Anlässlich des International Journalism Festival riefen Amazon, "La Stampa", "El Pais", "The Times" und DWDL.de Nachwuchsjournalisten auf, ein Essay über die Zukunft des Journalismus zu schreiben. In dieser Woche veröffentlichen wir die Gewinner-Beiträge. Der prämierte Text aus Italien stammt von Salvatore Tancovi, der Politik, Soziologie und Medienkommunikation sowie Journalismus an der Università La Sapienza studiert

Der Wecker klingelt um 6.30 Uhr in der Früh und das Radio geht an, der Sender bereits für die Morgennachrichten eingestellt. Ich greife über den Nachttisch und nehme mein aufgeladenes Smartphone. Ich beantworte 5 WhatsApp-Nachrichten, 7 E-Mails von Absendern in verschiedenen Zeitzonen; ich checke die letzten 20 Updates auf Facebook und scrolle auf der Twitter-Homepage nach unten. Der Kaffee kocht, und ich steuere Feedly an: Ich lese 27 Schlagzeilen, 10 Schlagzeilen mit Untertiteln und gut drei komplette Artikel.

Ich nehme eine Dusche und föne meine Haare, während im Hintergrund das zweite, stündliche Nachrichten-Update tönt; ich schalte den Fernseher ein und zappe durch die 24-Stunden-Nachrichtensender. Während ich mein Frühstück vorbereite, schaue ich die Titelseiten der Zeitungen auf einem News-Aggregator durch, downloade die Top 3 Schlagzeilen einer illegalen Webseite, verschicke zwei E-Mails, schreibe ein Facebook-Update und plane ein weiteres für später. Ich scanne durch die Pressedienste - Ansa, Adnkronos, Reuters - in dieser Reihenfolge. Ich tätige einen Anruf, beantworte eine E-Mail von meinem Nachrichtenredakteur, schreibe 300 Wörter über die Unruhen in Griechenland und 500 Wörter mit Fotos und einem HD-Video über die neueste Episode von Masterchef Italien, alles in dieser Reihenfolge. Ich bemerke eine Einladung auf Facebook zu einer Konferenz über die Pressefreiheit in den Mittelmeerländern, aber ich kann nicht teilnehmen, weil ich bis zum Mittag den Entwurf eines Interviews einem YouTuber hochladen, mich ein wenig selbst auf Twitter vermarkten und ein Foto von meiner Katze auf Instagram verbreiten muss.

Kurz nach 11.00 Uhr erhalte ich einen Leitartikel von etwa 2000 Zeichen Länge von meinem Chef, den ich auf Tippfehler überprüfen, kondensieren und umschreiben muss - eine Aufgabe, die unbezahlt ist und ohne Erwähnung meines Namens bleibt. Ich hänge das fertige Werk an eine E-Mail an und versende es, rufe die aktuelle Verkehrslage ab, schreibe einen 200 Wort-Blitzbericht über Verzögerungen auf der Autobahn A3 und eine Kollision auf der Salerno-Reggio Calabria Autobahn. Ich überprüfe meine Artikelstatistiken auf einer der fünf Bewertungsseiten, für die ich arbeite. Ich überprüfe, ob mir die 20 Euro überwiesen wurden, die mir noch für zehn Artikel geschuldet werden, die ich im Dezember geschrieben hatte. Ich bestätige den Zahlungseingang und sende einen Beitrag über einen Film ab, der an diesem Abend seine TV-Premiere hat. Ich surfe zu Google Trends und blättere durch diese Einträge:

• "Angriff auf nigerianisches Studentenwohnheim" (ich denke: zu weit vom Leser entfernt);

• "Schüler aus Colorado verletzt nach Streit Mitschüler mit Gewehr” (ich denke: ein wenig eintönig für Leser);

• "Mailänder Studenten gehen oben ohne um ihre Uni zu unterstützen” (Ich denke: perfekt für Leser).

Ich esse etwas, sehe die Nachrichten im Fernsehen an, stelle ein Foto von einem leckeren Obstsalat auf Instagram ein, obwohl ich in der Tat gerade nur Dosenfleisch mit Salat aus der Packung gegessen habe. Ich verfasse ein paar Tweets, schreibe den sechsten Artikel des Tages für eine Website, die über Innovationen und Start-ups berichtet; der 400-Wort-Artikel dreht sich um eine App, die die Suche nach Parkplätzen in der Nähe von Bars und Restaurants erleichtert. Ich stelle eine Foto-Galerie der neuesten Freundin eines Fußballers der zweiten Liga zusammen, lese einen Untersuchungsbericht über die interne Organisation des ISIS und schreibe einen Artikel über die Massentheorie. Ich bin dabei, ein Buch über die verschiedenen Verwendungen von Kaffee in aller Welt zu schreiben, aber ich werde abgelenkt von zahlreichen Seiten aus dem Zusammenhang gerissener Zitate. Ich stimme McLuhan zu und suche nach der tatsächlichen Herkunft einer Reihe von Klischees, Parolen und Populär-Aphorismen - der einzige Teil meines Tages, bei dem ich Quellen überprüfen muss.

Auf meiner TV-Programm-App erhasche ich einen Blick auf das Abendprogramm, während ich von Radio I über die wirtschaftlichen Updates von "Il Sole 24 Ore" informiert werde. Ich schreibe einen Langformatartikel über die Auswirkungen von Mikrofinanz am Horn von Afrika: Ich halte Kontakt zu einem Team von Reportern und Autoren aus drei verschiedenen europäischen Ländern. Im Juni nehmen wir an einer Ausschreibung der EU für ein Nachrichten-Feature im sozialen Kontext teil. Leider kann ich nur einen kleinen Teil meines Tages dem Projekt widmen. Mit einem Auge mache ich Pläne für die Strukturierung und Erzählung der Story, während ich mit dem anderen Auge die Live Tweets über die letzte Episode von The X-Factor verfolge. Vor dem Abendessen prüfe ich noch einmal die tägliche Statistik: 47 Retweets, 78 Likes, 32 Likes auf Instagram (ich brauche eine neue Strategie, denn das ist nicht genug); meine Artikel wurden 4231-mal gelesen, und ich antworte auf sieben der 234 Kommentare. Ich plane zwei weitere Updates für den Abend, werfe einen letzten Blick auf die Presseagenturen und suche einen Diskussionspunkt in Seconda Serata zum Tweeten. Ich kaufe ein paar E-Bücher für spätere Kritiken, schaue mir die besten Foto-Galerien des Tages an, stelle auf der Suche nach nicht gemeldeten Nachrichten meine Google-Alerts auf prominente Namen ein. Es gibt keine Sondermeldungen, also kann ich meine E-Mails zusammen mit den 67 anstehenden WhatsApp-Nachrichten auf meinem Smartphone überprüfen, so dass ich mein Netbook ausschalten kann.

Ich nehme mir die noch in der Plastikverpackung steckende und auf dem Küchentisch liegende Ausgabe einer wöchentlich erscheinenden Publikation - ich abonniere dieses Magazin schon seit zwei Jahren. Ich öffne die Verpackung ganz ohne Eile, entnehme den Mittelteil des Magazins atme den Duft des Papiers. Ich zähle nicht, wie viele Untersuchungsberichte ich gelesen habe, ich studiere Berichte, nicht Galerien, ich klicken nicht “Like” bei Editorials, ich schreibe keine oberflächlichen Kommentare, ich durchblättere Seiten und lese Detailstudien von Experten, die von einer gut bezahlten Redaktion veröffentlicht werden. Ich schalte die Nachttischlampe aus, stelle den Radiowecker auf 6.30 Uhr, und wünsche allen meinen Lesern auf Twitter mit einem Tweet eine gute Nacht.