Über viele Jahre hinweg verübten Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe Morde, Überfälle und Anschläge. Dass sie nicht gestoppt werden konnten, wirft kein gutes Licht auf die Ermittler, die lange im Umfeld der Opfer nach den Mördern suchten – und einen rechtsextremen Hintergrund ausschlossen. Fälschlicherweise, wie man heute weiß. Wer sich mit dem Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) beschäftigt, stößt in der Rückschau auf Ermittlungspannen, Nachlässigkeiten und organisatorische Defizite. Und auch wenn Böhnhardt und Mundlos längst tot sind und Zschäpe seit nunmehr drei Jahren der Prozess gemacht wird: Vom Tisch ist dieses dunkle Kapitel längst noch nicht.
Um ein Vergessen zu verhindern, strahlt die ARD von diesem Mittwoch an einen dreiteiligen Fernsehfilm aus, der von vielen Kritikern im Vorfeld in den höchsten Tönen gelobt wird. "Mitten in Deutschland: NSU", so der Titel des Projekts, ist aus gleich mehreren Gründen ein bemerkenswertes Stück Fernsehen. Einer davon ist der Mut, den Film bereits gedreht zu haben, obwohl der NSU-Prozess noch gar nicht abgeschlossen ist. Groß war die Sorge des Senders, dass Zschäpes Anwälte die Ausstrahlung durch eine einstweilige Verfügung verhindern könnten, weshalb die Vorab-Aufführungen bloß im kleinen Rahmen stattfanden. Es sollte bloß nicht zu viel nach außen dringen, vor allem nicht mit Blick auf den ersten Teil, der die Perspektive der Täter einnimmt.
In den Perspektiven liegt dann auch gleich die zweite Besonderheit dieses Films, der zwar eine Geschichte erzählt, aber mit jedem Teil aufs Neue den Blickwinkel verändert. Geht es zunächst um das NSU-Trio um Beate Zschäpe, in deren Rolle die Schauspielerin Anna Maria Mühe schlüpft, so stehen in den beiden weiteren Teilen erst die Opfer und schließlich die Ermittler im Zentrum des Geschehens. Schon alleine dadurch wird es möglich, der Komplexität dieses kleinteiligen Stoffes gerecht zu werden, der eben kaum in 90 Minuten abgebildet werden kann. "Fünfeinhalb Stunden über rechtsextremen Terror – das ist eine große Herausforderung für jedes Publikum", sagt ARD-Programmdirektor Volker Herres. "Aber diese beispiellose Mordserie macht genau das notwendig."
Es ist dem Senderverbund daher hoch anzurechnen, dass man die Trilogie innerhalb von acht Tagen jeweils zur besten Sendezeit ausstrahlt – und ganz am Ende auch noch einen umfangreichen Dokumentarfilm von Stefan Aust und Dirk Laabs hinterherschickt. Dass hinter den einzelnen Teilen drei sehr verschiedene Regisseure stehen, macht die Herausforderung nicht eben geringer. Christian Schwochow verantwortet den Auftakt, während der am kommenden Montag geplante Opfer-Film von Züli Aladag stammt. Mit den Ermittlern befasst sich dann der abschließende Teil von Regisseur Florian Cossen, der mit "Mitten in Deutschland" sein Fernsehdebüt gibt und aus diesem Grund bislang niemals einen Quotendruck zu spüren bekam.
Einen solchen Druck soll es im Falle des NSU-Schwerpunkts, für den SWR, WDR, BR, MDR und ARD Degeto gemeinsame Sache machten, aber ohnehin nicht geben. Zu schwer, zu ernst und vor allem zu wichtig ist das Thema, als dass es eine Rolle spielen könnte, ob nun zwei, drei oder sechs Millionen Zuschauer einschalten. "Der durchschnittliche Zuschauer will unterhalten werden. Und das hier ist kein Wohlfühlfernsehen", sagte Züli Aladag gerade in einem Interview mit der "Berliner Morgenpost". "Klar wollen wir ein großes Publikum erreichen. Wir denken aber, dass unsere Filme etwas bewegen werden, egal, wie hoch die Quote wird." Dass das Projekt überhaupt zustande kam, ist auf die Produzentin Gabriela Sperl zurückzuführen, die die ARD in weniger als zwei Wochen überzeugen konnte – eine Entscheidung in Überschallgeschwindigkeit, erst recht für öffentlich-rechtliche Verhältnisse.
"Die klare Perspektivierung zwingt zu klaren Haltungen."
Produzentin Gabriela Sperl
Dass die Erzählweise derart unkonventionell daherkommt, hat einen guten Grund. "Wir befinden uns vier Jahre nach dem Auffinden der mutmaßlichen Terroristen immer noch in einem Zustand nicht abgeschlossener Ermittlungen", sagt Sperl mit Blick auf den laufenden Prozess. "Deswegen können unsere Geschichten keine Erklärungen liefern, sie sind eher eine Spurensuche, sie werfen Fragen auf und sie beleuchten unsere gesamtdeutsche Befindlichkeit. Aus drei verschiedenen Perspektiven lässt sich ein komplexes Bild weben über unsere derzeitige Gesellschaft mit all ihren Verwerfungen. Die klare Perspektivierung zwingt zu klaren Haltungen." Möglich wird diese Haltung aber erst durch die intensiven Recherchen der Autoren Thomas Wendrich, Laila Stieler, Jan Braren, Rolf Basedow und Christoph Busche, die über Monate hinweg tausende Seiten von Akten durchwühlten und mit Zeugen sprachen.
"Das sind die Bausteine unserer Geschichten", erklärt Sperl. "Je detaillierter unser Wissen, desto sicherer lassen sich die fehlenden Lücken füllen." Vor allem zwei Fragen stellten sich dabei zuletzt immer stärker: Wieso hat rechtes Gedankengut nach dem Fall der Mauer wieder derart an Gewicht gewonnen – und wieso ist gerade im Osten die Radikalisierung so groß? Es ist eine Spurensuche, die angesichts von Pegida und AfD inmitten in der Gesellschaft, aktueller kaum sein könnte. Auch deshalb ist es gut, dass sich die ARD für die Beschäftigung mit dem Nationalsozialistischen Untergrund in den kommenden Tagen derart viel Zeit nimmt.