir in der Prä-Netflix-Ära noch Zeit nahm, einer Serie Raum zum Wachsen zu geben.
Passenderweise war diese Zeit zum Wachsen sogar bereits in der Geschichte über die Realisierung der in der Madison Avenue New Yorks spielenden Serie selbst angelegt. Drehbuchschreiber und Kreativkopf Matthew Weiner kassierte bei HBO zu Beginn der Nuller-Jahre eine Absage für das Projekt, wanderte weiter zu AMC, wo das Vorhaben ab Sommer 2007 mit der Premierenstaffel realisiert wurde. AMC war zu jener Zeit ein Sender für manch zweitklassigen Schwarz-Weiß-Film und alles andere als ein Aushängeschild für Serien und Eigenproduktionen der Marke "Sopranos". Aber genau daran orientierte man sich und so wurde "Mad Men" die erste richtig fiktionale Eigenproduktion des bis dato auf Filme spezialisierten Senders. In Deutschland startete der FOX Channel 2009 mit der Ausstrahlung und ZDFneo nahm sich im Free-TV der Thematik mit der Werbebotschaft "Hinter jeder erfolgreichen Frau steht ein Mann, der ihr auf den Arsch glotzt" vor sechs Jahren an. Und nun steht er also bevor, der Abschied im deutschen Free-TV, nachdem Don Draper seinen Hut bei AMC bereits im letzten Jahr genommen hat.
Ist zu viel passiert?
Das anstehende Ende einer von mir geschätzten Serie bringt mich zurück zur Frage, warum es sich ein wenig gleichgültig anfühlt. Mit diesem Gedanken scheine ich nicht ganz alleine zu sein: die Faszination hat mit zunehmender Laufzeit etwas abgenommen. Vielleicht ist zu viel passiert. Zu viele neue, zu viele unbedeutende und zu viele weitere unsympathische Charaktere, durch die das Rad womöglich etwas überdreht wurde. Die Schwierigkeit, sich an Namen und Aussehen von Dons zahlreichen Frauen zu erinnern, entspricht in etwa der Dimension, ein Quiz über alle gedateten Damen von Jerry Seinfeld der einstigen NBC-Sitcom erfolgreich zu bestehen. Auch der Überblick bei den Zu- und Abgängen in der Werbeagentur ist eine Herausforderung für sich. Vermutlich ist es genau die Abkehr von der langsamen Erzählung hin zu mehr Zeitsprüngen und einer zu großen Fluktuation im Ensemble, die bitter aufstößt. Gestartet als leicht zu merkendes "Sterling Cooper" ergaben sich mehrere Namensänderungen und eine unübersichtlich werdende Anzahl an Partnern. Zum Ende der ersten Hälfte der siebten Staffel hat man gar den Eindruck, ein jeder in der Firma besäße ein Abstimmungsrecht, wenn es um die weitere Zukunft der Firma geht.
Da wäre zum Beispiel Jim Cutler, den Peggy Olson einst als Roger Sterling mit Mundgeruch beschrieb. Dieser forciert die Kündigung Dons und gibt diesem noch folgende Worte mit auf den Weg: "Jetzt wo ich hinter die Kulissen blicke, da bin ich überhaupt nicht mehr beeindruckt, Don. Sie sind ein Rüpel und ein Trinker. Ein Football-Spieler im Anzug". Ob er Recht hat? Partiell sicherlich. Aber die Grenzüberschreitung gehört nun mal dazu und die Kanten faszinieren. Und abgesehen davon bleibt er der gute Geschichtenerzähler, den es für die Werbung braucht. Am Ende behauptet er sich - befördert durch Roger Sterling - und kann bleiben. Alles könnte sich endlich zum Positiven wenden. Was jedoch folgt, ist ein erneuter Bruch mit dem vorläufigen Ende der ersten Hälfte der siebten Staffel. Der dienstälteste "Anführer" und Namensgeber Bert Cooper war zuvor verstorben. Und Don? Der beobachtet in der letzten Szene den gewohnt schuhlosen, aber bereits toten Partner bei einer kleinen Musicalperformance. Leichtfüßig tänzelnd und von fünf Sekretärinnen umringt singt dieser "The best things in life are free". Da ist er wieder, der Moment: "Ach, Don". Was vermutlich bleibt, ist die Flucht. Ein probates Mittel des Protagonisten im Anzug. Vermutlich auch wieder in der Abschlusshälfte. "Mad Men" wird trotz allem eine Drama-Serie bleiben, die für mich in der ersten Liga spielt. Ob Don Draper jedoch am Ende bei mir über dem Bett hängen bleibt, muss ich mir aber trotzdem nochmals überlegen...
Die letzten Folgen von "Mad Men" laufen ab heute Abend jeweils in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch um 0:15 Uhr bei ZDFneo.