Eine Talk-Show zu übersetzen ist schwieriger, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Denn trotz all der technischen Innovationen, die auf uns zukommen, bleibt die Sprache eine enorme Hürde, die es auf dem Weg zum kulturellen Verständnis immer wieder neu zu nehmen gilt. Sorgfalt muss also in kompakte Arbeitsabläufe gepackt werden, um eine zeitnahe Ausstrahlung außerhalb des Heimatmarktes zu ermöglichen. So auch bei Einsfestival, wo seit einigen Monaten die US-Late-Night "The Tonight Show" gesendet wird und Netflix, wo man erst kürzlich die Premiere der eigenen Talk-Show "Chelsea" feierte. Beide Parteien haben ein strenges Pensum zu erfüllen.
Im Mai veröffentlichte Netflix in seinem Blog einen interessanten Artikel, der die Mechanismen einer so rasanten Untertitelung, wie sie bei „Chelsea“ nötig ist, erklärt. Über 5000 Linguisten wurden demnach für die erste Talk-Show des VoD-Anbieters getestet – knapp 200 Menschen aus der ganzen Welt haben es ins Übersetzungsteam geschafft, welches die Show in 20 Sprachen untertitelt. Zum Vergleich: Im Einsfestival-Team, das allabendlich Jimmy Fallons US-Late-Night in die deutschen Wohnzimmer schickt, arbeiten zwei freie Übersetzer.
Interessant ist, dass dem kleinen ARD-Beiboot zusätzlich weniger Zeit für die Bearbeitung zur Verfügung steht. An einem gängigen Übersetzungstag wird die Sendung vom Abend zuvor um 9 Uhr morgens deutscher Zeit heruntergeladen. Bis zum frühen Nachmittag ist nun Zeit, um eine erste Fassung der Übersetzung anzufertigen. Da es bei Redewendungen und Wortwitz immer mal wieder zu Entscheidungen mit gewissem Ermessensspielraum kommt, wird mit den zuständigen Redakteuren gearbeitet, bis die finale Fassung im Laufe des Nachmittags steht. Bei „Chelsea“ hat man nach eigenen Angaben 12 Stunden Zeit für den Job.
Beim Vorgehen hat Netflix den deutlich interessanteren Ansatz. Wo bei Einsfestival lediglich die Datei der Sendung heruntergeladen und angeschaut wird, streamt Netflix die Aufzeichnung von „Chelsea“ vom Set zusätzlich live an ausgesuchte Mitarbeiter, die besonders schwierige Übersetzungen direkt herausfiltern um sie schnellstmöglich intern besprechen zu können. Sollte es richtig kompliziert werden, schneidet man explizite Dialog- oder Monologstellen heraus und verschickt sie an Experten, die sie am besten bearbeiten können. Ist das nicht alles etwas viel Dramatik für eine Talkshow?
Netflix nimmt das Problem der sprachlichen Differenzen sehr ernst. Vor allem bei Talk-Shows muss man vorsichtig sein, um einen Witz oder eine politische Aussage nicht zu verfälschen; sie zuzuspitzen oder in ihrer Intention zu verändern. Potenzielle Übersetzer wurden deswegen von Netflix an „Orange is the New Black“, „House of Cards“ und Chelsea Handlers Special „Uganda Be Kidding Me“ gesetzt, um zu zeigen, dass sie vulgäre Sprache, Slangs und US-Sprichwörter respektiv in ihre eigene Sprache umsetzen können. Auch bei Einsfestival gibt man zu verstehen, dass man den Wortwitz bei der deutschen Untertitelung nicht gefährden möchte.
So versucht man in gewissen Fällen gar nicht erst einzudeutschen, sondern den Begriff so stehen zu lassen, wie er ist. „Wir gehen davon aus, dass viele Fans der Show eine Passage auch dann besser verstehen, wenn sie einen englischen Ausdruck nicht nur hören, sondern auch lesen,“ so WDR-Redakteurin Karin Egle. Dass es zu Fehlern kommen kann, ist normal und absolut menschlich. Aber auch witzig. Wie Egle verrät, hat man bei Einsfestival vor allem das „Meth-Gate“ nicht vergessen: Als Bob Odenkirk („Better Call Saul“, „Breaking Bad“) über ‚something with meth‘ sprach, wurde der Satz versehentlich mit ‚was mit Mathe‘ übersetzt.
Netflix ist trotz des großen Aufwands jedoch auch noch nicht an der Unfehlbarkeit angekommen. In der ersten Folge von „Chelsea“ wurde z.B. Chris Martins Wortspiel „When I heard your Netflix show was ending, I finally understood the „good“ in goodbye“ mit „…sah ich plötzlich das Gute im Abschied“ übersetzt. Der Gag kommt so einfach nicht ganz durch. Netflix übersetzt im Allgemeinen gerne im kompletten Wortlaut, was nicht immer die Ideallösung darstellt. Gegen eine Synchronisation haben sich übrigens beide Parteien gewehrt. „Netflix war der Meinung, dass Synchronisierung bei solch einer Show nicht passen würde und wollte es möglichst nah an Chelsea Handlers Stimme halten“, erklärt MSL Germany Consultant André Fertich.
In Karin Egles Augen liegt gerade in der unverfälschten Version ein großer Reiz für die Fans: „Die großen Sender können seit Jahren kaum noch Originalfassungen senden, weil das vom größten Teil des Publikums in Deutschland aus Gewohnheitsgründen nicht angenommen wird. Aber bei den jüngeren und popkulturaffinen Zuschauern treffen wir hier als kleiner Sender ins Schwarze.“ Auf beiden Seiten muss man also vor allem zwei Eigenschaften besitzen: Über den kulturellen Tellerrand blicken können und ein Verständnis für die Eigenartigkeiten der jeweiligen Talk-Show-Hosts besitzen. Denn sinnvolle Untertitel schreiben sich nicht von allein.